Samstag, 13. November 2010

Die Bedeutung von Banknoten und die Mär von Seigniorage

Gemäss der geläufigen Wirtschaftstheorie - welche sich nicht für Zahlungssysteme oder Settlement-Prozesse interessiert - sind Banknoten und Münzen Schuldscheine des Staates. Laut dieser Geschichte werden Münzen und Banknoten in den Umlauf gebracht, indem der Staat - via Nationalbank - reale Güter aufkauft. Das hört sich dann in den Zeitungen so an: Die Nationalbank druckt Geld und pumpt es in die Wirtschaft. In der Folge wird erklärt, weshalb diese Metapher irreführend ist.

Tatsächlich wäre es sehr profitabel für eine Regierung, wenn sie dies tun könnte. Könnte der Staat tatsächlich mittels frisch gedruckter Banknoten Güter und Dienstleistungen kaufen, ohne sich dabei zu verschulden, würde Seigniorage existieren. Doch Seigniorage ist ein Märchen, das in einem ungenügenden Verständnis der Buchhaltungspraxis von Banken und Zentralbanken gründet. Einige Ökonomen, die den Staat einzig im Sinne Hobbes' Leviathan verstehen (wollen), argumentieren, dass der Staat aus diesem Grund das Monopol auf Bargeld bei sich behält.

Tatsächlich sind Banknoten kein Vorrecht des Staates. Wie die Geschichte des Geldes deutlich zeigt, gab es mehrere Episoden, in denen private Banken Banknoten herausgaben (im Sinne von Fiat Geld, also Papiergeld). Diese zirkulierten in einem weiten geografischen Raum und wurden dazu benutzt, Zahlungen zu tätigen. Im Mittelalter - vor allem im 14. Jahrhundert - wurden viele Märkte in Europa organisiert - der bekannteste in der Champagne. Auf diesen Märkten (resp. Börsen) wurden Tauschbücher gehalten und Guthaben und Schulden wurden abgewickelt, ohne dass eine einzige Münze den Besitzer wechselte. Tatsächlich wurden alle Schulden mit privaten Banknoten beglichen. Später, mit der Errichtung von Clearing-Häusern, wurde der Settlement-Prozess eine rein buchhalterische Angelegenheit, der auch ohne Banknoten von statten ging.

In Vereinigten Königreich benötigte es mehrere Bankreformen, die private Banken daran hinderten, eigene Banknoten in den Umlauf zu bringen. Ebenfalls war die "Bank of England" bis 1946 eine private Institution (sie pflegte jedoch enge Beziehungen zum Finanzministerium). In den USA durften Geschäftsbanken von 1863 bis 1935 eigene Banknoten herausgeben.

Doch obschon heute Zentralbanken generell zum erweiterten Kreis der Regierung gehören, bedeutet dies nicht, dass letztere ihre Ausgaben einfach mit der "Gelddruckmaschine" finanzieren kann: das würde bedeuten, dass der Staat einen neuen Schuldtitel herausgibt und die Bevölkerung höflich darum bittet, diesen doch bitte als Zahlungsmittel zu akzeptieren, obschon er diese Schuld niemals begleichen wird.

Tatsächlich verhält es sich so: Zentralbanken werden in den entwickelten Ländern relativ unabhängig von der Regierung geführt. Wenn der Staat Ausgaben tätigen muss, die er nicht mit Steuereinnahmen decken kann, dann darf der Staat Schuldscheine verkaufen - entweder an die breite Öffentlichkeit oder an die Zentralbank.

Obschon den Zentralbanken heute gesetzlich die Aufgabe obliegt, Banknoten und Münzen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, bedeutet dies nicht, dass das so emittierte Bargeld zusätzlich zu den bereits existierenden Bankdepots im Bankensystem dazugerechnet werden.

Kaufkraft existiert in originärer Form als Passivkonto in der Bilanz einer Geschäftsbank oder Zentralbank. Dort sind deine Ersparnisse in einer Software registriert. Deine Ersparnisse sind also - sagen wir das ganz einfach und deutlich - nicht in einem stählernen Tresor hinterlegt, sondern sind repräsentiert als Einsen und Nullen in Buchhaltungssoftware wie Avaloq oder Finnova. Ein Depot besteht also physikalisch betrachtet bloss aus elektronischen Impulsen. Die Emission von Banknoten erlaubt bloss die Substitution einer (immateriellen) Form finanzieller Ansprüche in eine andere (materielle) Form.

Nehmen wir also an, ein Besitzer eines Bankdepots von 10.- bei der Credit Suisse möchte Bargeld. Falls dem so ist, wird der Besitzer an einen Bankomaten gehen und Banknoten abheben. Die Credit Suisse benötigt dafür genügend Banknoten in ihren Tresoren, um die Nachfrage nach Banknoten stillen zu können. Da Banknoten Schuldtitel der Zentralbank sind, werden Banknoten von Zentralbanken nur gegen einen äquivalenten Anspruch auf Depots von Geschäftsbanken herausgegeben. Anders gesagt: die Zentralbank schenkt den Geschäftsbanken natürlich keine Banknoten, sondern tauscht ihre Schuldtitel gegen Schuldtitel der Geschäftsbanken aus.

Das bedeutet in der Praxis, dass Banknoten im Tresor der Geschäftsbank weder von der Zentralbank verkauft noch von den Geschäftsbanken gekauft wurden. Tatsächlich transformieren Geschäftsbank und Zentralbank durch ein Tauschgeschäft Schulden von Geschäftsbanken gegenüber ihren Bankkontenbesitzern in Schulden der Zentralbank gegenüber Notenbesitzern. Der Besitz einer Banknote bestätigt den Anspruch seines Besitzers auf ein Depot auf der Passivseite der Zentralbank.

Die Banknoten, die die Credit Suisse in ihren Tresoren lagert, bestätigen eine Schuld der Zentralbank an die Credit Suisse. Doch diese Schuldtitel bekommt die Credit Suisse nie und nimmer geschenkt, sondern denselben Betrag überweist die Credit Suisse gezwungenermassen (sprich per Gesetz) der Zentralbank. Diesen Betrag schuldet dann die Zentralbank der Geschäftsbank. Die reziproke Überweisung der Banknoten der Zentralbank an die Credit Suisse und der Überweisung einer äquivalenten Summe Bankdepots der Credit Suisse an die Zentralbank zeigt, dass das Ganze eine blanke Operation darstellt. Durch die Emission von Banknoten werden nicht mehr Depots geschaffen - also zum 'Buchgeld' dazugezählt - sondern es werden Depots durch Banknoten substituiert.

Die Emission einer Banknote ist also weder ein Kauf noch ein Verkauf durch den Staat, sondern eine Umwandlung eines Bankdepots in eine Banknote. Dieser Umstand wird durch einen entsprechenden Eintrag jeder Banknote auf der Passivseite der Zentralbankbilanz bestätigt.

Fassen wir zusammen: das Resultat einer Emission einer Zehnernote der Zentralbank an eine Geschäftsbank ist:

  • Bei der Zentralbank steht auf der Passivseite die Zahl 10 (unter "Notenumlauf"). Dies ist die Schuld der Zentralbank an die Geschäftsbank. Auf der Aktivseite steht das Depot 10 (unter "Giroguthaben"), das die Geschäftsbank der Zentralbank überweisen musste, um die Banknote zu erhalten.
  • Bei der Geschäftsbank steht auf der Aktivseite 10 (unter Bargeld) und auf der Passivseite das entsprechende Depot, das die Bank der Zentralbank schuldet
Sobald ein Bankkunde die die Banknote am Bankomaten herauslässt,
  • nimmt bei der Geschäftsbank ein Depot verloren (Bargeld) und gleichzeitig nimmt die Passivseite ab, resp. die Ersparnisse desselben Kunden bei der Bank.

All dies kann jederzeit in der Bilanzierungspraxis von Banken nachgeprüft werden. Dasselbe Prinzip gilt natürlich bei der Emission von Münzen.

In dieser Grafik sind alle relevanten Buchungseinträge zwischen der Geschäftsbank und der Zentralbank dargestellt. (Bitte draufklicken)

 Wieviele Banknoten im Umlauf sind, ist keine Frage der Geldpolitik. Wenn ein Bankkunde Bargeld vorzieht, hat die Geschäftsbank keine andere Wahl, als dem Kunden diese Banknote zu überweisen. Da sich elektronische Zahlungsmethoden immer grösserer Beliebtheit erfreuen, ist die Nachfrage nach Banknoten seit dem 2. Weltkrieg konstant gesunken: Während 1945 ca. 25% des Einkommens in Form von Banknoten gehalten wurde, sind es heute weniger als 10%. Es ist gut denkbar, dass die Nachfrage nach Banknoten in den nächsten Jahrzehnten ganz austrocknen wird, wenn elektronische Zahlungsmittel ganz an Überhand gewinnen. Übrigens werden über 50% des Banknotenwertes in Form von 1000er-Noten gehalten, was darauf hindeutet, dass einige Menschen ihr Erspartes lieber "unter der Matratze" lagern als in einer Geschäftsbank. Effektiv lagert ihr Depot natürlich immer noch in einer Geschäftsbilanz: auf der Passivseite der Zentralbankbilanz.


Hier die Grafik des Bargeldbestandes in der Schweiz seit 1907. Es soll hier unterstrichen werden, dass es ganz eindeutig keinen Zusammenhang zwischen der Banknotenmenge und der Inflation gibt.


10 Kommentare:

  1. Eine Monetarismus-Kritik, die sie meiner Einschätzung nach unterschrieben würden. Falls nicht, bin ich auf Einwände gespannt.

    http://www.marx-engels-stiftung.de/Texte/Inflationsgefahr.pdf

    LG TT

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  2. Werde das anschauen, sobald in von Grossbritannien zurück bin

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  3. Habe einen Kommentar auf meiner Seite nun hinterlassen:
    http://tracksofthoughts.blogspot.com/2011/01/kommentar-zu-lucas-zeises_02.html

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  4. Wie willst du Seigniorage erklären, wenn in deinen Buchungen kein Staat vorkommt. Dieser bekommt ja die Seigniorage von der ZB überwiesen.
    Du beschreibst die reine Bargeldschöpfung.
    Weiterhin gehst du nicht auf das fraktionale Bankensystem, und die Geldschöpfung der Banken ein. Guthaben der Nichtbanken bei den Banken haben nur noch wenig mit dem Bargeld zu tun.
    Trotz allem gefällt mir der kritische Geist, vorallem in anderen Artikeln.

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  5. @ Anonym: Ich erkläre nicht Seignorage, sondern erkläre, dass es ein Märchen ist. Es gibt keine Seignorage, weil es keine monetäre "Schöpfung" ex nihilo gibt, sprich aus dem Nichts. Der Staat ist nicht notwendig für das Vorhandensein von Geld (wenn du so willst, würde es auch in der staatenlose Anarchie Geld geben können, dazu braucht es bloss Banken). Das fraktionale Bankensystem kann man erst verstehen, wenn man die Logik einer Transaktion erfasst hat. Aber wenn du genauere Auskunft willst, musst du exaktere Fragen stellen (ich bin beruflich Geldtheoretiker, beantworte also solche Fragen sehr gerne für interessierte Leser).

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  6. wer bekommt denn nun die Seigniorage? Faktisch die Privatbank?

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  7. Es gibt diese Seignorage nicht, tut mir leid. Auch für die Privatbanken nicht. Die ganze Vorstellung basiert auf einer fehlerhaften Geldtheorie, welche davon ausgeht, dass Geld ein Gut ist, welches aus dem Nichts kreiert werden kann zu null Kosten, und - obzwar es ohne Kosten "poduziert" werden kann - bereits mit Wert behaftet ist. Dem ist jedoch nicht so; innerhalb jeder Transaktion gibt es eine exakte Gleichheit von Gutschriften und Lastschriften. Somit kann die Nationalbank nur jemandem eine Gutschrift machen, wenn sie sich dabei gleichzeitig verschuldet. Dasselbe gilt für Privatbanken. Niemand kann aus dem Nichts Wert schaffen. Wenn die SNB - wie momentan - per Knopfdruck Fremdwährungen aufkauft, dann "pumpt" sie keine "Geldware" ins System, sondern sie verschuldet sich und schreibt jemandem anderen ein Guthaben zu, und erhält dafür ein (Anrecht auf) ein Fremdwährungsdepot. Die buchhalterische Logik erlaubt keinen Zwischenraum für magische Schöpfungen aus dem Nichts. Ich kann Ihnen auch weiterführende Literatur empfehlen, wenn Sie sich für Geldtheorie und Zahlungssysteme interessieren.

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  8. >>Somit kann die Nationalbank nur jemandem eine Gutschrift machen, wenn sie sich dabei gleichzeitig verschuldet.

    Ob die Nationalbank das Geld aus dem nichts schöpft und überweist oder den Betrag gleichzeitig noch in irgendeiner Bilanz protokolliert, der keinerlei Grenzen gesetzt sind, läuft doch auf das gleiche hinaus.

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  9. Ex Nihilo: Seignorage beschreibt den Zugewinn an Geld einer Zentralbank durch die Herausgabe von Zentralbankgeld auf der Passivseite, welches unverzinst an die privaten Banken herausgegeben wird und einem verzinsten Aktivposten gegenüber steht: Banken müssen für Zentralbankgeld "Kredite" der Zentralbank aufnehmen, sogenannte Geldpolitische Operationen. Diese sind verzinst und bringen der Zentralbank einen Gewinn - die Seignorage. Voilà!

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  10. Dass die SNB durch Dienstleistungen an die Geschäftsbanken Geld verdient, wird hier nicht bestritten. Wenn eine Bank mir einen Kredit verleiht, der zu 6% verzinst ist, spreche ich auch nicht von Seigniorage, sondern von der Bezahlung einer Dienstleistung. Seigniorage-Theorien gehen davon aus, dass Zentralbanken sich selbst einen Geldbetrag gutschreiben können, da sie Geld "produzieren" können. Das ist Humbug.

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