Dienstag, 19. April 2011

Das Geld und die Zeit

Das Geld und die Zeit sind seit Beginn der Volkswirtschaftslehre die am schwierigsten zu integrierenden Phänomene in eine konsistente Theorie von Produktion und Tausch. Alfred Marshall erkannte, dass das Element der Zeit das "Zentrum der Problematik beinahe aller wirtschaftlichen Probleme" sei (Marshall, 1936). Da das Problem so vertrackt ist und die blosse Beobachtung oberflächlicher Phänomene schon manchem Wirtschaftstheoretiker ein Bein gestellt hat, durchschreiten wir die Fragen des Geldes und der Zeit vorsichtig, bewaffnet mit dem nützlichen Werkzeug der Logik.

Wir beginnen mit der einfachen Feststellung, dass Banken ihre Geschäftsaktivitäten seit Jahrhunderten in einer doppelten Buchführung festhalten. Die Beziehung zwischen Geld und der doppelten Buchführung von Banken ist demnach das erste Problem, das rigoros behandelt werden muss. Es wurde schon von mehreren Autoren angemerkt, dass Geld eine spontane Schuldanerkennung der Banken sei. Wenn ein Kreditnehmer sich bei der Bank verschuldet, erhält ein anderer Agent notwendigerweise und durch dieselbe Transaktion eine Gutschrift dieser Bank in demselben Umfang. Die Frage, die wir restlos klären müssen, ist, ob Banken solche Geldemissionen frei von jeglichen Restriktionen machen können.

Geld ist eine Emission, weil seine Zirkulation augenblicklich ist, und keine Funktion der Zeit. Die Emission von Geld verbraucht logisch betrachtet keine Zeit. Resultat der Geldemission ist der doppelte Eintrag in die Bilanz des Bankensystems. Die Emission selbst - die Eintragung des Geldes in die Bücher des Bankensystems - benötigt bloss einen Augenblick. In der Sprache der Physik: Die Emission von Geld benötigt bloss einen Punkt auf der kontinuierlichen Gerade der Zeit (siehe Abb. 1). Das Resultat der Geldemission sind in den Bankbilanzen festgehaltene Depots. Praktisch kann selbstverständlich eine Transaktion mehrere Sekunden dauern - eine internationale Large-Value-Zahlung kann beispielsweise gut und gerne 40 Sekunden dauern, je nach Software des Zahlungssystems. Wir sind jedoch nicht an technologischen oder physikalischen Repräsentationen des Geldwesens interessiert, welche ein wichtiges Fachgebiet für sich darstellen, sondern an der ökonomischen Bedeutung monetärer Phänomene.

Abb. 1: Die Emission von Geld in der Zeit


Bereits hier müssen wir den vorsichtigen Leser um eine notwendige Differenzierung bitten: Es gilt in der Volkswirtschaftslehre zu unterscheiden zwischen der logischen Existenz und der physikalischen Repräsentation eines Phänomens. Geld, das bemerkten bereits Ökonomen vor beinahe 250 Jahren, hat keine materielle Substanz. Der grosse Ökonom und Geldtheoretiker Sir James Steuart schrieb bereits 1767, dass Geld unmöglich eine physikalische Substanz haben könne. Da es Preise gebe, so Steuart, müsse ein absoluter Wertmassstab existieren. Geld sei dieser absolute Wertmassstab. Da materielle Substanz, wie Gold oder Silber, jedoch selbst im Wert schwankt, kann der absolute Wertmassstab unmöglich physikalischer Natur sein. Somit könne Geld selbst keine materielle Ware sein. Wäre Geld eine materielle Ware - das wussten die Klassiker sehr genau - könnten nur Tauschverhältnisse (2 Laib Brot = 1 Liter Milch) existieren, jedoch keine absoluten Preise. Adam Smith (1776, S. 385) bekräftigte Steuarts Einsicht, dass Geld keine Ware sei, neun Jahre später: "The great wheel of circulation (money) is altogether different from the goods that are circulated by means of it." David Ricardo bestätigte Steuarts und Smiths Ansichten, dass Geld selbst keine Ware sein könne, und suchte bis an sein Lebensende nach dem absoluten Wertmassstab. Als Ricardo starb, fand man in seinem Pult ein Blatt Papier mit dem Titel "The Invariable Measure of Value" - ohne Text. Die Frage des absoluten Wertmassstabs konnte Ricardo bis ans Lebensende nicht beantworten.

So gesehen muss es den Ökonomen, der vertraut ist mit der bewegten Geschichte unserer Wissenschaft, weniger erstaunen als bestätigen, dass Geld ein dimensionsloses Phänomen ist. Léon Walras, dessen Allgemeines Gleichgewichtsmodell die Grundlage der heutigen Neoklassik darstellt, fügte Geld als dimensionsloses Numéraire in sein Modell ein. Geld ist bei ihm ein rein numerisches "Ding", welches auf Gütermärkten gegen Waren getauscht wird und somit relative Preise ermöglicht. "Le mot franc est le nom d'une chose qui n'existe pas", schrieb Walras deshalb, und hatte teilweise recht: Geld existiert nicht physikalisch, sehr wohl aber numerisch. Die fragwürdige Behauptung, es existiere nicht, widerspricht unserer tagtäglichen Erfahrung, dass Güter und Dienstleistungen nur mit Geld bezahlt werden können. Dummerweise verpasste es Walras in seiner Theorie komplett, die buchhalterische Logik des Geldes zu erfassen und die Integration von Produktion mit Geld zu verstehen, weshalb die "nominale" und die "reale" Welt bei den heute dominierenden Neoklassikern komplett getrennt sind. Walras fügte das Numéraire als Gut in das Kontinuum handelbarer Güter in sein Modell ein, das die aussergewöhnliche Eigenschaft besitzt, dass es rein numerisch existiert. Die magische Umwandlung eines Guts in eine Zahl per Annahme ist die wissenschaftliche Ursünde der Neoklassik, aufgrund derer sie sich nachhaltig aus dem Garten der Wissenschaften ausschloss. Sie verstösst gegen die grundlegendsten Gesetze der Logik - ein Gut kann nicht per Annahme in eine Zahl verwandelt werden - und gegen die klar beobachtbare Tatsache, dass Geld einer buchhalterischen Logik folgt ("the essential principle of banking", wie Keynes dies nannte). Geld wird infolgedessen von den Neoklassikern gleichzeitig als wertvolle Ware und als wertloser Schleier definiert, ein Widerspruch, welcher die Absurdität der neoklassischen Geldtheorie anschaulich offenlegt.

Die Erkenntnis klassischer und neoklassischer Ökonomen, dass Geld nicht materiell, sondern bloss numerisch existieren könne, führt uns unweigerlich zur Einsicht, dass monetäre Phänomene konzeptuell-logisch angegangen werden müssen, und dass wir mit mechanischen oder physikalischen Metaphern in der Geldtheorie nicht weiterkommen. Deswegen ist es keine blosse Vereinfachung, sondern eine konzeptuelle Notwendigkeit, dass wir die Emission von Geld als eine Aktion beschreiben, welche keine Zeit beansprucht. Die Abstraktion von physikalischen Repräsentationen ist tatsächlich keine vereinfachende Annahme, sondern eine konzeptuelle Notwendigkeit für das Verständnis ökonomischer Phänomene. Zur Illustration: Ein Bankdepot kann gespeichert werden auf Pergament, Steintafeln oder moderner Buchhaltungssoftware wie heutzutage Avaloq oder Finnova - diese Repräsentationsformen ändern nichts an der ökonomischen Bedeutung von Bankdepots, welche konzeptuell - unabhängig von der physikalischen Repräsentation - verstanden werden müssen.

Die Existenz von Banknoten und Münzen, welche offensichtlich physikalische Dimensionen aufweisen, ändert an unserer Analyse nichts. Diese sind tatsächlich bloss Anrechte auf immer noch im Bankensystem gespeicherte Depots, namentlich diejenigen Bankdepots, welche auf der Passivseite der Zentralbank gespeichert sind (unter dem Titel "Notenumlauf"). Banknoten und Münzen sind demnach selbst nicht Geld, sondern rechtliche Ansprüche auf Bankdepots. Wer an der genauen Funktionsweise einer Emission von Banknoten interessiert ist, kann das in diesem Artikel nachlesen. Für diesen Aufsatz ist die Existenz von Banknoten weiter nicht von Belang. Es soll hier genügen, anzudeuten, dass in nicht allzu ferner Zukunft Noten und Münzen völlig verschwinden könnten, und ausschliesslich mit Bucheinträgen bezahlt wird. Heutige Banken und moderne Zahlungssysteme hätten mit dieser Entwicklung, die einzig von den Bedürfnissen der Öffentlichkeit abhängt, keine praktischen Umsetzungsprobleme.

Da Banken Geld durch einen blossen Federstrich, respektive einen elektronischen Impuls, emittieren können, sollte nun die Frage beim Leser auftauchen, ob Banken denn durch diese Emission selbst Wert einfach aus dem Nichts ("ex nihilo") kreieren können. Erinnern wir uns: Wenn ein Konsument bei einer Bank einen Konsumkredit beanträgt und damit - sagen wir - ein Haus kauft, braucht das Bankensystem bloss zwei Einträge zu machen: auf der Aktivseite notiert die Bank die Schuld des Konsumenten, auf der Passivseite notiert die Bank das Guthaben des Hausverkäufers. Diese Einträge - einer positiv, einer negativ - sind die zwei buchhalterischen Abdrücke desselben Phänomens: Geld. Für diesen Eintrag braucht es, halten wir das unmissverständlich fest, keine bereits existierende Ersparnisse im Bankensystem und keine Zentralbank, welche "Liquidität" zur Verfügung stellt. Die Emission von Geld durch die Bank wurde vollzogen durch den augenblicklichen, doppelten Eintrag in die Bankbilanz. Wäre es für Banken wirklich möglich, Einkommen "aus dem Nichts" entstehen zu lassen, durch einen kostenlosen Buchungseintrag, wäre dies tatsächlich skandalös. Doch glücklicherweise hält sich das monetäre System an weltliche Gesetze - Schöpfung ex nihilo ist göttlichen Wesen vorbehalten und hat in einer weltlichen und wissenschafltichen Analyse des Geldwesens nichts zu suchen.

Um die Frage rigoros zu beantworten, muss an dieser Stelle die Verbindung zwischen Produktion und Geld hergestellt werden. Obschon buchhalterische Kenntnisse eine notwendige analytische Voraussetzung für das Verständnis von Geld sind, lässt sich die Volkswirtschaftslehre mitnichten auf Buchhaltung reduzieren! Volkswirtschaftslehre ist die Lehre von Produktion und Tausch. In der heutigen monetären Produktionswirtschaft sind beide Phänomene - Produktion und Tausch - monetär: Der produzierende Arbeiter wird für seine Arbeit mit Einkommen entlöhnt und Tausch geschieht durch den Austausch von Gütern und Dienstleistungen gegen Einkommen. Produktion und Tausch müssen deshalb mit der Logik der Geldemissionen integriert werden, um unser Verständnis der wirtschaftlichen Realität zu erweitern und Lösungen für allfällige monetäre Pathologien zu finden.

Natürlich kann keine Bank - weder Zentralbanken noch Geschäftsbanken - durch ihre Geldemissionen neue Einkommen generieren (durch ihre zeitintensiven Dienstleistungen hingegen schon). Zahlungen, welche durch Geldemissionen der Banken getätigt werden, müssen ein reales Objekt haben, auf das sie sich beziehen. Analysieren wir die zwei typischsten Fälle, in welchen Banken Zahlungen für ihre Kunden tätigen.

  1. Eine Lohnzahlung. Hier verschuldet sich eine Unternehmung beim Bankensystem (= erhöht ihre Nettoverschuldung) und zahlt dafür ihren Arbeiter aus, welcher dafür ein Guthaben erhält (= seine Nettoverschuldung senkt). Das Objekt der Zahlung ist offensichtlich das Produkt, das der Arbeiter für die Unternehmung herstellte.
  2. Eine Konsumzahlung. Hier verschuldet sich ein Arbeiter beim Bankensystem (= senkt sein Nettoguthaben) und bezahlt dafür eine Unternehmung, welche von der Bank ein Guthaben erhält (= ihre Nettoverschuldung senkt). Das Objekt der Zahlung ist offensichtlich das Produkt, das der Arbeiter von der Unternehmung abkaufte.

Der skeptische Leser wird zu Recht anmerken, dass es noch mehr Arten von Transaktionen gibt. Tatsächlich schöpfen diese zwei Fälle das ganze Spektrum möglicher Zahlungen nicht aus; es gäbe noch weitere - insbesondere Zahlungen für Wertschriften auf dem Primär- und Sekundärmarkt und internationale Zahlungen zwischen zwei Währungsräumen bedürfen einer weitergehenden Analyse. Doch irgendwo müssen wir schliesslich beginnen.

Die Emission von Geld selbst führt zu keinem neuen Vermögen in einer Volkswirtschaft. Um die metaphysische Wertschöpfung der Banken durch reine Buchungseinträge konzeptuell zu umgehen, brauchen wir bloss den Prozess der Zahlung genauer zu untersuchen. Im Moment der Lohnzahlung (Fall 1) verschuldet sich die Unternehmung bei der Bank, um dem Arbeiter den Lohn ausbezahlen zu können. Die Einträge in der Bankbilanz durch diese Emission von Geld werden wie folgt aussehen (Abb. 2):

Abb. 2: Lohnzahlung auf dem Faktormarkt
Wiederholen wir den Vorgang, da altbekannte Begriffe neuartig verwendet werden. "Geld" ist derjenige augenblickliche Fluss (siehe Abb. 1), welcher die endgültige Bezahlung des Arbeiters durch die Unternehmung via Bank ermöglicht. Nur durch die Emission von Geld (nur Banken können Geld emittieren) ist es überhaupt möglich, den Arbeiter endgültig zu bezahlen. "Depots" sind das Resultat der Zahlung. Diese sind die zwei Einträge, welche als buchhalterische Abdrücke in den Bankbilanzen registriert werden und die Auszahlung des Arbeiters durch die Bank bestätigen.

Was ist das Objekt dieser Geldemission auf dem Faktormarkt? Die Frage ist nun leicht beantwortet: das Produkt des Arbeiters. Durch die Bezahlung des Lohnes kann die Unternehmung den Arbeiter für seine eingesetzte Arbeitszeit entlöhnen und das von ihm produzierte Gut für den späteren Verkauf lagern. Die Produktionskosten entsprechen somit exakt den ausbezahlten Löhnen, wodurch den Arbeitern wiederum die Kaufkraft über die Produkte zur Verfügung gestellt wird. Es sei hier angemerkt, dass die Lohnbezüger nicht notwendigerweise über all ihre hergestellten Produkte Kaufkraft verfügen, da Unternehmen durch einen Mark-up über die Faktorkosten Profite erwirtschaften und somit die Kaufkraft vermindern können. Die makroökonomische Erklärung von Profiten ist ein wichtiges und komplexes Thema, welches (aus Zeitmangel des Verfassers) hier nicht weiter besprochen werden soll.

Wir haben gesehen, dass die Banken zwei Funktionen ausüben. Erstens haben sie eine monetäre Funktion: Sie emittieren die notwendigen Geldeinheiten, welche Zahlungen zwischen wirtschaftlichen Akteuren ermöglichen und somit das Objekt der Bezahlung monetarisieren (sprich eine numerische Dimension verleihen). Zweitens haben Banken die Funktion eines Finanzintermediärs: Sie registrieren die aus den Zahlungen resultierenden Depots in ihren Büchern. Danach wurde festgehalten, dass Geld bloss eine numerische Form, resp. Hülle, ist. Obschon die Emission von Geld in der Praxis mit einem beinahe kostenlosen Federstrich vollzogen werden kann, kann Geld nicht völlig frei emittiert werden; ihre Emission ist an Produktion gebunden.

Während Geld ein augenblicklicher Fluss ist, welcher eine Zahlung zwischen Akteuren ermöglicht, ist Einkommen eine Bestandesgrösse. Einkommen entsteht derweil nicht durch die Emission von Geld, sondern durch Produktion. Aber was bedeutet es, wenn wir sagen, dass Produktion Einkommen generiert?

Wir können bereits mit einiger Sicherheit sagen, dass Produktion die Quelle von Output und Einkommen ist. Ausserdem wissen wir, dass Output und Einkommen nichtadditiv sind - es handelt sich nicht um zwei getrennte Vermögensmassen, welche addiert werden können. Bereits Adam Smith (1776, S. 385) hielt dies klar und deutlich fest, als er schrieb: "The revenue of the society consists altogether in those goods, and not in the wheel (money) that circulates them." Da Produktion die Quelle von Einkommen sein muss und Output und Einkommen nicht addiert werden, müssen Einkommen und Output die zwei Seiten desselben Ereignisses darstellen. In anderen Worten: Produktion führt zur gleichzeitigen Entstehung von Output und seinem monetären alter ego - Einkommen.

Es wäre nun nicht korrekt, zu behaupten, Einkommen entspreche, oder sei gleich gross wie Output, da dies bedeutete, dass Einkommen und Output zwei separate Phänomene wären, die zufälligerweise gleich gross sein könnten. Wir können mit grosser Sicherheit sagen, dass Output und sein "monetärer Klon" - Einkommen - das Resultat desselben Prozesses sind, die zwei Seiten einer einzigen Münze. Output und Einkommen sind identisch. Sie sind die zwei Aspekte desselben ökonomischen Phänomens und stellen gewissermassen eine zweiseitige Einheit dar. Die Identität ist die engste und strengste Form logischer Operatoren: Identische Objekte sind nicht unterscheidbar. Dies trifft bei Einkommen und Output zu.

Zeit ist die conditio sina qua non für die Existenz für Produktion, sprich für die Schaffung von ökonomischem Wert. Der grosse Ökonom Léon Walras, Urheber der "Magna Charta der Neoklassik" (Zitat J. A. Schumpeter), spürte intuitiv, dass Produktion nicht in sein Allgemeines Gleichgewichtsmodell passte. Produktion konnte er nicht als Funktion ausdrücken, denn die Zeit wäre eine notwendige Variable dafür gewesen (die Cobb-Douglas-Funktion - Y = F(A, K) - aggregiert unerlaubterweise Arbeit mit Kapital zu Output, ohne die Masseinheit zu nennen - die Cobb-Douglas Funktion gehört deshalb in ein dadaistisches Museum, nicht in eine Universität). Er schloss deshalb die Schaffung von ökonomischem Wert ganz aus seiner "reinen Theorie des Tausches" aus. In seinen Worten: "Thus the theory of economic production of social wealth, that is, of the organization of industry under a system of division of labour, is an applied science. For this reason we will call it applied economics." Ökonomie ist jedoch die Lehre von Produktion und Tausch. Zu behaupten, nur der Tausch von wertvollen Gütern müsse theoretisch erfasst werden, die Schaffung dieser Werte jedoch nicht, ist so esoterisch, wie es sich anhört. Im Allgemeinen Gleichgewichtsmodell hat die Zeit keinen Platz - alle Gleichungen werden simultan gelöst. Das hat im Entferntesten nichts zu tun mit der Realität. Ohne Zeit keine Produktion, keine tauschbaren Werte, keine Wirtschaft überhaupt.

Arbeit ist die einzige Quelle von ökonomischem Wert. Der ökonomische Wertbegriff muss dabei strikt getrennt werden von psychologischen Wertbegriffen. Nur in der Ökonomie wird Wert ausgedrückt durch einen Preis, welcher der soziale Ausdruck von Wert in einem monetären System ist. Kapital selbst entsteht ebenfalls durch Arbeit, wie bereits von vielen Ökonomen bemerkt wurde, und assistiert den Arbeitern bei der weiteren Produktion. Während dem Produktionsprozess verändert Arbeit durch den willentlichen Einsatz von Energie Materie in eine für Menschen nützliche Form. Es wäre jedoch falsch, Arbeit selbst als Vektor im Raum zu verstehen - somit wäre Arbeit nichts anderes als eine Geschwindigkeit, ähnlich wie in der klassischen Mechanik. In der klassischen Mechanik ist das Produkt von Geschwindigkeit und Zeit = Distanz (v*t=d). In der Ökonomie ist dieser Vergleich mit der Mechanik zum Scheitern verurteilt: Arbeit mal Zeit ist nicht das Produkt. In der Mechanik existiert der zu durchschreitende Raum bereits, bevor er durchschritten wurde. In der Ökonomie entsteht der Raum (das Produkt) erst durch die Arbeit. Oder anders ausgedrückt: Arbeit kann keine Funktion der Zeit sein - wie eine Geschwindigkeit - da die Masseinheiten dann nicht übereinstimmen. Egal, wie man die Masseinheit von Arbeit wählt - in Joule oder Sekunden beispielsweise - die Multiplikation mit einer Zeiteinheit ergibt nicht die Masseinheit des Produkts, welches stets in einer Währung ausgedrückt werden muss. Wenn wir uns an die Regeln der Logik halten wollen, können wir Arbeit deshalb nicht als Funktion der Zeit betrachten. Statt dessen quantiziert Arbeit die produktive Zeit, welche eingesetzt wurde, um ein nützliches Produkt herzustellen. Die Bezahlung von Löhnen definiert schliesslich die ökonomische Produktion, da die Bezahlung der Löhne via Bankensystem erstmals die numerische Recheneinheit liefert, um das relevante Zeitquantum zu messen.

Wir können deshalb zusammen fassen: Arbeit ist keine Bewegung im Raum wie die Geschwindigkeit in der klassischen Mechanik, sondern eine Bewegung in der Zeit. Die Arbeit ist jedoch keine Funktion der Zeit. Die Arbeit quantiziert hingegen die Zeit, welche es braucht, um ein Produkt herzustellen. Durch die Bezahlung des Arbeiters wird das Zeitquantum - welches nun in der Form eines Produktes (Output) existiert - in Zahlen gemessen, wodurch Einkommen entsteht. Arbeit quantiziert Zeit, die Bezahlung der Löhne durch die Verwendung von buchhalterischem Bankgeld "zählt" das relevante Zeitquantum, welches nun als ökonomisches Produkt existiert. Die augenblickliche Emission von Geld durch das Bankensystems ist demnach gleichzeitig eine Emission eines Zeitquantums in Form von Output.

Produktion selbst ist deshalb das augenblickliche Ereignis, in welchem Löhne ausbezahlt werden. Durch diesen augenblicklichen Prozess (siehe Abb. 1 und 2) wird Output in seine monetäre Form gegossen, durch die Emission von vehikularem Geld. In diesem Sinne ist Geld eine vehikulare Form, ein Gefäss, welches physikalischem Output erstmals eine numerische Dimension verleiht. Durch die Lohnzahlung wird Output in Einkommen getauscht.

An dieser Stelle müssen wir den Leser um eine weitere, schwierige Unterscheidung bitten, welche gewöhnungsbedürftig, aber absolut notwendig für das Verständnis monetärer Ereignisse ist: die Unterscheidung zwischen relativem und absolutem Tausch. Ein relativer Tausch ist ein Tausch zweier autonomer Objekte. Nach dem Tausch zweier autonomer Objekte existieren beide weiter unabhängig voneinander. In einer monetären Produktionswirtschaft haben wir es jedoch nicht mit relativem Tausch zu tun - es herrscht hier der absolute Tausch vor: der Tausch eines Objektes mit sich selbst. Dies soll bald klar werden: Wir wissen immerhin, dass durch die Lohnzahlung der Lohnbezüger ein Einkommen erhält und somit die Unternehmung den Output behalten kann. Da, wie wir gesehen haben, Einkommen und Output jedoch keine autonomen Objekte, sondern die zwei Seiten desselben Objektes darstellen, macht ein relativer Tausch von Einkommen gegen Output überhaupt keinen Sinn. Einkommen und Output existieren nicht autonom voneinander, sondern als Einheit. Der Gedanke des absoluten Tausches ist somit nicht allzu schwer zu fassen: durch die Emission von Geld wird dem Arbeiter ein Einkommen ausbezahlt, welches vor der Produktion nicht existierte. Das bedeutet, dass Einkommen und Output erst mit der Bezahlung des Lohns entstehen. Durch die Emission von Geld werden Einkommen und Output identisch gesetzt - Output wird dadurch in Einkommen "vertauscht". Das Resultat der Lohnzahlung kann wie folgt abgebildet werden.
Abb. 3: Resultat des absoluten Tausches, welcher die Produktion definiert

In Abbildung 3 erkennen wir die strenge Logik der buchhalterischen Natur von Geld, welche stets zu einer äquivalenten Gut- und Lastschrift führen muss. Es ist innerhalb der buchhalterischen Logik unmöglich, dass Gutschriften und Lastschriften divergieren. Ebenfalls ersichtlich ist, dass der Lohnbezüger durch die Lohnzahlung sein Einkommen in der Form eines Bankdepots erhalten hat, während die Unternehmung eine Schuld beim Bankensystem hat. Das Objekt der Schuld ist der Output, den die Unternehmung lagert und zum Verkauf bereit hält.

Unter dieser Betrachtung können wir nun erstmals die keynesianischen Identitäten richtig verstehen, welche Keynes explizit nicht als Gleichgewichtsbedingungen postulierte: Keynes war deutlich, als er unterstrich, dass Sparen und Investieren keine Gleichgewichtsbedingungen seien, sondern Identitäten, welche zu keinem Zeitpunkt voneinander abweichen können:

"in any passage in which I seem to regard the adjustment of investment and saving as a process occupying time, I agree with you that I am expressing myself incorrectly and departing from my own ideas". (Keynes, 1973: 581)

Bei Betrachtung der Abbildung 3 fällt den auf, dass das Einkommen des Lohnbezügers - in Form eines Bankdepots - seine Ersparnisse bilden, während dem der von der Unternehmung gelagerte Output die Investitionen sind. Es folgt daraus, dass Ersparnisse und Investitionen nicht nur unter gewissen Bedingungen (funktionierender Zinsmechanismus, etc.) gleichzusetzen sind, sondern aufgrund monetärer Logik in jedem Zeitpunkt identisch sind; Ersparnisse sind, wie der südafrikanische Geldtheoretiker Basil Moore richtig festhielt, der buchhalterische Fussabdruck ("accounting record") von Investitionen. Ausserdem können wir sehen, dass Angebot (Output) und Nachfrage (Einkommen) stets notwendigerweise identisch sind, womit die geniale Intuition von Jean-Baptiste Say bestätigt wird.

Abb. 4: Die logischen Identitäten von Keynes sind keine Gleichgewichtsbedingungen

Betrachten wir noch den 2. Fall - die Konsumzahlung. Wenn der Leser die letzten drei Abbildungen ansieht und sich nun den Vorgang der Konsumzahlung durchdenkt, muss ihm auffallen, dass Konsum das durch die Produktion entstandene Einkommen durch einen absoluten Tausch wieder zerstört. Sowohl das (positive) Depot des Lohnbezügers als auch das (negative) Depot der Unternehmung werden durch den Konsum gelöscht. Der Output wird auf dem Produktemarkt aufgekauft und existiert fortan bloss noch als Konsumentennutzen. Ökonomisch betrachtet wird der Output und das Einkommen mit dem Konsum somit zerstört. Von dieser Erkenntnis gibt es kein Entrinnen: Wenn Produktion zu einem neuen Einkommen für die Volkswirtschaft führt, wie wir unmissverständlich dargelegt haben, muss die umgekehrte Aktion - Konsum - notwendigerweise zur Zerstörung von Einkommen führen. Wenn Produktion ein neues Einkommen kreiert, Konsum diese Einkommen jedoch konservieren würde, würden sich Einkommen notwendigerweise unendlich auftürmen. Die offensichtliche Absurdität dieser Aussage krönt die theoretische Verirrung neoklassischer Ökonomen aller Couleur.

Um die Zeit in die Analyse zu integrieren, muss sich der Ökonom deshalb damit befassen, wie wir Produktion definieren wollen. Geld ist zwar ein dimensionsloses, numerisches Vehikel, jedoch braucht es eine reale "Ladung". "Credit must have a real, not an imaginary object to support it", schrieb Sir James Stuart bereits 1767.

Die neoklassische Ökonomik betrachtet Produktion als einen Prozess physikalischer Transformation, welcher traditionell die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden involviert. Aus offensichtlichen Gründen müssen wir diese physikalistische Definition ablehnen. Wenn wir Produktion rein physikalisch beschreiben würden, müssten wir viele andere Aspekte miteinbeziehen: Wind, Sonnenlicht und Gravitation müssten ebenso als Produktionsfaktoren aufgelistet werden, da ihr Vorhandensein notwendige Voraussetzung für die physikalische Transformation von Materie ist. "Wenn Bienen verschwinden, hat der Mensch noch vier Jahre zu leben", polemisierte Einstein -  Bienen sollten deshalb gemäss Neoklassik ebenfalls Produktionsfaktor sein. Die Absurdität der Argumentation sollte nun offensichtlich sein.

Arbeit ist, wie die Klassiker bereits wussten, der einzige Produktionfaktor. Arbeit ist selbst keinesfalls eine Ware, welche mit Einkommen gekauft wird, sondern ist die Urheberin von Einkommen. Einkommen wird simultan mit Wert determiniert. Vor der Bezahlung von Löhnen gibt es keinen ökonomischen Wert und Einkommen existiert nicht. Output existiert während der physikalischen Transformation erst als physikalisches, noch nicht als ökonomisches Objekt. Erst durch die Bezahlung von Löhnen wird Geld mit physikalischem Output assoziiert, und der Output, indem er einen Wert erhält, wird das ökonomische Objekt von Einkommen.

Wer nun argumentiert, dass die Produktionsfaktoren Kapital und Boden ebenfalls bezahlt werden müssen mit Zinsen und Bodenrenten, verkennt, dass alle Produktionskosten Lohnkosten sein müssen (Zahlungen zwischen Unternehmen für Leistungen untereinander kürzen sich exakt weg). Bodenrenten und Zinsen werden mit Einkommen bezahlt, welche zuvor an Lohnbezüger für ihre Arbeit ausbezahlt werden mussten. Anders, vielleicht klarer ausgedrückt: Zinsen und Bodenrenten sind nicht zusätzliche Einkommen, sondern werden mit Einkommen aus Arbeit bezahlt. Alle Einkommen sind somit Lohneinkommen. Es muss denn sofort einleuchten, dass in einem Land, in dem keine Löhne ausbezahlt werden (z.B. bei reiner Sklavenarbeit), der Output nicht an die Arbeiter verkauft werden kann, da keine Einkommen existieren. In einer solchen Ökonomie gäbe es weder Einkommen noch Preise noch Geld, es wäre eine reine Tauschökonomie - Produktion und Tausch könnten rein physikalisch erklärt werden. In einer solchen Realtauschökonomie könnten auch keine Kapitalkosten (Zinsen) oder Bodenrenten bezahlt werden, da eine Unternehmung in einem solchen System keine Umsätze erzielt. Dieses Gedankenspiel macht deutlich, dass Arbeit die einzige Quelle von Output und (somit) Einkommen ist. Halten wir hier deshalb fest, dass alles Einkommen durch Produktion entsteht, und Arbeit allein für die Produktion mit Einkommen entlöhnt wird.

Vergleichen wir das mit der herkömmlichen, neoklassischen Betrachtung von Einkommen. Gemäss dieser Theorie fliesst Geld innerhalb einer gewissen Zeitperiode von A nach B. Der totale Geldfluss innerhalb einer gegebenen Zeitperiode und seine Geschwindigkeit sind somit Funktionen der Zeit. Die alte Quantitätsgleichung von Irving Fisher PQ=MV, welche historisch weit zurück reicht, ist die bekannteste Formel dieser kuriosen Theorie. In Fishers eigenen Worten: "The distinction between capital and income is not like the mere relative distinction between lakes and rivers, but is like the absolute distinction between the amount of water at an instant of time (in lake or river), on the one hand, and the flow of water during a period of time (through lake or river), on the other." Einkommen - in Geld gemessen - ist bei Neoklassikern also ein "Strom während einer Zeitperiode". Gemäss dieser Theorie muss der Geldstrom umso kleiner sein, je grösser die Geschwindigkeit des Geldes ist, damit letzten Endes dieselbe Menge Geld pro Zeiteinheit fliesst. Wir brauchen nicht viel Zeit darauf zu verwenden, um die Absurdität dieser Theorie deutlich zu machen:  Diese Theorie würde in der Realität bedeuten, dass eine Zahlung von £100 ebenso gut mit £50 oder mit £10 getätigt werden kann, je nachdem, wie schnell das Geld eintrifft. Dieser Unsinn müsste stimmen, wenn wir Geld als eine Stromgrösse in der kontinuierlichen Zeit verstehen würden, wie dies die Neoklassik propagiert. Hätte Logik irgendeine Rolle in der neoklassischen Wirtschaftstheorie, würde die Lächerlichkeit dieser Theorie schnell erkannt.

Da Geld aus ökonomischer Sicht nicht physikalisch, sondern nur konzeptuell verstanden werden kann - wie dies verschiedene Ökonomen vor gut 250 Jahren bereits erkannten - ist es überhaupt sinnlos, von einer "Umlaufgeschwindigkeit" zu sprechen. Was keine Ausdehnung im Raum besitzt, kann sich nicht im Raum - von A nach B - verschieben. Geldtheoretiker, welche einen wissenschaftlichen Anspruch an sich stellen, sollten sich nicht physikalischer Begriffe bedienen, wie "Liquidität", "Umlaufgeschwindigkeit" oder "Geldpumpen", sondern sollten von Transaktionen, Zahlungen und Depots, Schulden und Guthaben sprechen.

Produktion wird erst ökonomisch relevant, wenn Einkommen und damit simultan Preise entstehen. Wie nun dargelegt wurde, ist Produktion aus ökonomischer Sicht definiert als die Lohnzahlung des Arbeiters für seine Arbeit. Im Moment der Lohnzahlung - welche bloss einen Augenblick dauert - erhält Output seine numerische Form durch seinen Tausch mit Einkommen. Die Lohnzahlung definiert einen absoluten Tausch, da die Unternehmung kein Einkommen aufgeben muss, um den Arbeiter zu bezahlen - das Einkommen entsteht durch  die Zahlung und die Unternehmung kann den Output behalten. Einkommen definiert Output weil beide durch die Bezahlung von Arbeit assoziert werden.

Da Arbeit eine endliche Zeitspanne andauert, ist Produktion ein augenblickliches Ereignis, welches sich auf das positive Zeitintervall bezieht, während dem gearbeitet wurde. Da Produktion aus ökonomischer Sicht keine Zeit beansprucht, sich jedoch auf eine endliche und unteilbare Zeitperiode bezieht, ist Produktion eine Emission von Zeit. Aus physikalischer Sicht ist Output Materie, welche durch menschliche Energie und unter Zuhilfenahme von Kapital in eine für Menschen nützliche Form transformiert wird. Aus ökonomischer Sicht definiert Output eine finite und unteilbare Zeitperiode: ein Zeitquantum.


Quelle: Alvaro Cencini (1988): Money, Income & Time