Moderne Monetäre Makroökonomie

Sonntag, 24. November 2013

Die Messung von Wirtschaftswachstum

Wirtschaftswachstum bezeichnet die quantitative (und manchmal qualitative) Zunahme des Volumens produzierter Güter und Dienstleistungen zwischen zwei vergleichbaren Zeitperioden. Wenn beispielsweise 2012 insgesamt 10 Produkte-Einheiten und 2013 insgesamt 12 Produkte-Einheiten hergestellt wurden, betrug das Wirtschaftstachstum 2013 gerade 20%. Heute wird das Produktevolumen mit dem Bruttoinlandprodukt, dem BIP, gemessen. Dabei werden alle auf Gütermärkten getauschte, im Inland hergestellten Güter und Dienstleistungen, plus Bestandesänderungen, zum BIP dazugezählt.

Welche Probleme ergeben sich bei dieser Messmethode? Wie hinlänglich bekannt ist, werden Qualitätsveränderungen bei dieser Methode nicht wahrgenommen. Die produzierten Computer von 1980 bloss wertmässig zu vergleichen mit den produzierten Computern von 2013, erscheint komplett sinnlos. Um das Wachstum der Produktivität besser zu messen, müsste man ebenfalls Qualitätsunterschiede berücksichtigen. Das BIP kann aber qualitative Verbesserungen von Produkten nicht erfassen. Wenn 1990, sagen wir, 10 Millionen Handys hergestellt wurden und 2013, sagen wir, 500 Millionen Handys, wird das Wachstum an nützlichen Gütern massiv unterschätzt, da die Produktequalität in dieser Zeit massiv zugenommen hat.

Doch auch ohne diese Qualitätsveränderungen wäre das BIP ein schlechtes Mass für die Zunahme der wirtschaftlichen Tätigkeit. Ein einfaches Gedankenexperiment kann das verdeutlichen. Sagen wir, eine Kleiderfabrik erhöht dank einer neues Prozesskette den Output um 10%, bei gleichbleibender Beschäftigung. Alle 100 Angestellten erhalten jedoch weiterhin denselben Lohn, nämlich 100*CHF 4´000.- pro Monat. Der Wert der Kleider insgesamt, gemessen in Franken, hat sich nicht verändert. Der Lohn der Angestellten misst gerade die produzierten Kleider. Wenn nun dasselbe Lohnvolumen, nämlich CHF 400´000.-, 10% mehr Kleider-Einheiten misst, dann hat sich das BIP nicht verändert, obschon das Outputvolumen um 10% zugenommen hat. Kurz gesagt: Wenn Produktivitätszunahmen nicht an die Angestellten durch höhere Löhne weitergegeben werden, wird das BIP konstant bleiben trotz 10% Wirtschaftswachstum. Das BIP kann auch steigen bei wirtschaftlicher Stagnation. Damit ist das BIP ein sehr schlechter Massstab für Wirtschaftswachstum (die Inflation wird hier nicht berücksichtigt, ändert aber an der Analyse nichts).

Ökonomen messen, was sie beeinflussen wollen. Da heute der Fokus der Wirtschaftspolitik auf Wirtschaftswachstum liegt, wird der Veränderung des BIPs viel Aufmerksamkeit geschenkt. Dies, obwohl das BIP ein schlechter Massstab für wirtschaftliche Aktivität ist. Viel wichtiger als das Wirtschaftswachstum sind zwei Grössen: Das Wohlbefinden der Bevölkerung und die Arbeitslosigkeit.

Wohlbefinden. Spätestens seit einer Studie von Richard Easterlin (1974) wissen Ökonomen, dass Wirtschaftswachstum nur in armen Ländern zu höherem Wohlbefinden führt. Ab einem recht tiefen Einkommensniveau (laut Bruno S. Frey ab ca. USD 10´000 pro Jahr) stagniert das kollektive Glücksgefühl. In der Schweiz werden ca. 30% der Nahrungsmittel weggeworfen, gleichzeitig würden sehr viele Menschen gerne weniger arbeiten. Aus ökonomischer Sicht ist diese Situation hochgradig ineffizient. Tiefere Arbeitszeiten bei gleich viel Konsum wäre offensichtlich eine pareto-effiziente Situation, die problemlos möglich wäre, die durch die "Marktmechanismen" aber nicht gelöst wird. Anstatt eine effizientere Situation hervorzubringen, studieren junge, intelligente Menschen Marketing und überlegen sich in dieser Position Tag für Tag, wie man Produkte, die niemand will, vermarkten kann. Die Grösse des Marketing-Sektors an der gesamten Wirtschaft ist ein guter Indikator für die Überproduktion und die Irrationalität der Wirtschaft. Wenn mehr produziert wird, als Menschen wollen, und der Produkteabsatz von Unternehmen höher bewertet wird als die Freizeit von Menschen, fliessen Milliardenbeträge in die Feinsteuerung der Bedürfnisse. Diese Manipulation der Geschmäcker ist nicht nur volkswirtschaftlich ineffizient, sondern staatspolitisch fragwürdig. Wieso sollte sich ein Teil der Bevölkerung damit befassen, die Bedürfnisse der restlichen Bevölkerung mit suggestiven Werbeinhalten dem Produktekatalog der Unternehmen anzupassen? Produktion und Tausch besitzen keinen Selbstzweck, sie dienen der Bedürfnisbefriedigung. Das erwünschte Resultat der Bedürfnisbefriedigung ist Wohlbefinden. Ökonomen sollten sich deshalb vermehrt auf die Messung von Wohlbefinden konzentrieren.

Arbeitslosigkeit. Ein Nebeneffekt von Wirtschaftswachstum ist die tiefe Arbeitslosigkeit. Dieser Zusammenhang ist jedoch theoretisch und empirisch fragwürdig. Die Länder mit dem tiefsten Wirtschaftswachstum in der OECD sind gleichzeitig die Länder mit der tiefsten Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig ist die These historisch falsch. Falls nur Wirtschaftswachstum die Arbeitslosigkeit verhindert, wären alle Gesellschaften ohne Geld und ohne Wachstum (und also ohne BIP) komplett arbeitslos gewesen, und die Menschheit könnte heute gar nicht existieren. Wenn Arbeitslosigkeit so wichtig ist, sollte man versuchen, diese besser zu erfassen. Via das BIP zu argumentieren ist theoretisch und empirisch fragwürdig.


Montag, 30. September 2013

Die simpelsten vier Widersprüche in der neoklassischen Lehre

* Der schönsten Ökonomin der Welt gewidmet.

Der schönste Aspekt der aktuell dominanten Wirtschaftstheorie, der Neoklassik, ist, dass ihre  Widersprüche nicht wirklich versteckt sind, sondern für alle Menschen mit Augen, Ohren und einem gesunden Verstand ersichtlich sind. Es werden hier keine Lösungen für die vorgestellten Widersprüche angeboten. Statt dessen beschränkt sich der Text darauf, auf unmittelbare Widersprüche in der herrschenden Lehre aufmerksam zu machen. Wer an weitergehenden Literatur interessiert ist, kann einen Kommentar hinterlassen.

Der erste Widerspruch: Vermischung von logischen Identitäten und Gleichgewichtsbedingungen

In der heutigen Lehre wird Sparen und Investieren miteinander ins Verhältnis gesetzt durch das Konzept der logischen - oft auch "buchhalterischen" - Identität. Gleichzeitig wird postuliert, dass die zwei Grössen, S und I, Gleichgewichtsbedingungen sind. „Gleichgewichtsbedingung“ heisst, dass Sparen und Investieren nur unter gewissen Bedingungen auch tatsächlich gleich gross sind (=). In der herrschenden Lehre ist es der Zinsmechanismus, der dafür sorgen soll, dass das Angebot an Ersparnissen gerade der Nachfrage nach Ersparnissen entspricht. Falls also der Zinsmechanismus nicht spielt, sind S und I nicht gleich, sondern weichen voneinander ab.

Es soll an dieser Stelle keine Rolle spielen, ob das nun stimmt oder nicht. Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass neoklassische Ökonomen gleichzeitig postulieren, dass Sparen und Investieren logische Identitäten sind. Laut Neoklassik ist dies eine direkte Folge der buchhalterischen Idee der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (und der Zahlungsbilanz). Buchhalterische Identitäten können nicht voneinander abweichen, weil, wie immer wieder gesagt wird, sie die zwei Seiten derselben Münze darstellen. Schon der Erfinder des Konzepts der logischen Identitäten, John Maynard Keynes, hat beide Konzepte – Identitäten und Gleichgewichte – gleichzeitig bedient und somit zur allgemeinen Verwirrung enorm beigetragen. Manchmal schrieb er explizit, dass Sparen und Investieren niemals voneinander abweichen können (siehe General Theory, Seite 81). Andernorts schrieb er, dass dies nur unter Einhaltung der Gleichgewichtsbedingung so sei. Der Widerspruch lässt sich also auf die folgende Form verkürzen: Neoklassiker behaupten, dass Sparen und Investieren immer gleich gross sind (S=I als Identität), und gleichzeitig sagen sie, dass Sparen und Investieren voneinander abweichen können (S=I als Gleichgewichtsbedingung).

Viele Ökonomen seit Keynes haben diesen Widerspruch übrigens erkannt und versuchen das Problem mit "ex ante" und "ex post" Sparen und Investieren zu lösen. Vor dem Sparen und Investieren (ex ante) weichen die Grössen voneinander ab (Ungleichgewicht möglich). Nach dem Sparen und Investieren (ex post) sind die Grössen identisch. Das logische Problem ist hier noch simpler: Vor dem Sparen und Investieren (ex ante) existieren weder Ersparnisse noch Investitionen, die man miteinander ins Verhältnis setzen könnte. Es sind bloss mentale Konzepte. Erst wenn gespart wurde, und also Ersparnisse existieren, macht es Sinn, von Ersparnissen zu sprechen. Man könnte den Widerspruch wie folgt formulieren: Ökonomen sagen, Ersparnisse und Investitionen existieren, welche noch gar nicht existieren.

Der zweite Widerspruch: Die zirkuläre Entstehung von Einkommen

Neoklassische Ökonomen postulieren, indem sie auf die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung verweisen, dass Einkommen = Output gilt (dies wird widersprüchlicherweise manchmal als logische Identität interpretiert, manchmal als Gleichgewichtsbedingung, siehe oben). Nehmen wir einmal an, dass dies stimmt (wobei es hier nicht wichtig ist, ob es sich dabei um Identitäten oder Gleichgewichtsbedingungen handelt). Falls dem so wäre, folgt daraus notwendigerweise, dass neues Einkommen zusammen mit neuem Output entsteht (sonst wäre das Gleichheitszeichen bedeutungslos). Wie entsteht neuer Output? Natürlich durch Produktion, welche in der Neoklassik mit der Cobb-Douglas-Produktionsfunktion modelliert wird. Doch wann wird Output wieder zerstört? Wenn Output bloss immer zunimmt durch Produktion, aber nie zerstört wird, würde sich der Output unendlich auftürmen, und die Identität Output = Einkommen würde definitiv nicht stimmen. Der angesehene neoklassische Ökonom Sidney Alexander lieferte 1952 (S. 265) die Antwort: "For brevity, the taking of goods and services off the market will be referred to here as absorption". Sprich, der Konsum von Output führt zu seiner Zerstörung. Der Konsum von Output (sprich die Zerstörung von Output) muss dann aber auch Einkommen zerstören, damit die Identität immer stimmt. Diese zwei Aussagen folgen direkt aus der ersten Aussage, dass Output und Einkommen in einer Volkswirtschaft gleich gross sind. Statt dessen wird die Entstehung und die Zerstörung von Einkommen einfach nicht erklärt. Gemäss herrschender Lehre werden bestehende Einkommen transferiert auf dem Arbeitsmarkt durch die Lohnzahlung und auf dem Gütermarkt durch Konsumzahlung. So kann jedoch lediglich erklärt werden, wie bestehende Einkommen konserviert bleiben. Es kann nicht erklärt werden, wie neue Einkommen entstehen oder alte zerstört werden. Wie kann aber das Outputniveau ständig schwanken, wenn gleichzeitig die Entstehung und Zerstörung von neuem Einkommen nicht erklärt wird? Wie können Ökonomen dann gleichzeitig postulieren, Output und Einkommen seien immer gleich gross?

Der Widerspruch lässt sich hier auf die folgende Form reduzieren: Laut Neoklassik sind Output und Einkommen immer gleich gross (laut volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung). Gleichzeitig wird postuliert, dass verfügbarer Output ständig schwankt durch Produktion (+) und Konsum (-), Einkommen aber immer bloss "im Kreis herum" transferiert wird.

Randnotiz: Der Einkommensmultiplikator, eine absurde Theorie, beruht auf diesem Widerspruch. Der Einkommensmultiplikator basiert auf zwei unausgesprochenen Hypothesen: 1. Der Konsum von Einkommen führt zur Konservierung dieses Einkommens. 2. Ersparnisse üben keine Nachfrage aus. Bricht eine dieser zwei Hypothesen zusammen, dann bricht auch die Multiplikatortheorie zusammen. Beide Hypothesen sind widersprüchlich. Würde der Konsum von Einkommen zur Konservierung desselben Einkommens führen, dann wäre die Identität Output = Einkommen nicht korrekt. Somit wäre die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung grundfalsch. Würden zweitens Ersparnisse nicht zu einer Nachfrage führen, dann wäre die neoklassische Gleichung S=I falsch. Ersparnisse werden ja gemäss neoklassischer Theorie investiert, und Investitionen üben selbstverständlich eine Nachfrage aus. Somit bricht die Multiplikatorentheorie zusammen.

Der dritte Widerspruch: Die Nicht-Definition von Inflation

Ökonomen definieren Inflation gemeinhin wie folgt: Inflation ist 1) ein genereller Preisanstieg und 2) ein Kaufkraftverlust von Geld. Die zwei Definitionen werden synonym verwendet. Gleichzeitig sagen Ökonomen, dass nicht jeder generelle Preisanstieg inflationär sei. Doch wenn nicht jeder generelle Preisanstieg inflationär ist, dann haben wir ein substanzielles Problem mit der Definition.

Bei Mehrwertsteuererhöhungen oder höheren Ölpreisen aus dem Ausland steigen die Preise im Inland (= genereller Preisanstieg). Es ist absurd, zu behaupten, dass dieser generelle Preisanstieg einer Entwertung der Währung zu verdanken ist. Ein höherer Preis für ausländisches Öl verändert das Verhältnis von nationalen Produkten und nationaler Währung ganz sicher nicht. Dasselbe gilt für die Mehrwertsteuer, welche lediglich zu einer Umverteilung der Kaufkraft führt, bestimmt nicht zu einem Kaufkraftverlust.

Der unmittelbare Widerspruch ist der folgende: Ökonomen sagen, dass ein genereller Preisanstieg die Inflation definiert. Gleichzeitig sagen sie, dass nicht jeder generelle Preisanstieg inflationär ist.

Laut neoklassischen Ökonomen ist die Ursache von Inflation ein Missverhältnis von nationaler Geldmenge und nationalem Output. Das bedeutet aber umgehend, dass das Konzept der "importierten" Inflation in sich widersprüchlich ist, da es dabei um das Wertverhältnis zwischen nationalem Geld und ausländischen Produkten geht. Wenn dieses Verhältnis gestört wird (z.B. wegen der Ölpreispolitik der OPEC), dann hat das zwar höhere Preise im Inland zur Folge. Diese höhere Preise sind aber per Definitionem nicht wegen einem Missverhältnis zwischen nationalem Output und nationaler Geldmenge entstanden.

Ausserdem ist die Kosteninflationstheorie (cost push inflation) offensichtlich absurd. Wenn die Löhne steigen, dann steigt das verfügbare Einkommen und simultan (durch dieselbe Aktion, sprich die Lohnzahlung) der numerische Wert der Güter und Dienstleistungen, da die Lohnzahlung ja gerade den Wert in Geldeinheiten misst. Es entsteht also unmöglich ein Ungleichgewicht zwischen Geldmenge und Output, wenn die Löhne steigen. Statt dessen handelt es sich um eine reine Kaufkraftverschiebung. Mit dem gleichen Recht könnte man übrigens argumentieren, dass Inflation entsteht, wenn alle Unternehmen zusammen ihre Gewinnmargen erhöhen, bei gleichbleibenden Löhnen. Auch das wäre eine absurde Aussage, welche aber interessanterweise nicht gemacht wird, obzwar sie der gleichen Logik entspringt wie die Kosteninflation.

Der vierte Widerspruch: Geld als wertvolles Gut

In einer Zeit völlig digitalisierter Währungen machen sich Ökonomen noch immer lustig über sich selbst, indem sie Geld in ihren Modellen als wertvolles Gut behandeln und umschreiben. Gleichzeitig sagen dieselben Ökonomen, dass das BIP der Wert aller Güter und Dienstleistungen sei, welche innerhalb eines Jahres in einem Land produziert werden.

Wenn Ökonomen sich nicht schon längst von der Logik verabschiedet hätten, wäre ihnen bewusst, dass sie sich damit direkt widersprechen. Wäre Geld ein wertvolles Gut, müsste man jede Geldmengenerhöhung zum BIP dazurechnen – ein absurdes Vorgehen, welches Adam Smith bereits 1776 ausschloss. Indem Ökonomen aber die Geldmenge nicht zum BIP dazurechnen, geben sie implizit zu, dass Geld kein Gut ist und somit auch keinen ökonomischen Wert hat.

Der unmittelbare Widerspruch ist der folgende: Ökonomen behaupten, Geld sei ein wertvolles Gut. Gleichzeitig behandeln sie es wie ein wertloses Vehikel, indem sie es aus dem BIP ausschliessen.

Samstag, 19. Januar 2013

TARGET2-Ungleichgewichte: Eine buchhalterische Erklärung


Seit die Gründerväter der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im März 1957 die Römischen Verträge unterschrieben, ist die Schaffung einer einheitlichen europäischen Währung ein explizites Ziel. 1962 forderte eine Kommission der EWG dazu auf, Wege zu erkunden, auf denen die monetäre Integration der ersten Mitgliedstaaten möglich wäre. Nach langer Debatte des wirtschaftlichen Fachpublikums gelangte man zu einer Art Konsens: Monetäre Integration kann geschehen, nachdem sich nominelle Grössen wie Zinsen, Inflation, Wechselkurse und Staatshaushalt zwischen den Mitgliedsländer ausgeglichen haben. Dieser Ansicht der graduellen Anpassung zwischen Volkswirtschaften lag die Vorstellung zugrunde, dass es keinen essentiellen Unterschied gebe zwischen einem fixen Wechselkurs-Regime und einem einheitlichen Währungsraum. Diese Ansicht wurde im Werner Report von 1970 explizit zum Ausdruck gebracht.
Seither hat sich, basierend auf den theoretischen Überlegungen monetärer Ökonomen, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) herausgebildet. Der Euro hat nationale Währungen innerhalb der EWWU abgelöst. TARGET, respektive die neue Version TARGET2, ist die Bezeichnung der Zahlungssysteminfrastruktur zwischen den teilnehmenden Staaten, welche allesamt Echtzeit-Zahlungssysteme benützen (RTGS). Täglich werden über TARGET2 Zahlungen im Umfang von ca. EUR 2.5 Billionen abgewickelt (Januar 2013).
Während zu Beginn der Währungsunion das Zahlungssystem TARGET noch dezentral betrieben wurde, werden Zahlungen zwischen Banken seit November 2007 mit TARGET2 zentral innerhalb der Single Shared Platform (SSP) ausgeführt. Die Zentralbanken in Italien, Deutschland und Frankreich betreiben gemeinsam diese zentral geführte Zahlungsplattform. Das bedeutet, dass jede zwischenstaatliche Zahlung, welche an TARGET2 geschickt wird, durch die SSP abgewickelt wird. Wie die Europäische Zentralbank in ihren Dokumenten offenlegt, ist TARGET2 jedoch kein multilaterales Zahlungssystem. Statt dessen agiert jede einzelne nationale Zentralbank des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESCB) als eigenständige Settlement-Partei und wickelt Zahlungen bilateral mit anderen Zentralbanken ab. Zitieren wir von der Website der Deutschen Bundesbank:
„Fließen beispielsweise einer über die Bundesbank an TARGET2 teilnehmenden Bank Gelder aus dem Ausland zu, führt dies bei der Bundesbank zu Verbindlichkeiten gegenüber dieser Bank (etwa durch Gutschrift des Betrages auf deren Girokonto). Im Gegenzug entsteht eine Forderung der Bundesbank in gleicher Höhe gegenüber der sendenden nationalen Zentralbank. Diese wiederum belastet das Konto der sendenden Geschäftsbank.“
Zwischenstaatliche Zahlungen innerhalb der EWWU werden also nicht, wie man das in einem homogenen Währungsraum vermuten würde, über zentral verwaltete Girokonten bei der EZB abgewickelt. Statt dessen unterhält jede Zentralbank bilaterale Beziehungen mit jeder einzelnen anderen nationalen Zentralbank und wickelt Zahlungen mit dieser ab. Wir können das Europäische System der Zentralbanken (ESZB), welches auf bilateralen Settlement-Beziehungen zwischen Nationalen Zentralbanken (NZB) beruht, wie folgt schematisch darstellen.
Das heutige, bilaterale Europäische System der Zentralbanken (ESZB), welches zu TARGET2-Ungleichgewichten führt.

In dieser Darstellung wird ersichtlich, dass Zahlungen von Nicht-Banken innerhalb der Mitgliedsländer über die nationalen Geschäftsbanken (schwarz) und Zentralbanken (orange) abgewickelt werden. Zahlungen zwischen den Mitgliedsländern werden nicht über die EZB, sondern bilateral zwischen den nationalen Zentralbanken abgewickelt.

Vergleichen wir dieses Vorgehen kurz mit der Abwicklung einer Zahlung innerhalb eines homogenen Währungsraums, z.B. der Schweiz. Jede Schweizer Geschäftsbank muss ein Girokonto bei der SNB besitzen, welches ein Guthaben der Geschäftsbank gegenüber der Zentralbank darstellt. Bezahlt ein Kunde einer Bank einem Kunden einer anderen Bank einen beliebigen Geldbetrag, so wird das Bankdepot des Käufers von seiner Bank belastet, und dieselbe Bank schickt die Zahlungsinformation an die Bank des Verkäufers. Letztere Bank schreibt ihrem Kunden einen Geldbetrag gut und notiert sich dafür eine Forderung gegenüber der ersten Bank auf der Aktivseite. Als Folge der Zahlung zwischen den Kunden ist eine Bank bei der  anderen verschuldet. Die endgültige Abwicklung dieser Zahlung kann erst erfolgen, wenn die zwei Banken ihr Schuldverhältnis ausgleichen durch eine entsprechende Gut-, respektive Lastschrift durch die Zentralbank auf ihrem Girokonto. Da alle Banken der Schweiz an dieses multilaterale System von Girokonten angeschlossen sind und jeder Ausgleich von Schuldverhältnissen zwischen zwei Geschäftsbanken in Form von Gut- und Lastschriften der Zentralbank geschieht, handelt es sich bei der Schweiz um einen homogenen Währungsraum. Das bedeutet, dass ein Guthaben eines Bankkunden gegenüber der Raiffeisen Bank nicht unterscheidbar ist von einem Guthaben gegenüber der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Sie sind perfekt austauschbar.
Das Zahlungssystem des Euroraums funktioniert nicht so. So heisst es in den Unterlagen der EZB (eigene Übersetzung):
„Sobald die sendende nationale Zentralbank die Gültigkeit einer Zahlungsinformation und die Verfügbarkeit von genügend Guthaben oder einer ausreichenden Kreditlimite geprüft hat, wird die Zahlungssumme endgültig und sofort vom RTGS-Konto der auftraggebenden Kreditinstitution abgezogen und dem Interlinking-Konto der bezahlten Bank gutgeschrieben.“
Das sogenannte „Interlinking-Konto“ ist ein Konto, welches jede nationale Zentralbank besitzt und nationale RTGS-Zahlungssysteme zusammenschliesst, damit Zahlungen zwischen Mitgliedsstaaten ausgeführt werden können. Nachdem alle Kontrollen ausgeführt worden sind, belastet die empfangende Nationalbank das Interlinking-Konto der sendenden Zentralbank und versendet eine Bestätigung an die sendende Zentralbank oder der EZB. Die EZB selbst ist ebenfalls an dieses System angeschlossen und kann dadurch andere Zentralbanken bezahlen oder durch sie bezahlt werden. Die EZB agiert jedoch nicht als zentrale Settlement-Institution zwischen nationalen Zentralbanken.
Gehen wir von einem konkreten Fall aus, damit diese abstrakten Ausführungen in einen realistischen Kontext gestellt werden. Nehmen wir an, die griechische Regierung kauft Maschinen von einer privaten Unternehmung aus Deutschland für EUR 1 Million. Diese Zahlung führt zu einer Belastung des Griechischen Schatzamtes durch die griechische Zentralbank. Ihr Gegenpart, sprich die Deutsche Bundesbank, erhält dafür via TARGET2 eine Gutschrift. Zeigen wir das Resultat der Transaktion mittels Bilanzen der griechischen und Deutschen Zentralbanken. Wir halten dabei die Tabula Rasa Bedingung ein, um logische Scheinbeweise zu umgehen: Vor der Transaktion waren die Bankbilanzen also leer.
Griechischen Nationalbank
Aktiven
Passiven
(1) Kredit an griechisches Schatzamt
EUR 1 Mio.
(2) Schuld ggü. Bundesbank
EUR 1 Mio.



Deutsche Bundesbank
Aktiven
Passiven
(3) Guthaben ggü. griechischer Zentralbank
EUR 1 Mio.
(4) Schuld gegenüber der Bank des Exporteurs
EUR 1 Mio.



Die griechische Nationalbank gewährt der griechischen Regierung einen Kredit, welchen sie als Guthaben gegenüber derselben Regierung festhält (1). Dafür verschuldet sich dieselbe Nationalbank gegenüber der Deutschen Bundesbank (2). Die Deutsche Bundesbank notiert dieses Guthaben auf ihrer Aktivseite (3) und vermerkt dafür eine Schuld gegenüber der Bank des Exporteurs (4).
Halten wir nun drei Dinge fest.
1.     Sowohl Importeur wie auch Exporteur haben keine Forderungen oder Verbindlichkeiten mehr untereinander. Das heisst...
a.    der Exporteur aus Deutschland hat eine Gutschrift im Umfang von EUR 1 Mio. erhalten,
b.    der Importeur aus Griechenland (also die Regierung) ist für EUR 1 Mio. belastet worden.
2.     Zwischen den Währungsräumen Deutschland und Griechenland besteht weiterhin eine ungetilgte Schuld im Umfang von EUR 1 Mio.
3.     Griechenland als Währungsraum hat für die Maschine noch nicht bezahlt.
Aussage drei mag auf den ersten Blick erstaunen, kann jedoch nicht ernsthaft bezweifelt werden, wenn wir uns die Zahlungsmittelfunktion von Geld vergegenwärtigen. Geld ist ein Zahlungsmittel. Eine Bezahlung führt definitionsgemäss zur Tilgung einer Schuld. In unserem Beispiel wird die Schuld zwischen Deutschland und Griechenland jedoch nicht getilgt, sondern lediglich bestätigt. Aus mikroökonomischer Sicht, sprich aus der Sicht des Exporteurs und des Importeurs, ist die Bezahlung zwar tatsächlich endgültig, es existiert keine weitere Forderung (resp. Schuld) zwischen den Parteien. Aus makroökonomischer Sicht wurde die Schuld jedoch noch nicht getilgt, sondern lediglich in Form eines Bucheintrags bestätigt. Das Guthaben der Deutschen Bundesbank erscheint nun als TARGET2-Guthaben auf der Aktivseite der Deutschen Bundesbank und stellt ein erhebliches Risiko im Fall eines Staatsbankrotts dar.
Nun kann zu Recht eingewendet werden, dass die Verbindlichkeiten und Forderungen am Ende jedes Geschäftstages gemäss einem Abkommen der Teilnehmerstaaten an die EZB geschickt werden müssen, wo sie untereinander ausgeglichen werden. Das ist korrekt, jedoch resultieren aus den Netto-Importen und Netto-Exporten zwischen Währungsräumen TARGET2-Salden, welche nicht ausgeglichen werden. Bestätigen wir das mit einem erneuten Zitat der Deutschen Bundesbank:
„Die bei den nationalen Zentralbanken entstehenden Forderungen und Verbindlichkeiten aus einer über den Tag anfallenden Vielzahl solcher Transaktionen gleichen sich normalerweise nicht vollständig aus. Am Ende des Geschäftstages verbleibende Forderungen und Verbindlichkeiten aller an TARGET2 teilnehmenden nationalen Zentralbanken werden gemäß einem Abkommen im Eurosystem an die EZB übertragen und dort saldiert. Die so entstehenden TARGET2-(Netto)-Salden sind demnach das Ergebnis der grenzüberschreitenden Verteilung von Zentralbankgeld innerhalb der dezentralen Struktur des Eurosystems. Der TARGET2-Saldo in der Bundesbankbilanz geht also im Wesentlichen auf grenzüberschreitende Transaktionen zurück, die Banken betreffen, welche über die Bundesbank an TARGET2 teilnehmen (...).“
Während also Importe endgültig bezahlt werden können, wenn dafür entsprechende Exporte getätigt werden, führen Netto-Exporte, resp. –Importe (vor allem von Produkten und Wertpapieren) zu TARGET2-Salden zwischen Währungsräumen. Die Deutsche Bundesbank besass z.B. am 31.12.2012 Forderungen im Umfang von über EUR 655 Mrd.. Das entspricht ca. einem Viertel des Bruttoinlandprodukts Deutschlands.
Wieso ist dieser Mangel in der europäischen Zahlungssystemarchitektur vor 2009 niemandem aufgefallen? Das hat erstens damit zu tun, dass sich Ökonomen bis heute nicht für Zahlungssysteme interessieren. Ökonomen gehen bis heute axiomatisch davon aus, dass Geld eine Art physische Ware ist, welche von der Zentralbank „aus dem Nichts“ geschaffen werden kann und dann „in der Wirtschaft zirkuliert“. Banken kommen in ihren Modellen selten vor. Die buchhalterische Natur von Geld wird in ökonomischen Modellen bis heute nicht respektiert. Ökonomen arbeiten heute ausserdem praktisch ausschliesslich mit infinitesimalen Modellen. Zahlungen können jedoch nicht mit Formeln, sondern müssen mit buchhalterischer Logik analysiert werden. Zweitens hat es damit zu tun, dass vor 2009 TARGET2-Ungleichgewichte aufgrund von Netto-Importen von Ländern wie Griechenland neutralisiert wurden durch deren äquivalente Netto-Exporte von Wertschriften. Somit wurden die Güter und Dienstleistungen aus Deutschland „bezahlt“ mit Wertschriften (v. a. Staatsanleihen) aus Griechenland. Im Zuge der Euro-Krise nahm die Nachfrage nach solchen Wertschriften ab, wodurch die TARGET2-Ungleichgewichte entstanden.
Zur Lösung des Problems
Nun, da wir das Problem umrissen haben, erscheint die Lösung nicht mehr ausser Reichweite. Der Euroraum hat zwei Möglichkeiten, wie er sein Zahlungssystem TARGET2 drastisch verbessern kann. Beide Lösungen würden dazu führen, dass internationale Zahlungen endgültig werden, was nichts anderes bedeutet, als dass Geld seine eigentliche Zahlungsmittelfunktion auch für Zahlungen zwischen Währungsräumen erlangt. Heute führen „Zahlungen“ von Netto-Importen zwischen Währungsräumen des Euroraums, - wiederholen wir das noch einmal - nicht dazu, dass die Obligation getilgt wird. Statt dessen werden die Verbindlichkeiten und Forderungen zwischen Währungsräumen bestätigt, weshalb es sich bei Transaktionen zwischen Mitgliedern des Euroraums heute um Nicht-Zahlungen handelt. Wäre der Euro die gemeinsame, homogene Währung der Eurozone, würde jede Bezahlung mit Euros zur Tilgung der zugrunde liegenden Schuld führen. Dies ist jedoch heute bei Netto-Exporten nicht der Fall. Man kann deshalb tatsächlich nicht von „einem“ Euro sprechen, sondern müsste von 17 unterschiedlichen Euros sprechen, welche allesamt gleich heissen und einen festen Wechselkurs 1:1 vorweisen. Da jedoch Griechenland „als Ganzes“ nicht mit Schuldverschreibungen griechischer Banken (= griechische Euros) Schulden gegenüber Deutschland endgültig tilgen kann – sondern dafür zuerst Deutsche Euros auftreiben muss – sind die zwei Währungen heterogen. Beide Lösungen verlangen nach einer EZB, welche als supranationale Settlement-Institution agiert. Das bedeutet, dass Zahlungen zwischen Mitgliedstaaten über die EZB als zentrale Settlement-Institution abgewickelt werden müssen. Schematisch würde das Europäische System der Zentralbanken sodann wie folgt aussehen.
Das zukünftige Europäische System der Zentralbanken mit der EZB als zentrale Settlement-Institution

Erste Lösung: Alle Länder des Euroraums erhalten eine wirklich homogene Währung - den Euro - und die EZB wird eine wirkliche Settlement-Institution für nationale Zentralbanken.
Hierfür ist es nötig, dass jede nationale Zentralbank bei der EZB ein Girokonto eröffnet und dabei sicherstellt, dass genügend Guthaben darauf vorhanden sind. Als Vorbild dient hierzu die bereits existierende Regelung innerhalb homogener Währungsräume, also z.B. innerhalb Deutschlands oder Frankreichs. Jede Zahlung zwischen Währungsräumen würde innerhalb dieses TARGET3-Zahlungssystems in Echtzeit abgewickelt. Die EZB wäre somit eine übergeordnete Settlement-Institution, welche die Girokonten der partizipierenden Nationalbanken mittels EZB-Geld erhöhen oder senken würde. TARGET-Ungleichgewichte würden somit nicht mehr entstehen und die monetäre Vereinigung des Euroraums wäre (erst dann) Realität.
Zweite Lösung: Jedes EU-Land erhält seine nationale Währung zurück und die EZB fungiert als Settlement-Institution für Aussenhandelsungleichgewichte.
Diese Lösung würde verlangen, dass Netto-Importe von Gütern oder Dienstleistungen eines Landes am Ende des Geschäftstages neutralisiert werden mit entsprechenden Exporten von Wertschriften (Aktien oder Obligationen). Dies kann auf bilateraler oder multilateraler Basis geschehen. Die Forderungen und Verbindlichkeiten nationaler Zentralbanken würden hierbei laufend bei der EZB hinterlegt. Am Ende jedes Geschäftstages würde die EZB die Forderungen des einen Landes benützen, um damit Eigentumsrechte an Wertschriften des verschuldeten Landes zu kaufen, nach Berücksichtigung des offiziell geltenden Wechselkurses. Die EZB würde hierdurch zur Endgültigkeit von zwischenstaatlichen Zahlungen verhelfen. Jeder Netto-Export von Produkten eines Währungsraums würde am gleichen Tag kompensiert durch Netto-Importe von Wertschriften. Die Anhäufung von Fremdwährungen in nationalen Bankbilanzen aufgrund von Handelsbilanzungleichgewichten würde hierdurch verhindert. Das hätte ebenfalls die Folge, dass Wechselkursschwankungen effektiv abgeschafft würden. Ausschliesslich Devisentransaktionen führen zu Veränderung von Wechselkursen. Diese neue Regelung würde dazu führen, dass Währungen nicht mehr wie Tauschobjekte gehandelt, sondern einzig als Zahlungsmittel verwendet würden – was bekanntermassen ihrer Natur entspricht. Somit könnten Unternehmen ihre Planungssicherheit dramatisch erhöhen ohne unter den negativen Konsequenzen eines einheitlichen Währungsraums zu leiden.
Quellen:
Rossi, S. (2012) The monetary-structural origin of TARGET2 imbalances across Euroland, in Modern Monetary Macroeconomics, Gnos, C. and Rossi, S. (Eds.), Cheltenham: Edward Elgar.
Deutsche Bundesbank, Target2-Saldo. Gefunden auf: http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Standardartikel/Kerngeschaeftsfelder/Unbarer_Zahlungsverkehr/target2_saldo.html

Mittwoch, 29. August 2012

Abwesenheit

Laut Blog-Statistik habe ich eine Handvoll treue Leser, was mich sehr freut. Ich habe seit längerer Zeit nichts mehr auf diesem Blog geschrieben, da ich mit anderen Dingen beschäftigt war. Unter anderem erscheint in Kürze ein Papier von mir über Geldtheorie in einem Britischen Wirtschaftsjournal. Wenn du am Papier interessiert bist, kannst du mir eine Email senden und ich schicke es dir: economicsquiz@gmail.com

Donnerstag, 5. Juli 2012

Offener Brief an Mario Monti

http://www.quantum-macroeconomics.info/

Mittwoch, 30. November 2011

Monetäre Makroökonomie und Infinitesimalrechnung

Das vorherrschende Denkmuster, welches neoklassischen Ökonomen so vertraut und selbstverständlich ist, dass sie es nicht einmal als Denkmuster erkennen, ist die Annahme einer infinitesimalen ökonomischen Realität. Das bedeutet, dass alle ökonomischen Phänomene verstanden werden qua mathematische Funktionen, wobei je nach Modell einige Grössen als gegeben (exogen), andere als variabel (endogen) erscheinen. Dieses Denkmuster verbindet beinahe alle ökonomischen Denkschulen: Monetaristen und Keynesianer, Post-Keynesianer und Österreichische Nationalökonomen. Aussagen solcher Ökonomen weisen die folgende Logik auf:

  • Die nachgefragte Menge ist eine Funktion des Preises
  • Sparen ist eine Funktion des Zinssatzes
  • Inflation ist eine Funktion der Geldmenge
  • Nutzen ist eine Funktion des Einkommens / Vermögens
  • Konsum ist eine Funktion des Einkommens
  • Output ist eine Funktion von Arbeit und Kapital
  • ...
Hätte man vor 200 Jahren so theoretisiert, wäre man wohl für verrückt gehalten worden. Heute ist diese Denkart so dominant, dass sogar Kritiker der Neoklassik innerhalb dieses Denkmusters argumentieren. In diesem Artikel soll dieses Denkmuster kritisch hinterfragt werden, indem wir zurück zu den Anfängen gehen: Zu Léon Walras und Antoine Cournot, den zwei französischen Ökonomen/Mathematikern, welche den infinitesimalen Paradigmenwechsel in der Ökonomie mehr als alle anderen herbei führten. Schliesslich wird eine Alternative aufgezeigt.

Beginnen wir mit einer erhellenden Textpassage von Léon Walras, welcher das heutige Denken in der Ökonomie wie kein zweiter beeinflusst hat. Er war es, der die Infinitesimalrechnung und die Ökonomie in einem Totalmodell zusammenbrachte. Vorarbeit für Léon Walras' Werk leistete vor allem Antoine Augustine Cournot mit seiner "Traité Elémentaire de la Théorie des Fonctions et du Calculus Infinitésimal" (1851). Cournot wiederum ging zur Schule mit Antoine-Auguste Walras, Léon Walras' Vater. Vater Walras war von Cournots Idee überzeugt, aus der Ökonomie eine mathematische Disziplin zu machen, und gab diese Idee an seinen Sohn Léon weiter. Léon Walras glaubte, dass die Ökonomie eine physikalisch-mathematische Disziplin sei:

Walras
"If the pure theory of economics or the theory of exchange and value in exchange, that is, the theory of social wealth considered by itself, is a physico-mathematical science like mechanics or hydrodynamics, then economists should not be afraid to use the methods and language of mathematics." (Walras, 1954, S. 71)

Zitieren wir zusätzlich das dogmengeschichtlich bedeutende und persönliche Vorwort zur vierten Auflage der "Elements of Pure Economics":

"As for those economists who do not know any mathematics, who do not even know what is meant by mathematics and yet have taken the stand that mathematics cannot possibly serve to elucidate economic principles, let them go their way repeating that "human liberty will never allow itself to be cast into equations" or that "mathematics ignores frictions which are everything in social science" and other equally forceful and flowery phrases. They can never prevent the theory of the determination of prices under free competition from becoming a mathematical theory. Hence, they will always have to face the alternative either of steering clear of this discipline and consequently elaborating a theory of applied economics without recourse to a theory of pure economics or of tackling the problems of pure economics without the necessary equipment, thus producing not only very bad pure economics but also very bad mathematics. (...) It is already perfectly clear that economics, like astronomy and mechanics, is both an empirical and a rational science. (...) It took from a hundred to a hundred and fifty or two hundred years for the astronomy of Kepler to become the astronomy of Newton and Laplace, and for the mechanics of Galileo to become the mechanics of d'Alembert and Lagrange. On the other hand, less than a century has elapsed between the publications of Adam Smith's work and the contributions of Cournot, Gossen, Jevons and myself. We were, therefore, at our posts and performed our duty. (...) Mathematical economics will rank with the mathematical sciences of astronomy and mechanics; and on that day justice will be done to our work." (Léon Walras, 1954)

Wenn ökonomische Phänomene sich verhalten wie Grössen der Mechanik oder Fluiddynamik - so bemerkt Walras - dann ist die Ökonomie eine mathematische Wissenschaft. In diesem Beitrag soll argumentiert werden, dass die Ökonomie sich eben nicht den Methoden der Mechanik, sprich der Infinitesimalrechnung, bedienen kann. Wohl aber sollte sie sich aus anderen mathematischen Gebieten informieren, z.B. der Zahlentheorie oder der Logik. Die Wahl der Methode in der Ökonomie darf dabei nicht zufällig, ausgehend von Sympathien und Präferenzen, gewählt werden, wie Walras korrekt aufführte. Vielmehr bedarf die Wahl der Methode einer logischen Beweisführung.

Wenn Léon Walras schrieb, dass Mathematik die Sprache der wissenschaftlichen Ökonomie sei, dann meinte er damit - das wissen wir heute - tatsächlich bloss ein Teilgebiet der Mathematik: die Infinitesimalrechnung. Die Leibniz'sche und Newton'sche Idee der "unendlich kleinen" Bewegung ist die notwendige Grundlage für mathematische Funktionen, lineare und nicht-lineare. Die Idee der infinitesimalen Zahlen erregte in der Geschichte der Mathematik dabei schon vielfach die Gemüter. Der griechische Sophist Zenon von Elea hielt Bewegung per se für etwas Unmögliches, da ein sich bewegender Pfeil in jedem Augenblick ruhen müsse. Doch wenn die Zeit aus einer unendlichen Menge von Augenblicken besteht, und der Pfeil in jedem Augenblick ruht, ist Bewegung unmöglich. Leibniz und Newton konnten dieses absurde Resultat umgehen, indem sie eine Bewegung als ein Tangentenanstieg in einem Punkt p approximierten, wobei, um den Anstieg exakt in einem Punkt berechnen zu können, dy und dx als unendlich klein (aber nicht null!) angenommen werden mussten. Der Irische Erkenntnistheoretiker und Bischof George Berkeley erkannte schnell die Probleme dieser infinitesimal kleinen dy und dx: "Sie sind weder endliche Grössen doch auch nicht nichts. Dürfen wir sie Gespenster abgeschiedener Grössen nennen?" Höhnisch meinte der Theologe: "All das scheint eine höchst widersprüchliche Art der Beweisführung zu sein, wie man sie in der Theologie nicht erlauben würde."

Leibniz
Doch Leibniz und Newton waren überzeugt von der Notwendigkeit des "unendlich Kleinen" in der Mathematik. Der Geist Galileos durchdrang das wissenschaftliche Denken dieser Zeit: "(Das Buch der Natur) ist in der Sprache der Mathematik geschrieben, und deren Buchstaben sind Kreise, Dreiecke und andere geometrische Figuren, ohne die es dem Menschen unmöglich ist, ein einziges Wort davon zu verstehen; ohne diese irrt man in einem dunklen Labyrinth herum", schrieb Galileo Galilei 1623. Wenn die Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben wurde, dann musste Bewegung mathematisch erfasst werden können. Um Bewegung modellieren zu können, brauchte es die unendlich kleine Bewegung. Das Leibzniz'sche Sprichwort "natura non facit saltus" wurde zum einprägsamen Ausdruck des kontinuierlichen Denkens. Demnach ist in der Natur alles "im Fluss", nichts steht still oder springt in null Zeit von einem Zustand in einen anderen. Differential- und Integralrechnung sind demnach die (Natur-)Gesetze, denen Bewegung gehorcht.

Obzwar sich die Integral- und Differentialrechnung in verschiedenen Disziplinen als unheimlich nützlich erwiesen hat und Mathematiker seither die formalen Probleme der infinitesimalen Grössen gelöst haben, ist heute bekannt, dass die Natur nicht kontinuierlich ist. Wir wissen heute, dass man Teilchen irgendwann nicht mehr weiter teilen kann. Wir wissen, dass sich Teilchen in der brownschen Bewegung chaotisch verhalten und die Bewegung deshalb nicht mit einer glatten Kurve beschrieben werden kann. Wir wissen auch, seit Entdeckung des Quantums, dass die Natur sehr wohl Sprünge macht. "Natura facit saltus creatores", scheint deshalb seit dem 20. Jahrhundert eine bessere Einschätzung der Gesetze unserer Natur. Die Physik und andere Wissenschaften kämpfen noch immer mit den Auswirkungen dieser Erkenntnis.

Die Natur ist demnach "verpixelt". Und die Ökonomie? Die gesamte Neoklassik und ihre zahlreichen Subkategorien (Österreichische Nationalökonomie, Keynesianismus, Behavioral Finance, etc. etc.) beruhen auf der Idee der unendlich kleinen, "marginalen" Veränderung. Unter Würdigung der Entwicklung der Mathematik und Physik der letzten hundert Jahre, können wir noch immer, mit Walras, davon ausgehen, dass die Ökonomie eine physikalisch-mathematische Wissenschaft ist? Können wir die ökonomische Wirklichkeit mittels Integral- und Differentialrechnung verstehen? Sind ökonomische Grössen tatsächlich "Funktionen voneinander"? Herrscht in der Ökonomie tatsächlich das Gesetz des Kontinuums - der unendlich kleinen - marginalen - Bewegung? Man kann mit 1 oder mit 2 Rappen bezahlen, niemals aber mit 1.5 Rappen. Hat das Marginalprinzip, welches das Kontinuum voraussetzt, eine Berechtigung angesichts der Tatsache, dass Zahlungen nur in diskreten Schritten getätigt werden können? Gibt es so etwas wie unendlich wenig Einkommen, unendlich wenig Output? Diese Fragen hätte sich Walras, als er mit Infinitesimalrechnung die ökonomische Wirklichkeit erklären wollte, überlegen sollen, denn wir müssen alle mit 'Nein' beantworten.

Da Geld der Ursprung unserer Wissenschaft ist, muss Geld der Ursprung unserer Beweisführung sein. Ohne Geld gibt es keinen Wertmassstab - sprich keine ökonomischen Werte - keine Preise, keine Löhne und somit keinen ökonomischen Forschungsgegenstand. In einer Wirtschaft ohne Geld gäbe es keine ökonomische Wissenschaft, da Produkte nicht mit Zahlen integriert wären - sie wären bloss ein heterogener physikalischer Haufen ohne ökonomischen Wert. Die Logik von Produktion und Tausch wäre hinreichend erklärt duch Ingenieure oder Soziologen. Erst die Integration von Output mit Geld misst ökonomische Grössen wie Output und gibt ihnen somit eine numerische Dimension unabhängig von physikalischen Dimensionen (Länge, Gewicht, Farbe, Dichte, etc.). Erst durch eine Zahlung kann Geld in die Ökonomie eintreten. Wir müssen uns somit mit einer Zahlung, dem primordialen ökonomischen Phänomen, befassen. Explizit: Ist eine Zahlung eher ein "kontinuierlicher" Fluss oder ein "Quanten"-Sprung?

Eine gute Theorie muss i) logisch konsistent sein und ii) sich auf die Realität beziehen. Die Aussage mag selbstverständlich erscheinen; sie ist es jedoch nicht. Die neoklassische Wirtschaftstheorie basiert auf dem Konzept des Gleichgewichts. Der neoklassische Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Lucas schreibt explizit, dass Gleichgewichte in der Realität nicht vorkommen. Doch das spielt keine Rolle, denn bei Wirtschaftstheorien sei es nicht wichtig, realistisch zu sein, sondern die Aussagen der Modelle sollen bloss akzeptabel sein. Ein logisch konsistentes Wirtschaftsmodell, das sich auf die Realität bezieht, jedoch inakzeptable Aussagen macht, ist demnach nicht brauchbar für Neoklassiker. Es braucht gewiss keine wissenschaftstheoretische Ausbildung, um solche Ansichten hinterfragen zu können.

Beginnen wir also unsere Analyse, und gehen wir realistischerweise von einer Unternehmung und einem Arbeiter aus. Der Arbeiter soll Ende Monat ausbezahlt werden. Da jede Zahlung eine Bank bedingt, müssen wir davon ausgehen, dass eine Bank existiert, damit eine Zahlung überhaupt getätigt werden kann. Wir starten unsere Analyse bei tabula rasa - es existieren noch keine Depots in der Bank (eine notwendige Voraussetzung, um nicht in die Falle des logischen Scheinbeweises (petitio principii) zu fallen). Wir gehen davon aus, dass Unternehmung und Arbeiter bei derselben Bank Kunden sind. Das verändert die Analyse nur insofern, als dass wir keinen Interbankmarkt einführen müssen, welcher die Forderungen zwischen Banken ausgleicht. Diese Restriktion kann problemlos gelockert werden, ohne das Ergebnis substanziell zu ändern.

Ende Monat bezahlt die Unternehmung dem Arbeiter den geschuldeten Betrag von - sagen wir - CHF 4'000.-. Damit die Unternehmung den Arbeiter auszahlen kann, muss sie sich bei der Bank verschulden. Diese Schuld von 4'000.- wird auf der Aktivseite der Bankbilanz notiert. Gleichzeitig wird dem Arbeiter ein entsprechendes Depot von 4'000.- gutgeschrieben. Dieses muss notwendigerweise immer gleich gross sein wie das (negative) Depot der Unternehmung. Das Einkommen des Arbeiters ist nun gespeichert in Form eines Bankdepots auf der Passivseite des Bankensystems. Dieses positive Depot findet seine Entsprechung auf der Aktivseite der Bankbilanz, wo die Schuld der Unternehmung notiert wurde.
Darstellung 1: Zustände vor und nach einer Lohnzahlung
Wir erkennen in diesem exemplarischen Fall zwei unterschiedliche ökonomische Zustände, Zustand 1 und Zustand 2 (siehe Darstellung 1). Im Zustand 1 - vor der Lohnzahlung - existieren weder Schulden noch Guthaben, weder Output noch Einkommen. Im Zustand 2 - nach der Lohnzahlung - ist die Unternehmung mit 4'000.- verschuldet gegenüber der Bank und die Bank ist verschuldet gegenüber dem Arbeiter. Gleichzeitig besteht ein Einkommen im Wert von 4'000.- und Output im Wert von 4'000.-. Zeigen wir den Unterschied zwischen den zwei Zuständen - vor und nach der Lohnzahlung - noch einmal mit Hilfe eines Schemas. Vor der Lohnzahlung existieren keine Schuldverhältnisse zwischen den Akteuren (Darstellung 2):

Darstellung 2
Nach der Lohnzahlung haben sich die Schuldverhältnisse geändert. Gleichzeitig existieren nun erstmals Einkommen und Output (Darstellung 3):

Darstellung 3


Um von einem zum anderen Zustand zu gelangen, braucht es eine "Bewegung". Was ist die Natur dieser Bewegung?

Wenn wir zeigen können, dass diese Bewegung "instantan" ist - sprich null Zeit in Anspruch nimmt - dann müssen wir schliessen, dass ökonomische Veränderungen sprunghaft sind, nicht fliessend. Die unendlich kleine Bewegung im Raum - die Idee der infinitesimalen Veränderung in der Mechanik - müsste verworfen werden angesichts der Sprunghaftigkeit ökonomischer Veränderungen.
Da erst ein monetäres Phänomen - eine Zahlung - zur Entstehung ökonomischer Grössen wie Output und Einkommen führen kann, müssen wir die Zahlung genauer studieren und ihr Verhältnis zur Zeit klären.

Falls der Übergang von Zustand 1 (keine ökonomischen Grössen) zu Zustand 2 (Existenz von Output und Einkommen) instantan ist, dann wäre folgende Aussage korrekt:
  • Der Arbeiter erhält exakt in dem Zeitpunkt eine Gutschrift von seiner Bank, in dem das Unternehmen durch dieselbe Bank um denselben Betrag belastet wird.
Diese Aussage ist wahr. Jedoch müssen wir sie, um der logischen Methode Genüge zu tun, genauer prüfen. Um zu prüfen, ob diese Aussage stimmt, können wir ad absurdum argumentieren: Wir postulieren, dass dies nicht der Fall sei. Falls die obige Aussage also nicht zutrifft, müsste eine der folgenden zwei Aussagen stimmen:
  1. Belastung der Unternehmung, bevor Arbeiter Gutschrift erhält: Zwischen dem Zeitpunkt der Gutschrift für den Arbeiter und dem Zeitpunkt der Belastung der Unternehmung existiert ein positives Zeitintervall dt, während dem die Unternehmung belastet wird, bevor der Arbeiter ein Guthaben erhält.
  2. Gutschrift des Arbeiters, bevor Unternehmung belastet wird. Zwischen dem Zeitpunkt der Gutschrift für den Arbeiter und dem Zeitpunkt der Belastung der Unternehmung gibt es ein positives Zeitintervall dt, während dem der Arbeiter ein Guthaben von 4'000.- besitzt, die Unternehmung aber noch nicht belastet wurde.
Im ersten Fall würde die Bankbilanz wie folgt aussehen (Darstellung 4):
Darstellung 4

Wie in Darstellung 4 ersichtlich wird, hat sich die Unternehmung verschuldet, um dem Arbeiter ein Guthaben auszubezahlen. Die Definition einer Schuld ist "eine Leistungspflicht eines Schuldners gegenüber einem Gläubiger". Der Begriff der Schuld setzt somit zwei Parteien voraus, zwischen denen sie existiert. Anders gesagt: Das Fehlen der zweiten Partei schliesst die Existenz einer Schuld aus - man kann nicht verschuldet sein gegenüber sich selbst oder gegenüber niemandem. Doch genau dies wird in Darstellung 2 absurderweise postuliert. Die Unternehmung hat sich gegenüber dem Arbeiter verschuldet, indem er ihn via Bank (die Intermediärin zwischen Arbeiter und Unternehmung) ausbezahlt. Solange jedoch der Arbeiter sein Guthaben noch nicht erhalten hat, kann die Schuld der Unternehmung gar nicht existieren. Es kann nicht sein, dass eine Schuld nur eine Partei betrifft und die andere nicht. Da Aussage 1 gleichzeitig die Existenz und die Nicht-Existenz einer Schuld postuliert, müssen wir sie ablehnen.

Analog verhält es sich natürlich mit Aussage 2. Kein Arbeiter kann je eine Gutschrift erhalten, ohne dass eine andere Partei belastet wird. Aussage 2 sagt aus, dass jemand von niemandem eine Gutschrift erhalten kann. Doch die Forderung des Arbeiters kann nur existieren, wenn jemand ihm diese Forderung schuldet. Wie jeder Jurist weiss, sind Schuld und Forderung tatsächlich bloss die zwei Begriffe derselben Sache aus zwei Perspektiven - einmal aus Sicht des Gläubigers, einmal aus Sicht des Schuldners. Es ist objektiv unmöglich, dass eine Forderung existiert, ohne dass dieselbe Forderung für jemand anderen gleichzeitig eine Schuld bedeutet. Kurz gesagt: Schulden und Forderungen können, da sie dasselbe aus zwei Perspektiven darstellen, nur gleichzeitig entstehen und untergehen. Deshalb ist auch die zweite Aussage absurd, denn sie postuliert gleichzeitig die Existenz und die Nicht-Existenz einer Forderung.

Zahlungen haben immer zur Folge, dass sich die Schuldverhältnisse zwischen ökonomischen Agenten verändern. Es ist eine Folge der Immaterialität und Zweiseitigkeit von Schulden (resp. Forderungen), dass Änderungen augenblicklich geschehen. Aus dieser Beweisführung folgt, dass Zahlungen tatsächlich augenblickliche, sprich "instantane" Ereignisse sind. Daraus wiederum folgt, dass sich die ökonomische Wirklichkeit sprunghaft verändert. Einkommen entstehen durch Zahlungen. Preise werden nur in Zahlungen realisiert. Löhne entstehen durch Zahlungen. Output erhält erst einen Wert durch Zahlungen. Da sämtliche Übergänge zwischen ökonomischen Zuständen durch Zahlungen geschehen, und Zahlungen instantane Ereignisse sind, kann die ökonomische Wirklichkeit nicht mit Infinitesimalrechnung verstanden werden.

Für Cournots, Jevons' und vor allem Walras' Versuch, aus der Ökonomie eine exakte Wissenschaft zu machen, verdienen sie unsere volle Sympathie. Es geht in diesem Artikel denn auch nicht darum, die Mathematik aufgrund persönlicher Präferenzen oder mit Hilfe "blumiger Sentenzen" aus der Ökonomie zu verbannen, im Gegenteil. Vielmehr ist es der Versuch einer Beweisführung, weshalb monetäre Makroökonomie nicht durch mathematische Funktionen verstanden werden kann. Im Kern liegt der Grund darin, dass infinitesimale Grössen in der Ökonomie nicht existieren. Da sich ökonomische Grössen sprunghaft verändern, ist die Idee des Kontinuums nicht kompatibel mit der ökonomischen Wirklichkeit.

Trotzdem ist die monetäre Makroökonomie potentiell eine exakte Wissenschaft. Exakte Wissenschaften können quantitativ exakte Aussagen über die Wirklichkeit machen. Die monetäre Makroökonomie kann dies zweifelsohne. Eine Transaktion weist eine strenge Logik auf, welche unabhängig von menschlichem Verhalten oder Unsicherheit gilt. Im Moment der Zahlung wird Output exakt gemessen durch die Emission von Geld (Randbemerkung: Da Angebot und Nachfrage immer nur im Moment einer Zahlung realisiert werden, und der Preis der Ware [Angebot] im Tausch immer identisch gesetzt wird mit der Menge Einkommen [Nachfrage ], die dafür hergegeben werden muss, sind die Begriffe "Überangebot" und "Übernachfrage" streng genommen keine ökonomische, sondern eher soziologische Begriffe). Es existiert in der Ökonomie eine exakte Korrelation zwischen realen Grössen - ökonomischem Output - und Zahlen. Produktion und Tausch wird dank der buchhalterischen Logik von Geld mit Zahlen integriert und eine Wissenschaft von Produktion und Tausch ist deshalb exakt. Da jedoch Produktion und Tausch immer auch den Menschen bedingen und beeinflussen, hat die Ökonomie auch eine geisteswissenschaftliche Seite. Dieser janusgesichtige Aspekt unserer Wissenschaft macht sie leider zum Objekt ideologischer Grabenkämpfe, was den wissenschaftlichen Paradigmenwechsel umso schwieriger gestaltet.

Die Ökonomie und die Mathematik sind keineswegs getrennt, im Gegenteil: Sie sind historisch enger verstrickt als gemeinhin gedacht, jedoch nicht im Sinne der herrschenden Lehrmeinung. So wissen wir heute mit einiger Sicherheit, dass die Mathematik und das Geld zusammen geboren wurden. Mathematik begann mit der Erfindung von Zahlen, und die ersten Zahlen entsprangen wahrscheinlich dem Geldwesen. Historiker gehen heute davon aus, dass die ersten Zahlensymbole vor etwa 10'000 Jahren im Nahen Osten erschienen sind. Buchhalter brachten Tonkugeln und andere Gegenstände in den Umlauf, welche dem Halter Eigentumsrechte zusicherten. Die Kugeln repräsentierten Waren wie Weizen oder Vieh. Wenn man die Tonkugeln auslegte, wusste man, wieviele Waren der Besitzer zugute hatte. Bald einmal wurden die Tonkugeln gefälscht, und man steckte sie deshalb in versiegelte Tonbehälter. Auf die Behälter ritzte man ein Symbol, welches festhielt, wieviele Tonkugeln sich im Behälter befanden. Dies war, wenn man der Archäologin Denise Schmandt-Besserat Glauben schenken darf, die Geburt von Zahlen. Irgendwann merkten die mesopotamischen Bürokraten, dass eine blosse Zahl, auf einem wertlosen Trägergegenstand festgehalten, problemlos die Tonkugeln ersetzen konnte. Es gibt noch ältere Zeugnisse von der Verwendung von Zahlen, die aber nicht viel mehr als rudimentäre Kratzer sind. Man fand beispielsweise Knochen mit Kerben darauf, ca. 37'000 Jahre alt, welche in der Border Cave gefunden wurde, jedoch ist nicht klar, was sie repräsentierten.

Es dauerte mehr als 2'000 Jahre, bis Mathematiker die Annahmen der Geometrie Euklids hinterfragten. Punkt, Linie und Parallele verloren plötzlich den Nimbus der Absolutheit, wurden verhandelbar. Die grundlegendsten Annahmen sind immer am schwersten zu erkennen und am schwersten zu reformieren. Im 19. Jahrhundert kämpfte Léon Walras gegen den Widerstand der etablierten Ökonomik, mit der festen Absicht, die Infinitesimalrechnung in die Ökonomie einzuführen und letztere so zu einer exakten Wissenschaft zu machen. Heute werden seine Ansichten jeder Mittelschülerin und jedem Ökonomiestudenten beigebracht, wenn diese lernen, dass Angebot und Nachfrage Funktionen des Preises sind. Wirtschaftsjournalisten verwenden Bilder wie "Geldpumpen", "ankurbeln", "Überhitzung" und "Abkühlung" der Wirtschaft, "Börsenblasen" und andere irreführende Metaphern aus Mechanik oder Fluiddynamik. Keynes und Friedman theoretisierten beide im Schatten von Walras, indem sie ökonomische Grössen als mathematische Funktionen voneinander darstellten (z.B. Konsum als Funktion des Einkommens bei Keynes, oder die Inflation als Funktion der Geldmenge bei Friedman). Obschon sich Ökonomen im 19. Jahrhundert vehement gegen den "infinitesimalen Paradigmenwechsel" in der Wirtschaftstheorie wehrten, hat er rückblickend vollständig gesiegt. Es fehlte die Alternative, und so ist heute Walras' Erbe lebendig und omnipräsent.

Die Mathematik und Physik haben sich seither weiterentwickelt, die Ökonomie ist stecken geblieben im mechanischen Weltbild des 19. Jahrhunderts. Die Erkenntnis, dass die Natur nicht kontinuierlich ist, wird früher oder später auch das ökonomische Denken einholen. Doch der Widerstand gegen neue Theorien und Methoden hat sich seit dem 19. Jahrhundert, gelinde gesagt, nicht verändert. Anstatt die herrschende Lehre fundamental in Frage zu stellen, wiederholen Ökonomen alte Theorien oder modifizieren sie höchstens leicht, um in den exklusiven Club der ökonomisch Sachverständigen aufgenommen zu werden. Dabei gäbe es viel Fundamentales zu kritisieren. Die neoklassische Theorie quillt über von Widersprüchen. Diese sollten nicht verschwiegen oder durch Annahmen überbrückt, sondern angesprochen und Studenten beigebracht werden, in der Hoffnung, dass eines Tages diese Paradoxa, welche einen Wissenschaftler mehr als alles andere beflügeln, aufgelöst werden. Wie sagte Niels Bohr? "How wonderful that we have met with a paradox. Now we have some hope of making progress."


  • Walras, L. (1954), Elements of Pure Economics or The Theory of Social Wealth, first edition in french 1874, London and New York: Routledge.

    Donnerstag, 2. Juni 2011

    Quantum Ökonomie

    Quantum Ökonomie bezeichnet die Denkschule innerhalb der Wirtschaftswissenschaft, welche vom französischen Ökonomen Bernard Schmitt (1929) ab den 1950er Jahren in Dijon (Frankreich) und Freiburg (Schweiz) entwickelt wurde. Quantum Ökonomie wird von ihren Vertretern als Alternative zur heute weit verbreiteten neoklassischen Denkschule verstanden.

    1. Entstehung
    Obschon die Quantum Ökonomie mit vielen Konzepten anderer Denkschulen bricht, finden sich erste Ansätze dieser Theorie bereits in den Lehren von Adam Smith, David Ricardo, Jean-Baptiste Say, Karl Marx, Léon Walras, Eugen von Böhm-Bawerk, Knut Wicksell, John Maynard Keynes und Jacques Rueff. Angefangen bei Keynes’ Konzept der Lohneinheit als Wertmass, entwickelte Schmitt die „Theorie der Geldemissionen“, wie sie ebenfalls genannt wird.

    2. Grundlegende Konzepte
    Ausgehend von modernen Volkswirtschaften, in denen Geld und Bankensysteme zentral für wirtschaftliche Aktivitäten sind, definiert die Quantum Ökonomie die grundlegenden Konzepte der Volkswirtschaftslehre neu. Insbesondere wird Abstand genommen von den mechanischen Definitionen und Modellen der Neoklassik, welche davon ausgehen, dass ökonomische Phänomene mit Hilfe mathematischer Funktionen erfasst werden können. Da die grundlegenden ökonomischen Phänomene - Produktion und Tausch - eng mit dem monetären System verknüpft und integriert sind, sollten ökonomische Definitionen die Natur und die Rolle von Geld und die Funktionen von Banken mit einbeziehen. Die folgenden Konzepte können als Grundpfeiler der Quantum Ökonomie verstanden werden.
    a. Absoluter Tausch
    Das von Bernard Schmitt eingeführte Konzept des absolutes Tausches steht im Gegensatz zum geläufigen Verständnis von Tausch, den Schmitt als „relativ“ bezeichnet. Ein relativer Tausch definiert den Austausch zweier autonomer Objekte, welche vor und nach dem Tausch unabhängig voneinander existieren. Quantum Ökonomen wenden ein, dass in einer modernen Wirtschaft der absolute Tausch vorherrscht. Ein absoluter Tausch ist ein Tausch eines Objektes mit sich selbst. Diese ungewöhnliche Formulierung kann mit einer Lohnzahlung, der Urform des absoluten Tausches, verdeutlicht werden. Innerhalb einer Lohnzahlung auf dem Faktormarkt erhält die Lohnempfängerin ein Guthaben ausbezahlt, wodurch die lohnzahlende Unternehmung ihre Nettoverschuldung gegenüber dem Bankensystem gleichzeitig und um denselben Betrag erhöht. Das Guthaben der Lohnempfängerin und die Schuld der Unternehmung gegenüber dem Bankensystem sind die zwei notwendigen Resultate einer einzigen Operation: der Lohnzahlung. Das Einkommen der Lohnempfängerin, welches sie in Form eines Bankdepots erhält, existiert vor der Lohnzahlung nicht, sondern entsteht erst in der Lohnzahlung. Dank der Fähigkeit von Banken, ihre Schuldanerkennung wirtschaftlichen Akteuren als Zahlungsmittel zur Verfügung zu stellen, muss die Unternehmung deshalb keinen Wert aufgeben, um ihre Mitarbeiter zu entlöhnen. Statt dessen benutzt die Unternehmung eine Schuldanerkennung der Bank, um die Lohnempfängerin auszubezahlen, und ihr so die Kaufkraft über den produzierten Output zu gewähren. Das Einkommen der Lohnempfängerin existiert deshalb nicht autonom von Output, sondern ist die numerische Form von Output. Output und Einkommen entstehen beide in der Lohnzahlung und bilden eine Einheit. Da in der Lohnzahlung zwei Objekte getauscht werden (Einkommen und Output), welche eine logische Einheit bilden, handelt es sich bei der Lohnzahlung um einen absoluten Tausch. Per Analogieschluss wird in der umgekehrten Operation – der Konsumzahlung – Einkommen und Output auf dem Gütermarkt mit sich selbst getauscht. Dadurch wird Einkommen zerstört und ökonomischer Output wird dem Gütermarkt entzogen, wonach er bloss noch als Nutzwert existiert (value-in-use).

    Da Angebot (Output) und Nachfrage (Einkommen) innerhalb jeder Zahlung simultan determiniert werden, kann aus makroökonomischer Sicht unmöglich eine Kausalität zwischen den zwei Elementen existieren. Innerhalb jeder Zahlung sind Angebot und Nachfrage notwendigerweise identisch. Angebot und Nachfrage können bloss zwischen zwei Zahlungen unterschiedliche Werte aufweisen. Sobald Angebot und Nachfrage durch eine Zahlung realisiert werden, werden sie identisch gesetzt und erhalten dadurch gleichzeitig eine ökonomische Relevanz. In diesem Sinne offeriert die Quantum Ökonomie die ersehnte Schlichtung zwischen angebots- und nachfrageorientierter Ökonomie.

    b. Quantenzeit
     Die neuartige Behandlung der Zeit ist der wohl originellste und bedeutendste Unterschied zu anderen ökonomischen Denkschulen. Wie der Name der Denkschule ankündigt, ist die Analyse von Quantum Ökonomen weder statisch noch dynamisch, sondern „quantisch“. Dabei wird von Vertretern dieser Schule hervorgehoben, dass es sich bei dieser Theorie nicht um eine weitere Kopie der Physik, etwa der Quantenphysik, handelt, wie die Neoklassiker die klassische Mechanik versuchten zu kopieren. Ihr Ansatz unterstreicht lediglich, dass das Verständnis ökonomischer Phänomene – Produktion, Tausch, Einkommen, Geld, etc. – eine neuartige Behandlung der Zeit verlangt.
    So argumentieren Quantum Ökonomen, dass die Zirkulation von Geld ein augenblickliches („instantanes“) Ereignis darstellt, da Geld ein Fluss in Form eines doppelten Bucheintrages in die Bilanz des Bankensystems ist. Da es die buchhalterische Logik verbietet, dass jemand eine Gutschrift erhält, ohne dass jemand anderes gleichzeitig durch dieselbe Operation um denselben Betrag belastet wird, muss der doppelte Eintrag in die Bankbücher augenblicklich erfolgen. Die Existenz von Geld ist deshalb auf die Dauer einer Zahlung beschränkt, welche selbst null Zeit dauert. Die Zahlung bezieht sich jeweils auf eine finite und unteilbare Zeitperiode – ein Zeitquantum. Wieder kann die Quantenzeit am besten anhand einer Lohnzahlung erklärt werden. Nachdem ein Lohnempfänger eine gewisse Zeitperiode – sagen wir t0 bis t1 – für eine Unternehmung gearbeitet hat, wird er für seine Arbeit entlöhnt. Die Lohnzahlung, welche mit Hilfe des Bucheintrags einer Bank durchgeführt wird, quantisiert die Zeitperiode t1-t0, während der gearbeitet wurde. Da Geld das numerische Gefäss von Output ist, erhält der Output durch die Lohnzahlung erstmals einen Preis.

    Es können somit zwei Zeitkategorien unterschieden werden: Erstens die Zeitpunkte der Transaktionen, welche null Zeit in Anspruch nehmen. Zweitens Zeitperioden, auf die sich die Transaktionen beziehen und welche durch die Transaktionen quantisiert werden. Indem die Quantum Ökonomie eine Transaktion auf einen logischen Zeitpunkt auf der Zeitachse reduziert, abstrahiert sie bewusst von technischen Fragen im Zahlungsverkehr. Selbstverständlich dauern Transaktionen in der Praxis oft mehrere Sekunden oder gar Minuten. Jedoch halten Quantum Ökonomen fest, dass die Abstraktion von physikalischen Repräsentationen notwendige Voraussetzung für das Verständnis von modernem Kreditgeld ist. Geld besitzt keine physikalische Substanz und kann deshalb nur konzeptuell verstanden werden. Vertreter dieser Denkschule haben sich denn ebenfalls auf praktische Fragen von Zahlungs- und Settlement-Systemen spezialisiert und in diesem Bereich publiziert (siehe Rossi, 2007).
    Die Definition von Produktion als augenblicklicher Fluss, welcher Zeit quantisiert, steht im scharfen Kontrast zur Neoklassik, die Produktion als Prozess physikalischer Transformation in der kontinuierlichen Zeit betrachtet. Die „reale“ Betrachtung der neoklassischen Schule vernachlässigt die Tatsache, dass Produktion durch die Bezahlung von Löhnen eng mit dem monetären System verknüpft ist und nicht getrennt von ihr studiert werden kann. Jede Lohn- und Konsumzahlung, welche durch Banken ermöglicht wird, bezieht sich auf ein Objekt – Output – und wird durch ein numerisches Vehikel – Geld – ermöglicht. Die mangelnde Integration der Geldtheorie mit der Produktionstheorie hat letztlich dazu geführt, dass die engen Zusammenhänge zwischen der realen Wirtschaft und Bankensystemen heute schlecht verstanden werden. Wissenschaftliche Definitionen von ökonomischen Phänomenen wie Produktion oder Tausch müssen modernes Bankgeld berücksichtigen, da physikalischer Output erst durch die Monetarisierung durch Banken eine numerische Dimension erhält und damit ökonomisches Forschungsobjekt wird.

    c. Geld
    Die Quantum Ökonomie unterscheidet als einzige ökonomische Denkschule konzeptuell zwischen Geld als Flussgrösse und Bankdepots als Bestandesgrösse. Geld selbst ist die Operation des doppelten Eintrags in die Bankbilanz. Ein Eintrag erfolgt als Gutschrift (Passivum der Bank), der andere als Lastschrift für einen Bankkunden (Aktivum der Bank). Aufgrund dieser zweiseitigen, buchhalterischen Natur von Geld ist Geld ein Aktivum-Passivum: Es wird immer gleichzeitig sowohl als Schuld als auch als Guthaben emittiert. Produktion integriert das numerische Vehikel Geld mit physikalischem Output: Durch die Bezahlung von Löhnen wird Geld – eine numerische Form – mit Output assoziiert, wodurch Preise entstehen.

    Aus diesem Blickwinkel ist Geld ein augenblicklicher Fluss, aus dem Bestandesgrössen in Form von Bankdepots resultieren. Die Guthaben der Bankkunden in Form von Bankdepots besitzen insofern Kaufkraft, als dass sie der monetäre Abdruck von Output sind. Für Quantum Ökonomen ist Kaufkraft von Geld somit nicht Ausdruck von gesellschaftlicher Akzeptanz oder der Knappheit von Geld. Vielmehr stammt Kaufkraft von der Assoziation von Geld und Output durch die Monetarisierung von Produktion auf dem Faktormarkt. Metaphorisch gesprochen trägt Geld Kaufkraft, wie Blut Sauerstoff trägt. Der Inhalt des Geldes ist der Output, mit dem es durch die Bezahlung von Löhnen auf dem Faktormarkt assoziiert wird.

    Neoklassische Ökonomen definieren heute bekanntermassen Geld anhand seiner Funktionen (Recheneinheit, Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel) und behandeln es in ihren Modellen gleichzeitig wie ein wertvolles Gut und einen wertlosen Schleier. Diese augenscheinlich widersprüchliche Vorgehensweise wird von Quantum Ökonomen kritisiert. Erstens kann man nicht sagen, welche Funktionen eine Sache hat, die nicht definiert ist (Geld). Wäre Geld ein Gut wie jedes andere, wie neoklassische Modelle dies annehmen, müsste man zweitens jede Geldmengenerhöhung zum BIP dazurechnen, ein offenbar absurdes Vorgehen. Wäre Geld ein wertloser Schleier, bliebe seine Kaufkraft unerklärt. Die Kaufkraft von Geld wird von Neoklassikern sodann zirkulär begründet: Geld besitze Kaufkraft, weil die Leute akzeptieren, dass es Kaufkraft besitzt. Viertens bestehen neoklassische Ökonomen darauf, dass Geld exogen in den Wirtschaftkreislauf „gepumpt“ und mittels eines Geldmultiplikators vermehrt wird. Basierend auf der Analyse buchhalterischer Vorgänge bei Zahlungen auf dem Faktor-, Güter- und Finanzmarkt und durch die Anwendung logischer Beweisführung greift die Quantum Ökonomie diese grundlegenden Annahmen der neoklassichen Geldtheorie an.

    d. Produktion
    Produktion wird in der Quantum Ökonomie als makroökonomisches Phänomen definiert, da es nicht bloss zu einem Einkommen für einen einzelnen Produzenten führt, sondern – im ökonomischen Sinn – für die ganze Gesellschaft. Im Moment der Lohnzahlung entsteht ein neues Einkommen, welches sowohl den Output des Lohnempfängers als auch einen Anteil am gesamten Output einer Gesellschaft definiert. Während sich die positiven und die negativen Bankdepots im Bankensystem notwendigerweise exakt aufheben, stellt das Einkommen ein Nettovermögen für die Gesellschaft als Ganzes dar, welches nicht durch Schöpfung von „negativem Einkommen“ aufgehoben wird.
    Produktion und sein Resultat, Output, wird durch die Bezahlung des Lohnes gemessen. Somit ist Arbeit in der Quantum Ökonomie – wie bei den Klassikern und Keynes – der einzige Produktionsfaktor in einer Volkswirtschaft. Kapital wird selbst durch Arbeit produziert und assistiert der Arbeit danach in der Produktion, wodurch der Arbeitsprozess beschleunigt werden kann. Diese Betrachtung widerspricht den neoklassischen oder österreichischen Denkschulen, welche Arbeit zwar als wichtigen Produktionsfaktor anerkennen, ihr aber keinen eigenen konzeptuellen Status zusprechen. Dadurch ist Arbeit für jene Ökonomen bloss eine von mehreren Variablen der Produktionsfunktion (meist neben Boden und Kapital), und Kapitalkosten und Bodenrenten werden konzeptuell nicht von Lohnkosten unterschieden.

    Produktion ist der zeitintensive Prozess, durch den Masse und Energie durch den Einsatz von menschlicher Arbeit eine neue, nützliche Form erhalten. Obschon Produktion die Quelle von Einkommen ist, kann Einkommen nicht das Resultat eines physikalischen Transformationsprozesses sein. Einkommen existiert als Bankdepot in numerischer Form und muss deshalb numerisch entstanden sein. Banken haben die gesellschaftliche Funktion, physikalischem Output eine monetäre Form zu verleihen, indem sie das Zahlungsmittel (Geld) zur Verfügung stellen, mit dem wirtschaftliche Akteure ihre Schulden untereinander begleichen können. Banken können dabei das Gefäss (Geld), nicht aber seinen Inhalt (Einkommen) kreieren. Durch den doppelten Eintrag in die Bankbilanz erhält der Lohnempfänger ein Bankdepot, welches sein Einkommen definiert, und die Unternehmung muss sich um denselben Betrag verschulden. Die dabei entstandenen Depots sind die zwei Abdrücke einer einzigen Operation – einer Emission von Geld. Aus physikalischer Sicht ist Output das Resultat eines zeitintensiven Arbeitsprozesses. Aus ökonomischer Sicht ist Output Resultat einer augenblicklichen Lohnzahlung, durch welche Output eine numerische Form – Einkommen – erhält. Banken ermöglichen den absoluten Tausch von Output und Einkommen durch das Anbieten von Geld als Zahlungsmittel zwischen wirtschaftlichen Akteuren. Zusammengefasst definiert die Quantum Ökonomie Produktion nicht als physikalischen Transformationsprozess in der kontinuierlichen Zeit, sondern als augenblickliches Ereignis, welches Zeit quantisiert. Dabei quantisiert Arbeit die produktiv verbrachte Zeit und die Lohnzahlung misst das relevante Zeitquantum, wodurch es mit einer Zahl integriert wird. Das bedeutet nicht weniger, als dass Output aus ökonomischer Sicht Zeit ist, welche als Quantum emittiert wird.

    3. Monetäre Pathologien
    a. Inflation
    Die Identität von Angebot (Output) und Nachfrage (Einkommen) ist die Konsequenz davon, dass sie die beiden Seiten einer einzigen Operation sind – einer Zahlung. Überschussnachfrage und –angebot können bloss zwischen zwei Zahlungen existieren; innerhalb jeder Zahlung sind Nachfrage und Angebot notwendigerweise zwei Seiten einer einzigen Operation, wodurch es unmöglich ist, dass sie numerisch voneinander abweichen. In der Lohnzahlung entsteht nun gleichzeitig Output und sein monetärer alter ego, Einkommen, als zwei Seiten derselben Medaille. Output und Einkommen sind somit per Definition immer identisch; was nicht auf dem Gütermarkt nachgefragt wird, wird restlos via Bankensystem den Unternehmen zur Verfügung gestellt, womit diese ihre Produktionskosten finanzieren können. Der Wert des gesamtes Angebots ist nichts anderes als das ökonomische Mass des Outputs, und dieses Mass erhält der Output durch die Bezahlung der Produktionskosten in Form von Löhnen. Inflation ist definiert als der Zustand, in dem die gesamte Nachfrage (D) das gesamte Angebot (S) an Gütern und Dienstleistungen übersteigt (D > S). Dies kann bei Leergeldemissionen geschehen. Hierbei kaufen wirtschaftliche Akteure Produkte mit Geld, dem kein ökonomischer Output auf dem Gütermarkt gegenüber steht, sprich „leer“ ist. Im vollen Bewusstsein, dass hier bloss eine ungenügende Beweisführung offeriert werden kann, folgt ein kurzer Abriss dieses komplexen Vorgangs, welcher vollständig in Bernard Schmitts 1984-Werk enthalten ist (Inflation, Chômage et Malformations du Capital).

    Indem Unternehmen ihre Produkte mit einem Mark-up über den Faktorkosten verkaufen, können sie einen Profit erwirtschaften. Dadurch transferieren Lohnempfänger auf dem Gütermarkt einen Teil ihrer Kaufkraft über die produzierten Güter und Dienstleistungen an die Unternehmungen. Diese Profite in Form von Einkommen können von den Eigentümern der Unternehmung entweder konsumiert oder investiert werden. Im ersten Fall wird der Profit wie üblich auf dem Gütermarkt ausgegeben, wodurch das Einkommen zerstört wird. Für die Entstehung von Inflation ist deshalb bloss der zweite Fall von Bedeutung. Wenn Unternehmungen Profite investieren, überweisen sie auf dem Faktormarkt die Profite als Lohn an die Lohnempfänger, welche dafür Investitionsgüter produzieren. Durch die Investition von Profiten wird Einkommen in makroökonomische Ersparnisse transformiert, welche der Gesellschaft nicht mehr zur Verfügung stehen sollten; es ist dasjenige Einkommen, welches eine Gesellschaft für die Produktion von Investitionsgüter aufgibt. Die an die Lohnempfänger ausbezahlten Löhne können nicht für den Konsum der Investitionsgüter gebraucht werden, da die Investitionsgüter im Moment der Produktion – sprich der Lohnzahlung – automatisch von der Unternehmung konsumiert und somit dem Gütermarkt entzogen werden. Der Lohnempfänger kann das Objekt seines Einkommens – das Investitionsgut – nicht konsumieren, da die investierende Unternehmung dieses durch die Bezahlung der Löhne „produktiv konsumiert“. Der Lohn des Lohnempfängers im Investitionsgütersektor ist somit leer – jedoch an dieser Stelle noch nicht inflationär. Sein Lohn wird exakt aufgefüllt durch die Konsumgüter, über welche Unternehmung durch das Erwirtschaften von Profiten in der vorherigen Periode Kaufkraft erlangt haben. Somit findet der Lohn des Lohnempfängers einen „Ersatzinhalt“ auf dem Gütermarkt und übt keinen inflationären Druck auf das Preisniveau aus. Die Emission von Leergeld, welche durch die Investition von Profiten auf dem Arbeitsmarkt geschieht, erzeugt demnach noch kein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Mit den Löhnen im Investitionsgütersektor können gerade diejenigen Konsumgüter gekauft werden, welche in der Periode der Profitformation unverkauft blieben.
    Die Anomalie im gegenwärtigen System liegt darin, dass investierte Profite noch immer auf dem Finanzmarkt zur Verfügung stehen, obschon sie bereits ausgegeben und in Fixkapital transformiert wurden (Cencini, 2005, S. 163). Die gegenwärtige Buchhaltungsstruktur von Banken respektiert den Unterschied zwischen Geld, Einkommen und Kapital nicht, weshalb Transaktionen falsch verbucht werden. Die Investition von Profiten in Kapitalgüter durch Unternehmungen sollte dazu führen, dass diese Einkommen für immer fixiert werden, da das dazu verwendete Einkommen für immer in Kapitalgüter transformiert wird (Konsumgüter werden de facto durch Kapitalgüter substituiert). Einkommen sollte einmal entstehen – in der Lohnzahlung – und einmal zerstört werden – in der Konsumzahlung. Die Produktion von Kapitalgütern führt heute dazu, dass dieselben Einkommen zweimal ausgegeben werden: Einmal auf dem Faktormarkt, wo Unternehmen Kapitalgüter kaufen, indem sie den Lohnempfängern Einkommen transferieren, und einmal auf dem Gütermarkt, wo die Lohnempfänger ebendiese Einkommen für Konsumgüter ausgeben.

    Unternehmen können Kapitalgüter auf zwei Arten bezahlen: Erstens durch eine Emission von Geld, welches den neu produzierten Output monetarisiert und dadurch zu einem neuen Einkommen im System führt. Zweitens durch die Auszahlung eines bereits existierenden Einkommens. Der zweite Fall führt zu einer pathologischen inflationären Lücke zwischen Nachfrage und Angebot. In diesem zweiten Fall emittiert die Bank kein Geld, welches den neu produzierten Output monetarisieren würde. Statt dessen transferiert die Bank einfach ein Anrecht auf ein Bankdepot von der Unternehmung an den Arbeiter im Investitionsgütersektor. Das Problem besteht darin, dass die so verbuchte Investition von Profiten den Profit zwar zerstört, nicht jedoch das korrespondierende Bankdepot. Dieses Bankdepot kann von seinem Eigentümer auf dem Gütermarkt ausgegeben werden, obschon der entsprechende Output bereits von der Unternehmung gekauft wurde, als sie den Profit auf dem Faktormarkt investierte, um Fixkapital zu produzieren.

    Die Löhne im Investitionsgütersektor können nicht mehr aufgefüllt werden, wenn wegen der Abnutzung der Kapitalgüter Ersatzinvestitionen getätigt werden müssen. Die Löhne, die für die Produktion von Ersatzgütern ausbezahlt werden, werden früher oder später auf dem Gütermarkt ausgegeben und führen zu einem inflationären Profit für Unternehmungen. Dies führt einerseits zur Formation von pathologischem Kapital, andererseits definiert dieser neue Profit eine inflationäre Lücke zwischen D und S, welche nicht mehr durch Konsumgüter aufgefüllt werden und damit neutralisiert werden kann. Es entsteht eine numerische Divergenz zwischen Nachfrage und Angebot (D > S), die eigentliche Definition von Inflation.

    Es wird von Quantum Ökonomen hervorgehoben, dass Inflation und der daraus resultierende pathologische Prozess der Überakkumulation von Kapital eine makroökonomische Krankheit ist, und nicht im Verhalten der Individuen gründet. Der Grund dafür liegt in der heute noch immer fehlerhaften Buchhaltungsstruktur der Banken, welche durch eine Departementalisierung der Bankbilanzierung behoben werden könnte.

    b. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit
    Unfreiwillige Arbeitslosigkeit kann definiert werden als die Situation, in der es Menschen gibt, die arbeiten wollen, für die es jedoch keine offenen Stellen gibt. Makroökonomisch verursachte Arbeitslosigkeit muss unterschieden werden von mikroökonomisch verursachter Arbeitslosigkeit. Während Skill-Mismatch, Strukturwandel, Suchkosten oder starre Löhne und Preise mikroökonomische Bestimmungsfaktoren für Arbeitslosigkeit sein können, gibt es auch bedeutende makroökonomische Ursachen für Arbeitslosigkeit, welche nicht im Verhalten von wirtschaftlichen Akteuren gründen. Das Allgemeine Gleichgewichtsmodell von Léon Walras erlaubt heutigen Ökonomen nur mikroökonomische Analysen, welche monetäre, strukturelle Probleme nicht aufzudecken vermögen. So werden die Ursachen von Arbeitslosigkeit heute im Arbeitsmarkt gesucht, anstatt eine makroökonomische Analyse aller Märkte in Betracht zu ziehen.
    Die Überakkumulation von Kapital ist die Ursache von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, und Inflation ist wiederum die Ursache für die Überakkumulation von Kapital. Leergeldemissionen führen zu inflationären Profiten für Unternehmungen, welche wiederum für die Produktion von Kapitalgütern ausgegeben werden können. Durch diese inflationären Profite, welche sodann investiert werden können, bildet sich pathologisches Kapital. Die Kosten von Kapital, welche durch den Marktzins determiniert werden, müssen aus Profiten bezahlt werden. Wenn nun das Kapital schneller wächst als die Profite in einer Volkswirtschaft, wird das Verhältnis Profite/Kapital mit der Zeit notwendigerweise sinken. Es wird nun immer schwieriger, genügend Profite zu erwirtschaften, um die Kapitalkosten weiterhin zu bezahlen. Da es für Unternehmungen dadurch immer schwieriger wird, die Formation von neuem Kapital zu bezahlen, werden sie entweder weniger investieren, oder aber ihre Profite dazu benutzen, um, anstatt in Kapitalgüter zu investieren, mehr Konsumgüter herzustellen. Im ersten Fall würde die nationale Produktion gesenkt, was zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit führt. Im zweiten Fall würde eine pathologische Überproduktion von Konsumgütern resultieren, welche zu einer deflationären Lücke zwischen Angebot und Nachfrage führt (A > N). Wenn Profite also dazu gebraucht werden, Arbeiter im Konsumgütersektor für ihre Produktion von weiteren Konsumgütern zu bezahlen, werden auf dem Gütermarkt Produkte angeboten, welchen kein Einkommen gegenüber steht. Als Resultat übersteigt das nationale Angebot die Nachfrage, was zu Preissenkungen und Entlassungen führen wird.

    c. Wechselkursschwankungen
    Die Quantum Ökonomie offeriert einen neuartigen Ansatz zur Lösung von spekulativen Wechselkursschwankungen. Die neoklassischen Theorien, welche Wechselkursschwankungen zu erklären versuchen, gründen allesamt auf der Annahme, dass Währungen wertvolle Güter sind, welche wie jedes andere Tauschobjekt auf Devisenmärkten gehandelt werden können. Ausgehend von der Erkenntnis der Quantum Ökonomie, dass Geld eine vehikulare Form ist, welche einen doppelten Eintrag in den Bankbilanzen hinterlässt, kann eine verfeinerte Analyse des Problems erarbeitet werden. Quantum Ökonomen zeigen durch die exakte Analyse der Zahlungsvorgänge auf, dass weder Leistungsbilanzungleichgewichte noch Kapitalexporte oder -importe noch Zins- oder Inflationsdifferenzen zu Fluktuationen der Wechselkurse führen können. Die einzige Transaktion, welche den Wechselkurs zwischen zwei Währungen verändert, ist eine Transaktion auf dem Devisenmarkt (Cencini, 2005, S. 220). Währungen haben die Funktion eines Zahlungsmittels. Entgegen ihrer Natur werden Währungen in Devisenmärkten heute jedoch behandelt, als wären sie selbst Tauschobjekte. Jedes mal, wenn eine Bank eine Zahlung für zwei Klienten ausführt, wird Geld simultan kreiert und zerstört, da Geld ein augenblicklicher Fluss ist, durch welchen der Zahler belastet wird und der Bezahlte ein Guthaben erhält. Geld existiert bloss während der Zahlung und überlebt seine Emission nicht. Im internationalen Zahlungsverkehr kann Geld jedoch selbst zu einem Tauschobjekt mutieren.

    Zur Illustration ein konkretes Beispiel: Ein Importeur aus A kauft mit Geld A (GA) von einem Exporteur aus R (Rest der Welt mit Geld R: GR) ein Produkt. Gehen wir in diesem Beispiel davon aus, dass das Bankensystem in A weder verpflichtet ist, die Fremdwährung bei der Zentralbank zu hinterlegen, noch dies will. Das Resultat der Transaktion wird das folgende sein: Das Guthaben des Importeurs gegenüber dem eigenen Bankensystem nimmt um x GA ab. Die Bank des Importeurs verschuldet sich um denselben Betrag bei einer Bank in R. Für den wahrscheinlichen Fall, dass der Exporteur in R in seiner nationalen Währung ausbezahlt werden will, wird er von seiner Bank in GR ausbezahlt, nachdem der entsprechende Wechselkurs zur Anwendung kam. Die Bank des exportierenden Landes behält dafür das in der Fremdwährung angegebene Depot als Eintrag auf der Aktivseite.

    Die Frage lautet nun: Wie geschieht der Ausgleich der Schulden und Guthaben zwischen den Banken? Die Antwort ist verblüffend: Es gibt kein Settlement. Die Zahlung ist zu Ende, der Importeur wurde um den Betrag belastet, der dem Exporteur gutgeschrieben wurde. Es gibt bis heute keine internationale Settlement-Institution, welche Schulden und Guthaben zwischen Banken mittels einer supranationalen Währung begleicht. Als Folge bleiben die Währungen der Länder untereinander heterogen; die endgültige Bezahlung eines Netto-Imports zwischen zwei Währungsräumen bleibt heute pathologischerweise unerreicht. Während die einzelnen Akteure keinen weiteren Anspruch gegenüber dem Ausland haben, besitzt die Gesamtheit von R noch immer einen Anspruch gegenüber A.

    Wenn wir das Resultat der nationalen Zahlung vergleichen mit dem Resultat der internationalen Zahlung, dann fallen die Unterschiede auf: Eine nationale Zahlung wird endgültig beglichen durch die Emission einer nationalen Währung auf dem Interbankmarkt. Die Guthaben und Schulden zwischen Banken werden beglichen, indem ihr Girokonto bei der Settlement-Institution erhöht, resp. verkleinert wird. Das Settlement wird in der Landeswährung ausgeführt, wodurch das Geld der verschiedenen Banken homogenisiert wird.

    Im Fall eines Netto-Imports des Landes A aus R wird das Depot des Importeurs zwar um denselben Betrag GA belastet, wie das Depots des Exporteurs eine Gutschrift in GR erhält. Als Resultat verbleibt jedoch ein zusätzliches Guthaben GA gegenüber A im Bankensystem von R registriert. Dieses Guthaben stellt eine makroökonomische Forderung des Währungsraums R an A dar und bezieht sich auf ein Depot, welches sich immer noch im Bankensystem von A befindet. Es handelt sich um eine pathologische Duplikation einer Währung.

    Es war der französische Ökonom Jacques Rueff, welcher als Erster die Duplikation von Währungen im internationalen Handel erkannte. "Entering the credit system of the creditor country, but remaining in the debtor country, the claims representing the deficit are (...) doubled" (Rueff, 1963). Die Duplikation von Depots stammt daher, dass ein einzelnes Bankdepot gleichzeitig im Schuldnerland und im Gläubigerland zur Verfügung steht.

    Die dadurch verfügbaren duplizierten Währungen, welche sowohl im Schuldner- wie auch im Gläubigerland registriert sind, können auf dem Devisenmarkt benutzt werden, um zu spekulieren. Spekulation mit Währungen ist deshalb ein makroökonomisches Phänomen – das Resultat (nicht die Ursache) einer monetären Pathologie. Die Duplikation von Währungen kann nicht durch die Zinspolitik von Zentralbanken verhindert werden, sondern ist das Resultat einer fehlerhaften monetären Architektur internationaler Zahlungssysteme. Spekulation – welche für einzelne Marktakteure gut oder schlecht sein kann – wird gefüttert durch das Halten von Reservewährungen, welche doppelt in den Banken registriert sind. Ein importierendes Land mit einer Schlüsselwährung – wie die USA – hat dadurch das pathologische Privileg, dass es aus dem Ausland importieren kann, ohne eine korrespondierende Kaufkraft aufgeben zu müssen. Tatsächlich kann das importierende Land durch ein reines Versprechen auf zukünftige Zahlung etwas kaufen, und muss, wenn das exportierende Land sich mit der Schuldverschreibung zufrieden gibt und ad infinitum Währungsreserven auftürmen will, selbst nichts dafür aufgeben. Es ist jedoch sofort ersichtlich, dass niemand eine Schuld endgültig begleichen kann, indem er verspricht, die Schuld in der Zukunft zu begleichen. Was durch die Errichtung von Settlement-Systemen heute bereits innerhalb nationaler Währungsräume respektiert wird, muss im internationalen Zahlungsystem noch modernisiert werden.

    Wie kann dieser Prozess verhindert werden? Indem die momentan fehlerhafte Architektur internationaler Zahlungssysteme der buchhalterischen Natur des Geldes gerecht wird. Dazu bräuchte es die Einrichtung einer internationalen Clearing-Union, welche mithilfe einer internationalen Währung die Guthaben und Schulden von Zentralbanken untereinander begleichen würde. Die internationale Währung wäre ein rein buchhalterisches Konstrukt, um verschiedene nationale Währungen untereinander zu homogenisieren und somit die endgültige Bezahlung (final payment) zwischen Währungsräumen zu gewährleisten. In einem solchen System würden die Guthaben eines Nettoexporteurs gegenüber dem Rest der Welt sofort beglichen, indem der Nettoexporteur dem Nettoimporteur automatisch (über ein Depot bei der Settlement-Institution) Wertpapiere (Aktien oder Obligationen) im Umfang seines Leistungsbilanzüberschusses abkaufen würde. Jeder Nettoexport von Waren und Dienstleistungen würde sofort ausgeglichen durch einen entsprechenden Nettoimport von Wertschriften. Somit würden die duplizierten Depots auf der Aktivseite des exportierenden Währungsraums sofort gebraucht für Käufe von Wertpapieren im selben Umfang, wodurch keine duplizierten Währungen mehr existieren würden und den pathologischen Währungskursfluktuationen ein Ende gesetzt wäre.

    4. Reformvorschläge
    Makroökonomie ist eine eigenständige Wissenschaft, welche Gesetze aufweist, die unabhängig vom Verhalten der Individuen gültig sind und studiert werden können. Jede Mikrofundierung beraubt die Makroökonomie ihrer eigentlichen Idee: Dass es Gesetze und Probleme gibt, die nur aus ganzheitlicher Betrachtung verstanden werden können und nicht im Verhalten der Einzelteile gründen. Wie jede Expertin, die sich mit praktischen Fragen des Zahlungsverkehrs beschäftigt, bestätigen wird, folgt eine Zahlung einer strengen buchhalterischen Logik, welche nicht vom Verhalten der jeweiligen Agenten abhängt. Die Ursachen makroökonomischer Pathologien sind denn nicht im Individuum zu finden, sondern in der heute fehlerhaften Verbuchung von Zahlungen in den Büchern der Banken. Die Reformvorschläge der Quantum Ökonomie zielen nicht darauf ab, das Verhalten von Individuen zu ändern - etwa durch ein neues Arrangement der Anreize für wirtschaftliche Akteure - sondern streben an, das monetäre System so zu gestalten, dass es die buchhalterische Natur von Geld respektiert und keine Störungen verursacht, welche den Lebensstandard der breiten Bevölkerung beeinträchtigen. Basierend auf dem neuartigen Verständnis ökonomischer Phänomene propagiert die Quantum Ökonomie zwei konkrete Reformen, welche monetäre Produktionswirtschaften von ihren makroökonomischen Krankheiten kurieren würden. Die zwei folgenden Reformen würden gemäss Quantum Ökonomen dazu führen, dass Inflation, unfreiwillige Arbeitslosigkeit und spekulative Wechselkurs- und Zinsschwankungen verunmöglicht würden.

    a. Drei Departemente der Bankbuchführung
    Im neuen System nationaler Zahlungen würden Zahlungen in drei getrennten, aber untereinander verbundenen Departementen verbucht (siehe auch Rossi, 2007, S. 126):

    (I) Im monetären Departement wird vehikulares Geld verbucht.
    (II) Im finanziellen Departement wird Einkommen deponiert.
    (III) Im Fixkapitaldepartement werden investierte Profite verbucht, welche zuvor im zweiten Departement eingetragen waren.

    Das erste und zweite Departement stellen sicher, dass keine Kreditinflation auftritt. Das dritte Departement verhindert die Emission von Leergeld, welche die makroökonomische Ursache für Inflation ist.

    Betrachten wird vorerst die ersten zwei Departemente, welche die Trennung zwischen Geld und Bankdepots gewährleisten. Es sei daran erinnert, dass Geld ein instantaner, zirkulärer Fluss und Bankdepots ein Bestand an Kaufkraft in Form eines finanziellen Anspruchs auf Produkte sind. Lohnzahlungen führen zur Entstehung eines neuen Einkommens und werden durch die Emission von Geld ausgeführt. Diese Emission würde augenblicklich im ersten Departement eingetragen und das Einkommen des Lohnempfängers würde – am Ende des Geschäftstages – ins zweite Departement transferiert. Somit wüssten Bankdirektoren zu jedem Zeitpunkt, wieviel Einkommen (und damit Output) der Wirtschaft zur Verfügung steht. Die ersten zwei Departemente verhindern somit, dass Banken mehr Geld ausleihen, als es Einkommen im System gibt. Tatsächlich gibt es heute keine institutionelle Barriere, welche es Bankdirektoren erlauben würde, zu wissen, wie viele Geld sie ausleihen dürfen, bevor eine (gutartige, aber zu vermeidende) Kreditinflation auftritt. Da Banken kostenlos, sprich durch einen blossen Federstrich, Geld emittieren und dadurch Aktiv- und Passivseite der Bankbilanz theoretisch ad infinitum erweitern können, kann eine Überemission von Geld zu einer Kreditinflation führen. Dank der Trennung des ersten vom zweiten Departement würden Bankdirektoren zu jeder Zeit exakt wissen, wie viele Kredite sie an ihre Kunden vergeben dürfen. In der heutigen, undifferenzierten Buchhaltungsstruktur werden alle Arten von Transaktionen zusammengefasst in einer einzigen Bankbilanz, wodurch es dem Zufall überlassen wird, ob Kreditinflation auftritt oder nicht (Rossi, 2007, S. 129).

    Die Unterscheidung zwischen dem zweiten und dritten Departement stellt sicher, dass Einkommen nicht mit Fixkapital verwechselt wird (Cencini, 2005, S. 312). Dadurch würde Inflation und ihre Folge, die Überakkumulation von Kapital, verhindert. Im heutigen Buchhaltungssystem von Banken wird die Investition von Profiten so verbucht, als handle es sich dabei um eine Ausgabe, wo das Einkommen in Realität in Fixkapital transformiert wird. Der Kauf von Fixkapital führt heute nicht dazu, dass das Einkommen zerstört wird, sondern das Einkommen wird als Lohn re-emittiert. Was verhindert werden muss, ist die Möglichkeit, dass investierte Profite weiterhin auf dem Finanzmarkt zur Verfügung stehen. Sobald Profite entstehen, müssen diese Profite ins dritte Departement transferiert werden. Dadurch wird sichergestellt, dass Profite nicht auf dem Faktormarkt ausgegeben werden, sondern im Fixkapitaldepartement bleiben.

    b. Internationale Clearing-Union
    Quantum Ökonomen argumentieren, dass das heutige internationale Regime des relativen Tausches ersetzt werden muss durch ein System des absoluten Tausches. Die heutige Struktur internationaler Zahlungssysteme unterwirft Währungen einem pathologischen Duplikationsprozess, durch welchen nationale Währungen - im Widerspruch zu ihren eigentlichen Funktionen - Tauschobjekte werden. Neoklassische Ökonomen erkennen dieses Problem nicht, da sie die buchhalterische Natur von Geld noch nicht erfasst haben. Viele Ökonomen unterliegen noch heute der irrigen Vorstellung, dass Geld eine Art Gut mit physikalischen Dimensionen sei (Banknoten sind streng genommen nicht Geld, sondern Anrechtsscheine auf immer noch im Bankensystem registrierte Bankdepots).
    Während nationale Zahlungen heute korrekterweise mit nationalen Währungen verbucht werden, werden internationale Zahlungen fälschlicherweise ebenfalls mit nationalen Währungen verbucht. Dies hat zur heutigen Situation geführt, in der nationale Bankensysteme Fremdwährungsreserven auftürmen, welche noch immer auf den Passivseiten der jeweiligen Länder registriert sind. Diese Fremdwährungsreserven werden - entgegen ihrer Natur - für Transaktionen auf dem Devisenmarkt genutzt, wodurch Wechselkurse spekulativen Schwankungen ausgesetzt werden und somit der Wirtschaft der jeweiligen Länder Schaden zufügen.

    Man kann Wechselkursschwankungen auf zwei Arten unterbinden. Für die erste Möglichkeit hat sich die EU entschieden: Sie hat Wechselkurse ganz abgeschafft, indem die nationalen Währungen abgeschafft wurden. Dies führt zu einem totalen Verlust monetärer Souveränität einzelner Länder, mit weitreichenden Folgen für die nationale Wirtschaft. Die zweite, heutigen Ökonomen weitgehend unbekannte Möglichkeit würde die nationale Souveränität über die Währung erhalten und verbessern. Sie besteht in der Errichtung einer internationalen Clearing-Union. Wie heute nationale Zahlungen mit nationalen Währungen verbucht werden, würden internationale Zahlungen in Zukunft durch die internationale Währung der Clearing-Union verbucht werden. Die internationale Währung würde dadurch der gemeinsame Standard für alle nationalen Währungen der Welt werden (diese jedoch nicht etwa ersetzen oder verdrängen). Diese internationale Clearing-Union würde diejenige Funktion für nationale Zentralbanken übernehmen, welche Zentralbanken bereits heute für Geschäftsbanken übernehmen: Zahlungen zwischen zwei Ländern würden durch ein RTGS-Systems der Clearing-Institution ausgeführt, indem die Importe eines Währungsraumes aus einem anderen sofort aufgewogen würden durch den automatischen Export von Wertschriften in demselben Umfang. Forderungen zwischen Währungsräumen würden so sofort ausgeglichen, und Währungen würden nur noch als Zahlungsmittel, nicht als Tauschobjekt verwendet. Die neue, pyramidale Struktur des Zahlungssystems mit der internationalen Clearing-Union an der Spitze und den nationalen Geschäftsbanken zuunterst würde den geordneten Ablauf internationaler Zahlungen gewährleisten und spekulative Wechselkursschwankungen verhindern. Diese Reform würde internationale Zahlungssysteme in Einklang bringen mit der Natur von Geld - ein reines Zahlungsmittel und kein Tauschobjekt - wodurch Länder mehr geldpolitischen Spielraum erhielten und ihre Währung effektiver kontrollieren könnten. Mangels einer internationalen Clearing-Union bleibt monetäre Souveränität für Staaten heute unerreicht.

    5. Literatur
    Schmitt, B. (1960): La formation du pouvoir d’achat, Paris: Sirey.
    Schmitt, B. (1966): Monnaie, salaires et profits, Paris: Presses Universitaires de France.
    Schmitt, B. (1972): Macroeconomic Theory. A Fundamental Revision, Albeuve: Castella.
    Schmitt, B. (1975): Théorie unitaire de la monnaie, nationale et internationale, Albeuve: Castella.
    Schmitt, B. (1984a): Inflation, chômage et malformations du capital. Macroéconomie quantique, Paris and Albeuve: Economica and Castella.
    Schmitt, B. (1984b): La France souveraine de sa monnaie, Paris and Albeuve: Economica and Castella.
    Cencini, A. (1984): Time and the Macroeconomic Analysis of Income, London and New York: Pinter.
    Cencini, A. (1988): Money, Income, and Time. A Quantum-Theoretical Approach, London and New York: Pinter.
    Cencini, A. and Schmitt, B. (1991): External Debt Servicing. A Vicious Circle, London and New York: Pinter.
    Cencini, A. (1995): Monetary Theory. National and International, London and New York: Routledge.
    Cencini, A. (2001): Monetary Macroeconomics. A New Approach, London and New York: Routledge.