Freitag, 3. Dezember 2010

Kein Wettbewerb beim Geld - die lamentablen Verirrungen der NZZ

In allen Dossiers der NZZ sind hervorragende Artikel zu finden: Die politischen Analysen sind pointiert und elegant verfasst; die Feuilleton-Beiträge sind unterhaltsam und informativ; selbst die Sportartikel begeistern mitunter Leser, die sich sonst für panem et circenses wenig interessieren. Kritischer, intelligenter Journalismus, der sich an die Realität hält.

Doch in einem Dossier findet der Leser leider immer wieder horrende Fehler, peinliche Verirrungen und fragwürdige Ideen: im Wirtschaftsdossier. So heute wieder im Artikel "Kein Wettbewerb beim Geld". Mitglieder des mit der NZZ verbandelten "Liberalen Instituts", stark beeinflusst von Anarchokapitalisten wie Ludwig von Mises und Ayn Rand, philosophierten über Geldtheorie. Mises und Rand waren notabene Menschen, die selbst das Justizsystem privatisieren wollten und in ihrem paranoiden Staatshass hinter jeder staatlichen Behörde - sei es der Polizei, der Feuerwehr oder der Schule - eine Gestapo witterten. Staatliche Schulen seien zu verbieten, da sie nur betrieben werden, um Minderheiten zu unterdrücken. Altruismus war in ihren Augen eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft. Ludwig von Mises selbst schimpfte Hayek und Friedman einmal gar "Sozialisten".

Schauen wir, was in diesem Artikel so geschrieben wird... Satz Nummer eins ist ein Zitat von Röpke:


 "Erst die Papierwährung hat uns gelehrt, was das Wort Inflation bedeutet - ja, es gibt kaum eine einzige Papierwährung, die nicht früher oder später der Entwertung anheimgefallen ist, weil die verantwortliche Behörde entweder nicht imstande war oder gar nicht die Absicht hatte, die Geldmenge knapp zu halten."

Schon diese kurze Aussage schafft es mit beachtlicher Treffsicherheit, auf multiplen Ebenen falsch zu liegen. Erstens wurden Preissteigerungen in der Geschichte sehr, sehr oft beobachtet. Tatsächlich war es die Regel - auch wenn Edelmetalle als Zahlungsmittel benutzt wurden. So weiss man, dass bereits Alexander der Grosse gegen die Inflation ankämpfen musste, trotz Gold-und Silberwährung. Im 16. Jahrhundert stiegen die Preise wegen der Entdeckung Südamerikas mit seinen Goldvorkommen weltweit, in Spanien allein um ca. 400%.

Zweitens schreibt Röpke von einer verantwortlichen "Behörde", und vergisst dabei, dass viele Zentralbanken lange Zeit privat geführt wurden. Die englische Zentralbank war beispielsweise bis 1946 ein privates Unternehmen. Inflation gabs natürlich trotzdem. Überdies sind Zentralbanken in entwickelten Staaten heute unabhängig von Regierungen. Die Zentralbanken sind heute stark privatwirtschaftlich geprägt: So ist das Kontrollorgan der Schweizerischen Nationalbank (SNB) - der Bankrat - ein Stelldichein der Schweizer Wirtschaft, von Konrad Hummler bis Gerold Bührer (siehe hier).

Des weiteren scheinen die Damen und Herren davon auszugehen, dass die Zentralbanken die Geldmenge und die Inflation steuern könnten, wenn sie nur den Willen dazu aufbrächten. Erstaunlich, haben doch schon etliche Notenbanker auf der ganzen Welt gesagt und geschrieben, dass sie die Menge von Bankdepots nicht oder nicht gut beeinflussen können. Sie sind meistens ahnungslos, wie sich die Preise mittelfristig verändern werden, und liegen mit ihren Prognosen deshalb auch oft daneben. Selbst Milton Friedman, der Hohepriester der Geldmengenregulierung, gab 2003 zu: "The use of quantity of money as a target has not been a success (...) I'm not sure I would as of today push it as hard as I once did." Der Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Inflation wird endgültig lächerlich, wenn festgestellt wird, dass Notenbanker gar nicht wissen, welches "Geldmengenaggregat" sie überhaupt anschauen sollen.


Zuletzt müssen wir konstatieren, dass die "Papiergeld-Theorie" der Österreichischen Schule ein ernstzunehmendes Problem aufweist. Es ist sehr gut denkbar, dass in nicht allzu ferner Zukunft bloss noch mit Debit- und Kreditkarten bezahlt wird. Banknoten und Münzen würden komplett überflüssig. Banken und Betreiber von Zahlungssystemen sind bereits heute für diese Situation gewappnet, sie stellt kein praktisches Problem dar. Sehr wohl stellt es aber ein theoretisches Problem für die Esoteriker der Österreichischen Schule dar, weil sie dann zugeben müssen, dass Geld etwas rein immaterielles ist. Tatsächlich sind Banknoten und Münzen bloss Anrechte auf rein immaterielle Bankdepots, welche noch immer auf der Passivseite von Zentralbank "gelagert" sind (unter dem Namen "Notenbankumlauf").

Doch schauen wir weiter:

"Zwar werde die "Weisheit" des Marktes seit dem Ausbruch der tiefgreifenden und fortdauernden Finanz- und Schuldenkrise lautstark bezweifelt. Dabei werde aber verkannt, dass in der Krise vielleicht Wirtschaftstheorien versagten, aber nicht der Markt als solcher."

Wenn eine Ökonomin (wie hier Karen Horn) den abstrakten, ungenau definierten Problemlösungsmechanismus Markt "weise" nennt, muss man doch aufhorchen. "Der Markt" ist nicht weise - da helfen auch die Anführungs- und Schlusszeichen nichts. Er kann es gar nicht sein, sondern höchstens die Menschen, die in dieser Institution aufeinander treffen. Der Markt habe nicht versagt, sondern die Theorien über den Markt, so Horn. Der "Marktgott" ist demnach unfehlbar, bloss unser Wissen über ihn ist fehlerhaft. Grundgütiger! Solch spirituelle Überlegungen gehören in einen Sektentempel, nicht in eine aufgeklärte, informierte Debatte über das Geldwesen.

Pierre Bessard schliesst mit der Meinung, dass es die Hauptschwäche unseres Wirtschaftssystems sei, dass das "staatliche Geldwesen" nicht im Wettbewerb stehe. Das staatliche Geldwesen bestehe nur aus dem Grund, weil es den Regierungen als "Geldquelle für ihre Politik" diene und ihre "Defizite sichere". Seit mindestes 150 sei zudem bekannt, dass Finanzkrisen ihren Ursprung in einer künstlichen Kreditausweitung hätten. Ein verkürztes, ahistorisches - pardon - dummes Argument:

Erstens finanzieren die meisten entwickelten Staaten ihre Defizite nicht über die Zentralbanken, sondern über den Sekundärmarkt; dort verkaufen sie ihre Schuldpapiere an Depothalter. So platziert die Schweizer Nationalbank im Auftrag der Regierung Schweizer Schuldpapiere auf dem Sekundärmarkt (hier nachlesen, bitte). Die Bundesanleihen werden an Effektenhändler und Banken verkauft, die eine enstprechende Zulassung besitzen. Da Bundesanhleihen Repo-fähige Titel sind, ist es bloss möglich für die SNB, diese als Sicherheit in ihrer Bilanz aufzuführen, wobei dies üblicherweise jeweils nur während weniger Tage sein kann. Selbst in jenen Ländern, wo die Nationalbank Schuldpapiere direkt aufkaufen darf, werden diese Papiere früher oder später auf dem Finanzmarkt verkauft oder vom Staat an die Zentralbank zurückbezahlt.

Laut Nationalbankgesetz darf die SNB dem Bund keinen Kredit geben. Das Kreditverbot präzisiert, dass die Notenbank auch keine Bundesanleihen aus Emissionen erwerben darf
(Art. 11 Abs. 2 NBG).

Zweitens steht unser Geldwesen sehr wohl im Wettbewerb. Sie können zum Beispiel Reka-Schecks benutzen, oder WIR-Geld von der WIR-Bank (siehe hier). Nur wollen die Leute das nicht.

Drittens: Was, bitte sehr, ist eine "künstliche" Kreditausweitung. Nach vielen Jahren Wirtschaftsstudium konnte mir noch kein einziger Ökonom erklären, welches Kreditgeschäft genau "künstlich" ist, und welches "natürlich". Es gibt dazu keine schlüssige Theorie, keine Erläuterung, keine Spezifizierung, nichts. Es ist doch sofort einleuchtend, dass eine Geschäftsbank durch ihre eigene Tätigkeiten NEUE Depots schafft: Kredite werden auf der Aktiv-, Ersparnisse auf der Passivseite registriert. Die Zentralbank muss da gar nichts tun. Die Höhe der Reserven, die Geschäftsbanken bei der Zentralbank halten, hat derweil keinerlei Einfluss auf die Inflation. Entwickelte Länder haben heutzutage sehr unterschiedliche Reservesätze: von 0% bis 30% gibt es alles, ohne Auswirkung auf die Inflationsrate. Überdies schaut kein einziger Banker auf die vorgeschriebenen Reserven, wenn er Kredite spricht. Was ihn interessiert, ist, dass der Kredit zurückbezahlt wird, und dass die Bank am Ende des Tages nicht überschuldet sind.

Viertens: (Als wäre dies nicht genug!): In der Logik des Liberalen Institutes "kreieren" Zentralbanken neues Geld und "pumpen" es ins System. Wie war es denn vor den Zentralbanken? Diese sind immerhin eine relativ neue Erfindung. Gab es vor Zentralbanken kein Geld? Sicher doch. In den USA - um nur ein Beispiel zu nennen - wurde die Zentralbank 1913 ebengerade eingeführt, weil es zuvor Börsenblasen, Inflation, unkontrollierte Kreditexpansion und sehr viele Krisen gab! Man denke nur an die Banker's Panic von 1907. Aber solche Fakten scheinen das Liberale Institut nicht zu beunruhigen.

Die NZZ täte gut daran, mit der esoterischen Ära Gerhard Schwarz endlich komplett abzuschliessen, und die verbleibenden Fundamentalisten der Wirtschaftsredaktion - die vornehmlich mit Schlagwörtern argumentieren - mit Leuten zu ersetzen, die nur davon schreiben, wovon sie etwas verstehen. Solche gibts. Denn, frei nach Wittgenstein: Was sich sagen lässt, lässt sich klar sagen, und worüber man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.

Es soll hier angefügt werden, dass die Verirrung nicht auf die NZZ beschränkt ist, sondern eigentlich der Wirtschaftstheorie anzulasten ist. Diese ist in einem desolaten Zustand. So schrieb der eher links gesinnte Philipp Löpfe vom Tagi in einem Artikel über Zentralbanken: "Der grösste Teil des modernen Geldes wird buchstäblich aus dem Nichts geschaffen, es ist nicht mehr abgesichert, beispielsweise durch Gold."

Diese Schöpfung Ex Nihilo ist tatsächlich der grundlegende Irrglaube der heutigen (neoklassischen) Makroökonomie. Diese "Schöpfung aus dem Nichts" ist einfach falsifizierbar, wenn sich irgend jemand einmal die Mühe machen würde, die Buchhaltungspraxis von Banken und Zentralbanken zu studieren. Bis das passiert, reissen sich geifernde Ideologen um die Meinungsführerschaft in der Geldtheorie.

Samstag, 27. November 2010

Wie funktioniert eine Zahlung in der Praxis? (unfertig)

Der Theorie der Geldemissionen (Theory of Money Emissions) wird zuweilen eine gewisse Realitätsferne vorgeworfen. Dies ist zweifellos ein Resultat des hohen Abstraktionsgrades ihrer Ausführungen, aber auch der neuartige Gebrauch alter Begriffe. In diesem Artikel soll anhand zweier Bezahlung - einer Lohnzahlung und einer Konsumzahlung - aufgezeigt werden, dass die Theorie keineswegs realitätsfern ist, sondern im Gegenteil als einzige Wirtschaftstheorie die Funktionsweise von Zahlungssystemen und die Natur von Geld logisch erklären kann. Es soll im ersten Teil dieses Artikels kein einziges mal theoretisch abstrahiert werden, sondern möglichst genau wiedergegeben werden, was in der Software des Bankensystems passiert. Erst im zweiten Teil werden die Zahlungen ökonomisch interpretiert. Das nächste Mal, wenn Sie einkaufen gehen, denken Sie dieses Beispiel durch:

Sie seien ein Mitarbeiter bei der Migros. Am Ende des Monats bezahlt Ihnen die Migros den Lohn. Dafür gibt die Migros ihrer Bank (sagen wir, der ZKB) die Anweisung, Ihnen 5’000.- gutzuschreiben. Wir nehmen hier an, dass die Migros über die notwendigen Mittel bereits verfügt und sich deshalb nicht neu verschulden muss. Ihr Konto sei bei der UBS. Das Resultat der Buchung ist die folgende:


Wenn die ZKB und die UBS an ein RTGS (Real Time Gross Settlement) Settlementsystem angeschlossen sind (was tatsächlich der Fall ist), wird die Schuld der ZKB gegenüber der UBS sofort (in real time) auf dem Interbankmarkt beglichen. Da der Interbankmarkt von der Zentralbank organisiert wird, geschieht die hierfür notwendige Buchung durch die Zentralbank. Das Settlement geschieht über das Depot "Giroguthaben", das sowohl UBS als auch ZKB bei der Zentralbank hinterlegt haben. Die Tätigkeiten auf dem Interbankmarkt hinterlassen folgende Einträge in den Bilanzen der ZKB, UBS und Zentralbank:



Nun noch in Worten: die Zentralbank übernimmt die Schuld der ZKB an die UBS und bucht dafür den entsprechenden Betrag vom Zentralbankdepot der ZKB ab. Gleichzeitig wird der UBS dasselbe Guthaben im Zentralbankdepot der UBS gutgeschrieben. Somit nimmt die Aktivseite der Bilanz zu, womit nun auch die Passivseite zunimmt: die Schuld der UBS gegenüber Ihnen, dem Lohnarbeiter. Ihr Depot besteht also - physikalisch betrachtet - aus Nullen und Einsen in einer Buchhaltungssoftware, wie z.B. Avaloq oder Finnova.

Das Resultat der Lohnzahlung ist nun also, dass der ZKB CHF5'000 abgebucht und der UBS CHF5'000 gutgeschrieben wurde, wobei die CHF5'000 Ihre Ersparnisse darstellen.

Nun gehen einige Tage vorbei, und Sie wollen in die Migros gehen, um Ihre Einkäufe zu tätigen. Nehmen wir an, sie bezahlen mit der Debit-Karte Ihrer Bank, der UBS. Sagen wir, Sie kaufen für CHF500 ein. Was passiert?

Die Kartenmaschine an der Kassen sendet die Informationen über den Kauf an die Schnittstelle des Interbankmarkts, in der Schweiz organisiert durch die SIX (Swiss Interbank Clearing).

Montag, 22. November 2010

Die Funktionsweise von Konsumkrediten im Fall eines Hypothekarkredites

Hier soll der Mechanismus von Konsumkrediten anhand eines typischen Beispiels erklärt werden: der Hypothekarkredit.

Die untere Abbildung illustriert den gesamten Lebenszyklus eines Einkommens, das durch die Kredittätigkeit von Banken vorgeschossen wurde. Eintrag 1 zeigt die Lohnzahlung der Baufirma an ihren Bauarbeiter. Um den Arbeiter auszahlen zu können, muss sich die Baufirma um den Betrag bei der Bank verschulden, den der Arbeiter wiederum gutgeschrieben bekommt. Der 2. Eintrag zeigt die Gewährung einer Kreditlinie der Bank an einen Hauskäufer. Die Kreditvergabe an sich ist ein sogenanntes Off-Balance-Sheet-Geschäft, sprich dieser Eintrag findet man nicht in der Bankbilanz. Tatsächlich ist die Transaktion "leer", da der Hauskäufer gleichzeitig ein Guthaben und eine Schuld gegenüber der Bank besitzt. Erst, wenn er die Kreditlinie benutzt, um der Baufirma das Haus abzukaufen (Eintrag 3), entstehen zwei entsprechende Einträge. Die Baufirma kann somit ihren Kredit bei der Bank zurückbezahlen.

Nun muss der Hauskäufer seinerseits ein Einkommen verdienen, um seine Schuld bei der Bank begleichen zu können. Dies geschieht durch Eintrag 4, indem sich die Firma des Hauskäufers verschuldet, um dem Hauskäufer seinen Lohn ausbezahlen zu können. Dadurch kann der Hauskäufer seinen Kredit zurückbezahlen, wodurch sein Guthaben und seine Schuld gleichermassen abnehmen (Eintrag 5). Als letztes gibt der Bauarbeiter, der noch immer seinen Lohn von der Erstellung des Hauses besitzt, sein Einkommen für Produkte der Firma aus, bei der der Hauskäufer arbeitete. Somit sind alle Akteure (der Bauarbeiter, die Baufirma, der Hauskäufer und die die Firma) wieder auf null.

Samstag, 13. November 2010

Die Bedeutung von Banknoten und die Mär von Seigniorage

Gemäss der geläufigen Wirtschaftstheorie - welche sich nicht für Zahlungssysteme oder Settlement-Prozesse interessiert - sind Banknoten und Münzen Schuldscheine des Staates. Laut dieser Geschichte werden Münzen und Banknoten in den Umlauf gebracht, indem der Staat - via Nationalbank - reale Güter aufkauft. Das hört sich dann in den Zeitungen so an: Die Nationalbank druckt Geld und pumpt es in die Wirtschaft. In der Folge wird erklärt, weshalb diese Metapher irreführend ist.

Tatsächlich wäre es sehr profitabel für eine Regierung, wenn sie dies tun könnte. Könnte der Staat tatsächlich mittels frisch gedruckter Banknoten Güter und Dienstleistungen kaufen, ohne sich dabei zu verschulden, würde Seigniorage existieren. Doch Seigniorage ist ein Märchen, das in einem ungenügenden Verständnis der Buchhaltungspraxis von Banken und Zentralbanken gründet. Einige Ökonomen, die den Staat einzig im Sinne Hobbes' Leviathan verstehen (wollen), argumentieren, dass der Staat aus diesem Grund das Monopol auf Bargeld bei sich behält.

Tatsächlich sind Banknoten kein Vorrecht des Staates. Wie die Geschichte des Geldes deutlich zeigt, gab es mehrere Episoden, in denen private Banken Banknoten herausgaben (im Sinne von Fiat Geld, also Papiergeld). Diese zirkulierten in einem weiten geografischen Raum und wurden dazu benutzt, Zahlungen zu tätigen. Im Mittelalter - vor allem im 14. Jahrhundert - wurden viele Märkte in Europa organisiert - der bekannteste in der Champagne. Auf diesen Märkten (resp. Börsen) wurden Tauschbücher gehalten und Guthaben und Schulden wurden abgewickelt, ohne dass eine einzige Münze den Besitzer wechselte. Tatsächlich wurden alle Schulden mit privaten Banknoten beglichen. Später, mit der Errichtung von Clearing-Häusern, wurde der Settlement-Prozess eine rein buchhalterische Angelegenheit, der auch ohne Banknoten von statten ging.

In Vereinigten Königreich benötigte es mehrere Bankreformen, die private Banken daran hinderten, eigene Banknoten in den Umlauf zu bringen. Ebenfalls war die "Bank of England" bis 1946 eine private Institution (sie pflegte jedoch enge Beziehungen zum Finanzministerium). In den USA durften Geschäftsbanken von 1863 bis 1935 eigene Banknoten herausgeben.

Doch obschon heute Zentralbanken generell zum erweiterten Kreis der Regierung gehören, bedeutet dies nicht, dass letztere ihre Ausgaben einfach mit der "Gelddruckmaschine" finanzieren kann: das würde bedeuten, dass der Staat einen neuen Schuldtitel herausgibt und die Bevölkerung höflich darum bittet, diesen doch bitte als Zahlungsmittel zu akzeptieren, obschon er diese Schuld niemals begleichen wird.

Tatsächlich verhält es sich so: Zentralbanken werden in den entwickelten Ländern relativ unabhängig von der Regierung geführt. Wenn der Staat Ausgaben tätigen muss, die er nicht mit Steuereinnahmen decken kann, dann darf der Staat Schuldscheine verkaufen - entweder an die breite Öffentlichkeit oder an die Zentralbank.

Obschon den Zentralbanken heute gesetzlich die Aufgabe obliegt, Banknoten und Münzen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, bedeutet dies nicht, dass das so emittierte Bargeld zusätzlich zu den bereits existierenden Bankdepots im Bankensystem dazugerechnet werden.

Kaufkraft existiert in originärer Form als Passivkonto in der Bilanz einer Geschäftsbank oder Zentralbank. Dort sind deine Ersparnisse in einer Software registriert. Deine Ersparnisse sind also - sagen wir das ganz einfach und deutlich - nicht in einem stählernen Tresor hinterlegt, sondern sind repräsentiert als Einsen und Nullen in Buchhaltungssoftware wie Avaloq oder Finnova. Ein Depot besteht also physikalisch betrachtet bloss aus elektronischen Impulsen. Die Emission von Banknoten erlaubt bloss die Substitution einer (immateriellen) Form finanzieller Ansprüche in eine andere (materielle) Form.

Nehmen wir also an, ein Besitzer eines Bankdepots von 10.- bei der Credit Suisse möchte Bargeld. Falls dem so ist, wird der Besitzer an einen Bankomaten gehen und Banknoten abheben. Die Credit Suisse benötigt dafür genügend Banknoten in ihren Tresoren, um die Nachfrage nach Banknoten stillen zu können. Da Banknoten Schuldtitel der Zentralbank sind, werden Banknoten von Zentralbanken nur gegen einen äquivalenten Anspruch auf Depots von Geschäftsbanken herausgegeben. Anders gesagt: die Zentralbank schenkt den Geschäftsbanken natürlich keine Banknoten, sondern tauscht ihre Schuldtitel gegen Schuldtitel der Geschäftsbanken aus.

Das bedeutet in der Praxis, dass Banknoten im Tresor der Geschäftsbank weder von der Zentralbank verkauft noch von den Geschäftsbanken gekauft wurden. Tatsächlich transformieren Geschäftsbank und Zentralbank durch ein Tauschgeschäft Schulden von Geschäftsbanken gegenüber ihren Bankkontenbesitzern in Schulden der Zentralbank gegenüber Notenbesitzern. Der Besitz einer Banknote bestätigt den Anspruch seines Besitzers auf ein Depot auf der Passivseite der Zentralbank.

Die Banknoten, die die Credit Suisse in ihren Tresoren lagert, bestätigen eine Schuld der Zentralbank an die Credit Suisse. Doch diese Schuldtitel bekommt die Credit Suisse nie und nimmer geschenkt, sondern denselben Betrag überweist die Credit Suisse gezwungenermassen (sprich per Gesetz) der Zentralbank. Diesen Betrag schuldet dann die Zentralbank der Geschäftsbank. Die reziproke Überweisung der Banknoten der Zentralbank an die Credit Suisse und der Überweisung einer äquivalenten Summe Bankdepots der Credit Suisse an die Zentralbank zeigt, dass das Ganze eine blanke Operation darstellt. Durch die Emission von Banknoten werden nicht mehr Depots geschaffen - also zum 'Buchgeld' dazugezählt - sondern es werden Depots durch Banknoten substituiert.

Die Emission einer Banknote ist also weder ein Kauf noch ein Verkauf durch den Staat, sondern eine Umwandlung eines Bankdepots in eine Banknote. Dieser Umstand wird durch einen entsprechenden Eintrag jeder Banknote auf der Passivseite der Zentralbankbilanz bestätigt.

Fassen wir zusammen: das Resultat einer Emission einer Zehnernote der Zentralbank an eine Geschäftsbank ist:

  • Bei der Zentralbank steht auf der Passivseite die Zahl 10 (unter "Notenumlauf"). Dies ist die Schuld der Zentralbank an die Geschäftsbank. Auf der Aktivseite steht das Depot 10 (unter "Giroguthaben"), das die Geschäftsbank der Zentralbank überweisen musste, um die Banknote zu erhalten.
  • Bei der Geschäftsbank steht auf der Aktivseite 10 (unter Bargeld) und auf der Passivseite das entsprechende Depot, das die Bank der Zentralbank schuldet
Sobald ein Bankkunde die die Banknote am Bankomaten herauslässt,
  • nimmt bei der Geschäftsbank ein Depot verloren (Bargeld) und gleichzeitig nimmt die Passivseite ab, resp. die Ersparnisse desselben Kunden bei der Bank.

All dies kann jederzeit in der Bilanzierungspraxis von Banken nachgeprüft werden. Dasselbe Prinzip gilt natürlich bei der Emission von Münzen.

In dieser Grafik sind alle relevanten Buchungseinträge zwischen der Geschäftsbank und der Zentralbank dargestellt. (Bitte draufklicken)

 Wieviele Banknoten im Umlauf sind, ist keine Frage der Geldpolitik. Wenn ein Bankkunde Bargeld vorzieht, hat die Geschäftsbank keine andere Wahl, als dem Kunden diese Banknote zu überweisen. Da sich elektronische Zahlungsmethoden immer grösserer Beliebtheit erfreuen, ist die Nachfrage nach Banknoten seit dem 2. Weltkrieg konstant gesunken: Während 1945 ca. 25% des Einkommens in Form von Banknoten gehalten wurde, sind es heute weniger als 10%. Es ist gut denkbar, dass die Nachfrage nach Banknoten in den nächsten Jahrzehnten ganz austrocknen wird, wenn elektronische Zahlungsmittel ganz an Überhand gewinnen. Übrigens werden über 50% des Banknotenwertes in Form von 1000er-Noten gehalten, was darauf hindeutet, dass einige Menschen ihr Erspartes lieber "unter der Matratze" lagern als in einer Geschäftsbank. Effektiv lagert ihr Depot natürlich immer noch in einer Geschäftsbilanz: auf der Passivseite der Zentralbankbilanz.


Hier die Grafik des Bargeldbestandes in der Schweiz seit 1907. Es soll hier unterstrichen werden, dass es ganz eindeutig keinen Zusammenhang zwischen der Banknotenmenge und der Inflation gibt.


Freitag, 17. September 2010

Klassische und neoklassische Werttheorie

Was ist Wert? Diese kleine Frage beschäftigte brilliante Ökonomen wie Smith und Ricardo, Marx und Walras viele Jahre ihres Lebens. Das Problem wurde gelöst - aber, wie hier argumentiert werden soll, weder von den Klassikern noch von den Neoklassikern.

Dieser Artikel erhebt den Anspruch der Wissenschaftlichkeit. Die Frage des Werts wird von vielen Wissenschaften gestellt: von der Soziologie, der Philosophie und Ethik und von der Physik. Hier geht es ausschliesslich um die ökonomische Betrachtung.

Bei der ökonomischen Betrachtung des Wertproblems geht es im Kern um die Integration von Zahlen mit der physikalischen Welt (in der keine Zahlen existieren). Dabei hilft folgender Vergleich: Man stelle sich 1kg Mehl vor. Wir assoziieren die Zahl "1" (eine ordnende Idee) mit einer genau definierten Masse Mehl. Doch wie kommen wir dazu, dass wir die blosse Zahl "1" einer Masse Mehl zuordnen können (Ich setze hier Masse mit Gewicht gleich, da ich davon ausgehe, dass wir bei diesem Beispiel auf der Erde bleiben.)? Die Antwort ist denkbar einfach: Indem wir (willkürlich) ein ganz bestimmtes Gewicht als Vergleichsgrösse festlegen. Im Falle des Gewichts haben wir seit 1888 das Urkilogramm, das in einem Tresor in Paris aufbewahrt wird. Das Kilogramm Mehl kann also mit einer Zahl versehen werden, weil wir eine standardisierte Masse festgelegt und diese mit der Zahl "1" assoziiert haben. Das Urkilogramm ist selbst genau 1 Kilogramm schwer, und alle Gewichte können im Verhältnis zu diesem Urkilogramm ausgedrückt werden. Analog verhält es sich natürlich beim Urmeter.

In der Wirtschaft beobachten wir nicht Gewicht in Kilo, sondern Preise in Franken, Dollar, Yen etc.. Ein Preis ist eine Zahl und wird - genau wie das Kilogramm oder der Meter - mit einer "Sache" identifiziert. Das Wertproblem kann nun mit drei Fragen formuliert werden:

1. Welches ist der Wertmassstab, den es für die Existenz von Preisen braucht?
2. Auf welche Weise werden (physikalische) Produkte mit (numerischen) Preisen integriert?
3. Was ist die Beziehung zwischen Werten und Preisen?

Die Fragen sind komplex. Während es jedem einleuchten muss, dass ein Urkilogramm selbst exakt ein Kilogramm wiegt und der Urmeter exakt ein Meter misst, ist es doch schwieriger zu fragen: Ist ein Franken selbst auch ein Franken wert? Weshalb sollte ein Franken - sprich eine Zahl, repräsentiert als elektronischer Impuls in einer Bankbilanz - überhaupt etwas wert sein, wo er doch offenbar keine physikalische Dimension besitzt und selbst nicht konsumiert werden kann? Das Urkilogramm besitzt selbst eine Masse und kann zur Menge aller Gewichte addiert werden. Beim Geld ist dies jedoch anders: Besässe Geld selbst einen Wert - unabhängig von den damit kaufbaren Gütern - müsste die Geldmenge zum BIP dazugerechnet werden. Das ist offensichtlicher Humbug. Adam Smith erkannte bereits, dass es eigentlich absurd ist, von "wertvollem" Einkommen zu sprechen, da der totale Wert eines Landes dann aus Produkten + Einkommen bestehen würde. Einkommen ist nur "wertvoll", da man damit Produkte kaufen kann.

"The great wheel of circulation (money) is altogether different from the goods which are circulated by means of it. The revenue of the society consists altogether in those goods, and not in the wheel which circulates them. In computing either the gross or the net revenue of any society, we must always, from their whole annual circulation of money and goods, deduct the whole value of the money, of which not a single farthing can ever make any part of either." Adam Smith, Wealth of Nations

Der Wert von Geld also hängt selbstverständlich von den Gütern ab, die man dafür erwerben kann. Doch wenn Geld keinen Eigenwert ("intrinsischen" Wert) besitzt, sondern bloss relativ zu den kaufbaren Gütern einen Wert besitzt, wie kann Geld als Wertmassstab für Güter dienen? Dieser offensichtliche Widerspruch soll hier besprochen werden.

Am besten wir beginnen mit einem Ausflug zu den Klassikern, welche ausführlich über das Wertproblem nachdachten:

Für die Klassiker (Smith, Ricardo, Marx, etc.) war Wert die Materialisierung von Arbeitszeit:

"Wir haben gesehn, dass die in einer Ware kristallisierte Menge notwendiger Arbeit ihren Wert konstituiert." Karl Marx: Lohn, Preis und Profit

"Schauspieler sind produktive Arbeiter, nicht sofern sie das Schauspiel produzieren, sondern indem sie den Reichtum ihres kapitalistischen Unternehmens vermehren. Durch welche Sorte von Arbeit das geschieht, also in welcher Form die Arbeit sich materialisiert, ist absolut gleichgültig." Karl Marx: Grundrisse

Der Preis war dann gewissermassen der numerische Ausdruck von Wert. In diesem Sinne vertraten die klassischen Ökonomen, was man eine "metaphysische" Erklärung von Wert nennen könnte: Durch einen unklar definierten Prozess "verwandelt" sich die produktive Zeit der Arbeiter in wertvolle Produkte, die sodann mit einem Preis versehen werden konnten, welcher dem Wert entsprechen kann (aber nicht muss). Wer jemals die Kapitel über Werttheorie von Marx, Ricardo, Smith oder Stewart gelesen hat, weiss um die Vertracktheit und den hohen Abstraktionsgrad des Problems. Laut klassischer Ökonomik stehen Preis und Wert in einer intimen, aber unklar definierten Beziehung - die Meinungen weichen unter klassischen Ökonomen ab. Die Ansicht, dass Arbeiszeit gewissermassen die "wertvolle Seele" eines Produkts sei und der Preis der numerische Ausdruck dieser Seele, führte direkt zum klassischen Wertparadoxon: Bei gewissen Gütern ist es offensichtlich, dass Produktionskosten und Verkaufspreis weit auseinander klafften. In welchem Verhältnis standen also Wert und Preis zueinander? Ricardo war sich dabei schmerzlich bewusst, dass ein Produkt, dass allein mithilfe von Maschinen hergestellt wird, ebenfalls einen Preis besass. Somit konnte Arbeit nicht die alleinige Quelle von Wert sein. Kapital - das wusste Ricardo - musste demnach ebenfalls als Wertquelle angesehen werden. Doch wenn Kapital neben Arbeit eine weitere Quelle des Wertes war - also selbst Wert generieren konnte - wie war Wert überhaupt noch definierbar?


Die Materialisierung von Arbeit gemäss den Klassikern


Spätestens seit William Petty wird gesagt, dass Wert aus der Arbeit der Menschen resultierte ("Arbeit ist der Vater, Boden die Mutter von Wert"). Diese Meinung definierte den klassischen Ökonomen. Kapital könnte zwar die Produktivität der Arbeiter erhöhen, aber ohne Arbeit war Wert schlicht nicht möglich.

Arbeit könnte als Wertmassstab benutzt werden, wenn Arbeit homogen wäre: Wenn eine Stunde Arbeit jedes Menschen auf der Erde ein Produkt generieren würde, das exakt denselben Wert/Preis besässe. Doch - so wird man gleich erkennen - wenn drei Arbeiter während derselben Zeit gleiche Produkte herstellen, wird der Wert des Produktes - und auch sein Preis - variieren, weil die Fähigkeiten der Arbeiter unterschiedlich sind. Nur schon deshalb ist es unmöglich, Arbeit als Wertmassstab zu definieren. Marx versuchte das Problem zu mildern, indem er von von durchschnittlicher Arbeitszeit, von komplexer und einfacher Arbeit sprach.

Nehmen wir versuchsweise an, Wert sei tatsächlich die "Kristallisierung" von Arbeitszeit (was auch immer das bedeutet). Dann entspräche auch Geld einer gewissen "Menge" Arbeitszeit, da es in der Auffassung vieler Klassiker selbst Wert besitzt (obwohl Adam Smith sich zu diesem Punkt auch anders äusserte, siehe oben). Gemäss den Klassikern war Geld ein produziertes Gut wie jedes andere und sein Wert beruhte auf der Arbeitszeit, die für seine Produktion eingesetzt wurde. Die Frage der Kaufkraft scheint durch die Geld-als-Gut-Betrachtung somit gelöst. Geld ist bloss ein weiteres Gut, das auf Märkten gegen andere Produkte eingetauscht werden kann. Wenn darüberhinaus die Banken versprechen, dass die von ihnen emittierten Banknoten mit Goldreserven gedeckt seien, wird das Argument der Geld-als-Gut-Betrachtung weiter gestärkt. Der Austausch von Geld gegen Güter wird somit zum Austausch zwischen zwei wertgleichen Gütern, auch wenn Bankdepots schon damals - im 18. und 19. Jahrhundert - augenscheinlich mit blosser Tinte eingetragene Zahlen in Bankbilanzen waren.

Gemäss Ricardo, der sein Leben lang über dem Wertproblem brütete, musste der absolute Wertmassstab "irgendwo in der Natur" gefunden werden. Gleichzeitig hielt er in seinem Hauptwerk fest, dass keine Ware jemals die Funktion eines Wertmassstabs erfüllen konnte. In diesem Dilemma blieb Ricardo sein Leben lang gefangen. Der Anspruch an den Wertstandard war aus Sicht der Klassiker, dass er 1) selbst wertvoll sei und 2) sein Wert konstant bleibe (wie beim Urkilo/Urmeter). Da Wert von Ricardo als materialisierte Arbeit betrachtet wurde, musste dieser Wertstandard immer gleich viel Arbeit benötigen. Doch schon Smith war sich bewusst, dass ein Produkt, das selbst grossen Preisfluktuationen unterliegt (wie Gold), kein geeigneter Wertmassstab sein könne. Und wenn der Wertmassstab nicht unveränderlich ist, wird es unmöglich, die Wertveränderungen aller anderen Produkte zu messen. Wenn man für ein Kilo Schweinefleisch plötzlich 2 Feinunzen Gold bezahlen muss anstatt 1 Feinunze, ist nicht klar, ob Schweinefleisch teurer geworden ist oder Gold billiger.

Wiederholen wir die Kernaussagen und Widersprüche: Die Klassiker waren überzeugt, dass Arbeit die Quelle von Wert sei, da wertvolle Güter erst durch menschliche Arbeit hergestellt werden können. Jedoch wurde beobachtet, dass mit dem Umsatz aus den verkauften Produkten nicht nur die Arbeit, sondern auch die Maschinen bezahlt wurden. Auch war offensichtlich, dass maschinell erzeugte Güter ebenfalls einen Preis besitzen und somit wertvoll waren. Somit schien nicht bloss Arbeit Wert erzeugen zu können, sondern auch Kapital. Darüber hinaus hatte Geld offenbar ebenfalls einen Tauschwert - dieser Wert musste nach klassischer Theorie aus menschlicher Arbeit resultiert sein. Doch schon damals klaffte der materielle Wert einer (metallischen) Münze und der Tauschwert derselben Münze weit auseinander. Auch erkannten die Klassiker selbst, dass es unmöglich ist, ein Gut als Wertmassstab zu definieren, das selbst grossen Preisschwankungen unterliegt; die Idee eines absoluten Wertmassstabs ist es ja gerade, unveränderlich zu sein.

Schlussendlich kann gesagt werden, dass alle Klassiker - vor allem die Grossen: Marx, Smith und Ricardo - das Wertproblem zwar sehr gekonnt und mit logischen Konzepten angingen, es aber nicht lösen konnten. Den Klassikern waren die Lücken ihrer Argumentation bewusst, sonst hätten sie sich nicht solange damit auseinander gesetzt. Die Schwächen der klassischen, objektiven Werttheorie führten zur Demise der klassischen Ökonomik. Wenden wir uns deshalb von den Klassikern ab und betrachten das Wertproblem aus der Sicht ihrer Nachfolger, der Neoklassiker.

Die ersten Neoklassiker wussten um die logischen Sackgassen der klassischen Werttheorie. Der metaphysische Ansatz, dass Wert irgendwie aus materialisierter Arbeit besteht, wollten die Neoklassiker nicht akzeptieren. Sie verliessen deshalb die Suche nach der objektiven Quelle des Werts und versuchten, eine subjektive Theorie des Werts zu entwickeln. Der Preis einer Ware ist das Resultat der subjektiven Einschätzung der Nachfrager und der Knappheit des Angebots. Wert und Preis sind bei Neoklassikern keine wirklich unterscheidbaren Konzepte mehr. Das macht ja Sinn, denn die Klassiker waren sich auch nie sicher über den genauen Zusammenhang von Wert und Preis. Auch bei den Klassikern gab es die subjektive Einschätzung des Nutzens von Geld und Waren. Jedoch war der Wert dieser zwei Objekte bereits vor dem Austausch definiert (durch Arbeit eben).

Ein bisschen ausführlicher: Im walrasianischen System gibt es ein Kontinuum von Gütern, die gegeneinander getauscht werden können. a wird gegen b, b gegen c, c gegen d und d gegen a getauscht. In einem solchen System - ohne Geld - kann der Tauschwert eines jeden Gutes durch das Tauschverhältnis mit anderen Gütern ausgedrückt werden. Preise existieren in einem solchen System nicht. Um Preise in dieses System zu integrieren, hat Léon Walras ein Gut einfach als Zahl festgelegt - das Numéraire. Walras - halten wir das hier unmissverständlich fest - integrierte Zahlen in das Kontinuum der tauschbaren Güter, indem er eine Annahme einbaute: Ein Gut wird als "1" definiert. Die Annahme des sogenannten Numéraire-Guts - die mysteriöse Umwandlung eines Gutes in eine Zahl - ist die tragende Säule der neoklassischen Werttheorie. Es ist die Ursünde der Neoklassik, mit der sie sich notwendigerweise aus dem Garten der Wissenschaften ausschloss. Die Erfindung eines Numéraire-Guts ist unvereinbar mit der Realität  - ein logischer Salto Mortale, der zwar im Kopf von Walras, nicht aber in der realen Welt passieren kann. Güter verwandeln sich nicht in Zahlen.

Im walrasianischen System ist jeder Akteur in der Wirtschaft (aus dem Nichts) ausgestattet worden mit einer bestimmten Menge an Gütern und Geld. Hier sehen wir auch die Verbindung zwischen der Klassik und der Neoklassik: Für beide ist Geld bloss ein Gut unter vielen. Der Wert dieses Guts wird aber von den Klassikern anders erklärt als von den Neoklassikern: Für die Klassiker beruhte der Wert des Geldes auf der Arbeit, die für seine Produktion aufgewendet wurde (objektive Werttheorie). Für die Neoklassiker hingegen resultiert sein Wert aus seiner Nützlichkeit als leicht handelbares Gut (subjektive Werttheorie). Die Klassiker glaubten, die Zahl auf einer Banknote müsse Ausdruck irgendeiner physikalischen Dimension sein. Walras glaubte das nicht - für Walras war die Zahl auf einer Banknote nicht eine Masseinheit irgendeiner Grösse, sondern eine blosse Zahl: "Le nom franc est le nom d'une chose qui n'existe pas."



Die Integration von Zahlen in das Kontinuum von Gütern nach Walras


Dass Walras die dimensionale Betrachtung der Klassiker hinter sich liess und Geld bloss noch als dimensionslose Zahl betrachtete, war zweifellos ein Fortschritt für die Wirtschaftstheorie. Seine Integration reiner Nummern in das Kontinuum von Gütern legt dar, dass Geld nichts anderes als Nummer ist. Trotzdem liefert die Neoklassik keine befriedigende Antwort auf die Frage, durch welchen Prozess diese Nummern in die reale Welt integriert werden: Walras' willkürliche Verwandlung eines Gutes in eine Zahl ist wissenschaftliche betrachtet Humbug; ein Zaubertrick, der in einer Wissenschaft, die logisch konsistent sein will, nichts zu suchen hat. Ein Gut ist ein Gut, eine Zahl ist eine Zahl. Zahlen kann man nicht produzieren, da sie keiner Arbeit bedürfen. Die Produktion von Waren hingegen bedarf einer zeitintensiven Arbeitsleistung. Ein Gut hat verschiedene physikalische Dimensionen: Gewicht, Länge, Dichte, etc... Eine Zahl ist eine ordnende Idee bar jeder physikalischen Dimension. Die ökonomisch zentrale Frage, wie in unserem Wirtschaftssystem Güter mit Nummern integriert werden, kann nicht durch eine Annahme gelöst werden.

Abgesehen von der Realitätsferne stellen sich weitere Fragen: Weshalb akzeptieren Individuen überhaupt Geld als Zahlungsmittel, wenn Geld nur eine Nummer ist? Gemäss den Neoklassikern erhält Geld seinen Wert durch seine Nützlichkeit als Tauschgut. Im Moment des Tausches wechselt Geld - eine Zahl - und ein Gut seinen Besitzer. Durch diesen Tausch kommt Geld zu seinem Wert und das Gut zu seinem Preis. Das Problem: Wieso sollte der Besitzer des Gutes eine blosse Zahl als Zahlungsmittel akzeptieren? Wenn der Besitzer eines wertvollen Guts Geld für sein Gut akzeptiert, muss dieses Geld schon vor dem Tausch einen Wert haben. Gemäss Neoklassik kommt der Wert des Geldes aber erst durch den Tausch zustande. Die neoklassische Theorie besagt also einerseits, dass Geld seinen Wert erst durch Tausch erhält; gleichzeitig müsste Geld aber bereits vor dem Tausch einen Wert aufweisen, damit jemand überhaupt einen Tauschhandel eingeht. Das zu erklärende Phänomen - die Kaufkraft einer reinen Nummer - wird also vorausgesetzt.

Die Neoklassiker versuchen heute diese Inkonsistenz zu umgehen, indem sie (wieder per Annahme) festlegten, dass Geld ein Nettovermögen darstellt. Banken und Nationalbanken können somit - laut Neoklassik - ein Nettovermögen aus dem Nichts - ex nihilo - schaffen! Durch die Kredite der Nationalbank an Geschäftsbanken und der Geschäftsbanken an Nicht-Banken wird - gemäss Neoklassik - von Beginn an wertvolles Geld aus dem Nichts in den Wirtschaftskreislauf "gepumpt". Hier sind wir am esoterischen Kern der Neoklassik angelangt: Keinem weltlichen Wesen ist es vergönnt, wertvolle Waren aus dem Nichts zu schaffen. Nur göttliche Wesen sind im Stande, das Gesetz der Energieerhaltung zu überwinden und "Etwas" aus dem "Nichts" zu schaffen.

Fassen wir die warlasianischen Kernaussagen und Widersprüche zusammen. Walras definierte ein Kontinuum an Gütern, die gegeneinander getauscht werden; somit entstehen Austauschverhältnisse zwischen den Gütern. Um Preise erklären zu können, fügte er per Annahme das Numéraire-Gut in sein lineares Gleichungssystem ein: eine blosse Zahl, die gegen die anderen Güter getauscht wird. Durch den Tausch erhalten die Güter einen Preis und die Zahl einen Wert. Das Problem: Die Umwandlung eines Gutes in eine Zahl per Annahme hat in der Wissenschaft nichts zu suchen. Der Integrationsmechanismus von Zahlen und Gütern - die erste und wichtigste Aufgabe der VWL - wird umgangen. Wie können wir jemals den Zusammenhang zwischen realem Sektor und Finanzsektor erklären, wenn wir uns die Integration von Zahlen in die Wirtschaft durch lineare Algebra diktieren lassen, nicht durch die ökonomische Realität (in welcher Geld durch Bankkredite in den Umlauf kommt).  Wir wollen hier die Integration von Zahlen und Gütern verstehen. Durch die magische Umwandlung von Gütern in Zahlen erreichen wir dies sicher nicht, sondern umgehen das Problem. Zweitens ist es im walrasianischen System unmöglich, die Kaufkraft von Geld zu erklären. Um einen Wert zu besitzen, muss Geld gegen Güter getauscht werden. Aber um überhaupt getauscht zu werden, braucht Geld bereits vor dem Tausch einen Wert! Als Lösung versuchten Neoklassiker, Geld axiomatisch als Nettovermögen zu definieren. Laut dieser Betrachtung können Banken und Notenbanken Geld und somit Nettovermögen aus dem Nichts schaffen - als wären sie göttliche Institutionen.

Eine moderne Lösung des Wertproblems

(Vorbemerkung: Achtung! Geld und Einkommen sind nicht dasselbe, obwohl in aktuellen Wirtschaftsbüchern der Unterschied nicht sauber gemacht wird. In diesem Artikel möchte ich aber nicht auf den Unterschied eingehen. Nur eine Metapher: Geld ist das Vehikel, Einkommen/Output ist der Inhalt, so wie Hämoglobin der Träger von Sauerstoff ist).

Im Folgenden die moderne Lösung des Wertproblems, vertreten von Anhängern der "Theory of Money Emissions".

Beginnen wir die Analyse mit der Emission von Geld. Die strikten Regeln der Logik verlangen, dass wir von tabula rasa ausgehen; es existiert noch kein Geld. Damit vermeiden wir die logische Absurdität, dass wir die Entstehung von Geld erklären, indem wir voraussetzen, dass es bereits existiert.

Wird der Lohn eines Arbeiters nach einer Produktionsperiode ausbezahlt, schreibt die Bank eine Geldsumme, £y, auf ihre Aktivseite. Dies ist die Schuld der Unternehmung an die Bank. (Exakt) Gleichzeitig schreibt sie den Lohn des Arbeiters, £x, auf die Passivseite. Die Operation, die zu £y führt, muss gezwungenermassen zur gleichzeitigen Schöpfung von £x führen. Die Operation, die es erlaubt, dem Arbeiter den Betrag £x zu überweisen, muss deshalb genauer untersucht werden.


Die Bezahlung des Arbeiters definiert natürlich die Bezahlung seiner Arbeit auf dem Faktormarkt (= Arbeitsmarkt). Erst, wenn die Arbeit auf den Faktormärkten bezahlt wurde, existiert die Kaufkraft, um die Produkte auf dem Gütermarkt zu kaufen. Die Bezahlung eines Arbeiters benötigt deshalb kein bereits existierendes Einkommen. Die Bezahlung von Arbeit definiert eine spezielle Art von Transaktion. Durch die Bezahlung des Lohnes auf Faktormärkten wird Geld erstmals mit physikalischem Output assoziiert.

Das Einkommen £x des Arbeiters wurde von niemandem "aufgegeben" oder "verloren", sondern wurde kreiert in der Lohnzahlung (durch Arbeit). Wir haben gesagt, dass kein weltliches Wesen "Etwas" aus dem "Nichts" schöpfen kann. Der Begriff "Schöpfung" von Wert bezieht sich nicht auf eine Schöpfung von Masse oder Energie - Masse und Energie müssen natürlich konstant bleiben. Die "Schöpfung" eines Produktes weist darauf hin, dass Masse und Energie durch den willentlichen Einsatz der menschlichen Arbeitskraft so umgestaltet wurde, dass sie menschlichen Bedürfnissen nützlicher als zuvor erscheinen. Dieses Produkt definiert nun ein positives Wertquantum, da es der  Bevölkerung auf dem Gütermarkt zur Verfügung steht. Weil Einkommen erst durch die Lohnzahlung entsteht, wie jetzt ersichtlich wurde, folgt, dass nicht nur Produkte, sondern auch Einkommen in der Lohnzahlung entsteht. Der Arbeiter hat durch seine Arbeit also zwei Objekte hergestellt: das Produkt und gleichzeitig sein alter ego: Einkommen. In welchem Verhältnis stehen Einkommen und Produkt? Sind sie entkoppelte, oder gar kumulative Phänomene? Zeigen wir dieselbe Grafik ein wenig abgeändert:

Wir unterstreichen noch einmal, dass das Einkommen des Arbeiters für die Unternehmung nicht verloren gegangen ist. Vielmehr existierte das Einkommen vor der Lohnzahlung nicht, sondern entstand in der Lohnzahlung. Eine kurze Analyse der Kreditbuchhaltung von Banken bestätigt diesen Umstand ganz eindeutig. Das Unternehmen zahlt via Bank (als Intermediärin) die Löhne an den Arbeiter. Die Bank kreiert die dafür notwendige Geldsumme, um auf der Aktivseite £y und auf der Passivseite gleichzeitig £x einzutragen.

Was passiert nun, wenn der Arbeiter sein Einkommen auf dem Produktemarkt wieder ausgibt? Dazu ist es nützlich, wenn wir zwei neue Konzepte einführen: der relative und der absolute Tausch.

Ein relativer Tausch ist ein Tausch zweier autonomer Objekte. Der Tausch macht diese zwei Objekte zwar äquivalent (Aristoteles etc.), jedoch existieren vor und nach dem Tausch beide Objekte unabhängig voneinander. Sie zirkulieren also in gegenseitige Richtungen, wie in folgender Abbildung dargestellt:


In dieser Abbildung wird das Gut a gegen das Gut b getauscht. Relativ heisst der Tausch, weil die zwei autonomen Objekte im Moment des Tauschs in ein Äquivalenzverhältnis gesetzt werden. Dies ist nicht der Fall, wenn ein Arbeiter sein Einkommen erhält/ausgibt. Durch ihre Arbeit stellen Arbeiter ein physikalisch existierendes Produkt her (sei dies Waren oder Dienstleistungen), welches das Objekt ihres Einkommens definiert. Einkommen und Output werden deshalb nicht als zwei autonome Entitäten getauscht, die vor- und nachher unabhängig voneinander exsitieren. Das Produkt und das Einkommen definieren eine logische Identität, sie sind dasselbe Objekt aus zwei Perspektiven (die nationale Buchhaltung bestätigt übrigens diese buchhalterische Tatsache mit der Identität "Einkommen = Produktion"). Konsum ist kein relativer Tausch zwischen zwei autonomen Objekten, sondern definiert einen absoluten Tausch. Ein absoluter Tausch ist ein Tausch zwischen einem Objekt mit sich selbst. Betrachtet man wieder die zweite Bankbilanz oben, so ist ersichtlich, dass die Ausgabe des Einkommens auf dem Produktemarkt dazu führen wird, dass das Guthaben des Arbeiters und die Schuld der Unternehmung gleichzeitig zerstört werden. Während also Produktion zur Schöpfung eines gänzlich neuen Einkommens führt, definiert Konsum ("negative Produktion") die Zerstörung von Einkommen.

Die Bezahlung des Lohns ist eine Emission; Arbeiter bekommen dadurch ihr eigenes Produkt in der Form von Einkommen. Die Beziehung zwischen Output und Einkommen definiert deshalb nicht bloss eine Gleichheit, sondern eine Identität. Mit derselben Transaktion gibt und nimmt das Unternehmen dem Arbeiter dasselbe Objekt: durch die Emission von Geld gibt das Unternehmen dem Arbeiter das Einkommen und behält dafür sein Produkt (auf Zeit). Deshalb ist der Tausch absolut.

Das Produkt des Arbeiters befindet sich nun zwar physikalisch und juristisch gesehen beim Unternehmen; ökonomisch gesehen gehört es aber dem Arbeiter, der mit dem Einkommen die Kaufkraft über das Produkt besitzt. Ergänzen wir die Ausführungen mit einigen grafischen Darstellungen. Die Eröffnung einer Kreditlinie an eine Firma definiert eine nominelle Emission von Geld in der folgenden Form:
Diese Transaktion ist im modernen Banking eine Off-Balance-Sheet-Transaktion; sprich, sie wird gar nicht in der Bankbuchhaltung eingetragen. Wenn eine Bank einer Unternehmung einen Kredit von, sagen wir, 10'000 CHF gewährt, schuldet die Bank der Unternehmung (+) 10'000 CHF, und die Unternehmung schuldet der Bank (-) 10'000 CHF zurück. Erst wenn der Unternehmung diese Kreditlinie braucht, geschieht monetär etwas. Sobald nun eine Unternehmung die Kreditlinie benutzt, indem sie ihre Arbeiter bezahlt, trennen sich die positiven und negativen Komponenten von Geld:


Wie wir nun sehen, besitzen Arbeiter "positives" Geld in Form von Einkommen, während das negative Gegenstück von der Unternehmung übernommen wird: Die Schuld, kompensiert durch verkaufbare Produkte im Lager. Die zwei Komponenten der Transaktion, das "+" und das "-", stellen deshalb die zwei Aspekte derselben Realität dar: Geld. Das positive Geld in obiger Darstellung ist das neu geschaffene Einkommen. Output ist das Objekt dieses Einkommens.

Heute denken viele Ökonomen, Einkommen sei eine kontinuierliche oder diskontinuierliche Funktion der Zeit, eine Art Fluss ("Einkommen/Zeitheinheit"). Wenn das so wäre, so hätte dieser Fluss eine gewisse Intensität, und das Resultat dieses Flusses wäre = Zeit * Intensität des Flusses. Von dieser Fehlkonzeption stammt das missglückte Konzept der "Umlaufgeschwindigkeit des Geldes", das zurück verfolgt werden kann bis David Hume, und danach von Mill, Marx, Fisher und Mises wieder verwendet wurde.

Doch Einkommen ist das Resultat von Arbeit und entsteht in der Lohnzahlung. Bankdepots in Banksoftware sind die "Speicherform" von Einkommen. Einkommen hat eine numerische Dimension, ist aber nicht bloss eine Nummer; Einkommen hat einen realen Zwillingsbruder: Das Produkt, mit welchem es entstand. Produktion ist nicht bloss ein physikalischer Prozess. Sie ist eine monetäre Operation, durch welche physische Produkte in Geld getauscht wird. Somit ist es klar, dass Produktion eine augenblickliche Operation ist, welche durch die Ausbezahlung des Lohnes definiert wird.

Nun können wir die Frage des Werts lösen. Werte entstehen auf dem Arbeitsmarkt, wenn Löhne bezahlt werden. Durch diese Operation werden Produkte mit Geld - einer Nummer - assoziiert. Das schwierige am Konzept des Werts ist, dass man niemals wissen kann, was der Wert eines Produktes ist, sobald es mehr als ein Produkt in einem Währungsraum gibt. Dies ist so, weil es absolut unmöglich ist, exakt zu sagen, welcher Lohnanteil genau für die Produktion eines isolierten Produktes aufgewendet wurde. Was man aber sagen kann: Alle Produkte, die innerhalb einer definierten Zeitperiode hergestellt wurden und deren Produktion abgeschlossen ist, besitzen exakt den Wert der totalen Lohnsumme, welche alle Arbeiter für die Herstellung der Produkte erhielten. Aus diesem Grund ist Wert ein makroökonomisches Konzept: Wert kann nur exakt bestimmt werden auf der Ebene der Gesamtheit aller Wirtschaftsakteure in einem Währungsraum. Man kann nie sagen: "Der Wert dieses Buchs ist exakt 5.-, aber der Preis ist 7.-". Durch kaufmännische Betriebsbuchhaltung (Kostenträgerrechnung) kann zwar in der Praxis eine Annäherung erreicht werden, aber eben nur eine Annäherung.

Preise hingegen können beobachtet und mit einem einzelnen Produkt exakt assoziiert werden. Dies sollte jedem einleuchten.

Die nächste spannende und lösbare Frage, welche schon viele Ökonomen beschäftigte, ist die folgende: Wie kann es sein, dass der Preis aller Produkte in einer Volkswirtschaft über ihrem Wert liegen kann? Offensichlicht können Unternehmen nur einen Profit erwirtschaften, wenn der Preis über den Kosten liegt. Doch wenn die Einkommen in einem Land gerade das Resultat der Bezahlung aller Produktionskosten sind, wie können dann alle Unternehmen den Preis über die Produktionskosten anheben? Explizit: Wenn die gesamten Produktionskosten in einem Jahr CHF 1 Mrd. betragen, der Wert aller Produkte also genau CHF 1 Mrd. beträgt, wie können die Unternehmen dann die Preise auf - sagen wir - durchschnittlich CHF 1.1 Mrd. anheben? Doch diese Frage soll nicht in diesem Artikel besprochen werden.

Donnerstag, 1. Juli 2010

Fazit aus 30 Jahren Monetarismus

Milton Friedman war die treibende Kraft hinter der konservativen Revolution der 1970er und 80er Jahre. Seit Reagan und Thatcher dominiert - mindestens rhetorisch betrachtet - eine Mischung aus Angebotsökonomie (Betonung der Anreize) und Monetarismus (Betonung der Geldwertstabilität) die angelsächsische Wirtschaftspolitik. Friedman wird neben Keynes häufig als grosser Makroökonom des 20. Jh gelistet. Doch wieviel bleibt heute, vier Jahre nach seinem Tod, von seinem intellektuellen Erbe übrig? Das beinahe 30-jährige natürliche Experiment soll hier gedeutet werden.

Gemäss dem einflussreichen US-Ökonomen variieren Zinsen aufgrund von Änderungen der Geldmenge. Hohe und steigende Zinsen werden mit einer steigenden Geldmenge, tiefe und fallende Zinsen werden mit einer abnehmenden Geldmenge assoziiert. Eine steigende Geldmenge führt demnach zu einer Zunahme des Konsums und der Investitionen, dadurch steigen die Preise und - wegen der höheren Investitionsnachfrage - die Zinsen. Vor allem glauben Monetaristen noch immer, dass es die effizienteste Art der Inflationsbekämpfung sei, die Geldmenge durch Zinspolitik zu steuern. Der Glaube, dass Inflation bekämpft werden könne durch höhere Zinsen, welche eine Reduktion der Ausgaben bewirken, und das Deflation bekämpft werden kann durch tiefe Zinsen, welche zu einer Erhöhung der Ausgaben führen, ist so weit verbreitet unter Ökonomen, dass es eine Art ökonomisches Axiom darstellt.

In politischen und akademischen Kreisen triumphierte Friedmans Neu-Erfindung der alten Quantitätstheorie des Geldes vollständig. De facto wurde sie schon von Aristoteles, Locke und Hume beschrieben, stellte also keine wirklich neue theoretische Leistung dar. Immer noch stellt die Kausalität dM -> dP in Universitäten ein intellektuelles Nadelöhr dar, durch das sich Studenten der Volkswirtschaftslehre hindurchzwängen müssen, wollen sie jemals in die höheren Gefilde ökonomischer Vielwisserei aufgenommen werden. In diesem akademischen Sinne ist Friedmans Erbe lebendig und stark vertreten. Insbesondere überlebte das NAIRU-Konzept von Friedman an gewissen Universitäten bis heute - obschon die 90er-Jahre in den USA einen empirischen Gegenbeweis lieferten: tiefe Inflation und tiefe Arbeitslosigkeit während mehreren Jahren. Die ständigen Anpassungen der inflationsstabilen Arbeitslosenquote an die neuen Tatsachen sind ein Zeichen für die Absurdität dieser Theorie.

Für Friedman ist das Preisniveau abhängig von der Beziehung zwischen zwei "Massen", den Gütern und Dienstleistungen einerseits und der "Masse Geld" andererseits. Das Ziel der Geldpolitik ist es dann, dass sich diese zwei "Massen" im Gleichschritt bewegen.

Praktische Nationalbankiers hören schon längst nicht mehr auf Friedmans Ratschläge. Keine einzige Nationalbank auf der Welt steuert heute noch direkt Geldaggregate an. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Notenbankiers passiv und versorgten die Kapitalmärkte mit Liquidität zu tiefen Zinsen. 1979 begann die US-Fed mit ihrer Mission, die Geldmenge zu kontrollieren. 1981 versuchte sie durch dramatische Zinserhöhungen, die Inflation in den Griff zu bekommen. Die Arbeitslosenquote schoss in die Höhe, Unternehmen konnten ihre Zinsen nicht mehr bezahlen, die streckenweise über 20% stiegen. Die tiefe Rezession von 1980-81 war also absichtlich geschaffen worden. Die hohen Zinsen wirkten sich über drei Kanäle aus: erstens wurden die Drittweltländer, die sich in Dollar verschuldet hatten, durchgerüttelt; ihre Importe aus den USA brachen zusammen. Zweitens brach die nationale Produktion der USA wegen den hohen Zinsen ein. Drittens stieg der US-Wechselkurs im Vergleich zu den anderen Währungen, was zu einem zusätzlichen Absinken der Exporte führte.

Für jeden Beobachter hätte derweil klar sein müssen, dass der Preisanstieg hauptsächlich den gestiegenen Ölpreisen aus dem Ausland zu verdanken war und dass sich das Verhältnis von nationaler Geldmenge zu nationaler Produktion deswegen nicht veränderte. Es handelte sich nicht um nationale Geldentwertung (= Inflation), sondern um internationale Kaufkraftverschiebung. Die Einnahmen der OPEC-Länder aus Erdölverkäufen stiegen von 1972 bis 1980 von knapp $100Mrd auf knapp $600Mrd. Die $500Mrd Differenz waren eine reine Kaufkraftverschiebung - ermöglicht durch Kartellpreise - weg von den erdölimportierenden hin zu den erdölexportierenden Ländern. Mit Geldentwertung hat das nichts zu tun. Restriktive Geldpolitik war vollkommen nutzlos, denn man kann mit amerikanischen Leitzinsen nicht die Preispolitik der OPEC steuern. Die Konsumentenpreise stabilisierten sich schliesslich nicht wegen der hohen Zinsen, sondern weil sich der Ölpreis stabilisierte. Die US-Fed hörte glücklicherweise 1982 damit auf, die Höhe der Reserven zu beeinflussen versuchen. 1986 hörte man mit dem sinnlosen Versuch auf, M1 beeinflussen zu wollen. 1993 hörte man vollständig damit auf, monetäre Aggregate steuern zu wollen. Effektiv setzte die US-Fed also bloss für sehr kurze Zeit monetaristische Politik um. Es war nicht nur eine schmerzhafte Zeit für die US-Bevölkerung, die unter einer Arbeitslosenquote von über 10% leiden musste. Es war eine peinliche Übung für die Nationalbanken, weil sie merkten, dass sie keinen Einfluss auf die Menge der Bankdepots hatten. Zentralbanken - dies lernten die Praktiker daraus - haben die Geldmenge nie kontrolliert und konnten dies auch nie.

In der Schweiz waren die Erfolge monetaristischer Ratschläge mindestens so ernüchternd, weshalb Schweizer Nationalbanker der Wichtigkeit der Geldmengsteuerung heute allerhöchstens noch Lippenbekenntnisse zollen: 1975-1978 versuchte die SNB (als eine der erste Nationalbanken der Welt überhaupt), M1 zu steuern. Der Versuch scheiterte kläglich: nicht nur konnten die Ziele nicht erreicht werden; es gab auch keinerlei sichtbaren Zusammenhang zwischen der Inflation und dem M1-Wachstum. 1980 bis 1989 versuchte man also M0 zu steuern, da das einfacher ist. Doch auch M0 konnte nicht kontrolliert werden, und wieder gab es keinen Zusammenhang mit der Inflation. Um den Ruf der SNB nicht ganz ins Lächerliche zu ziehen, entschied man 1990, 5-Jahres-Ziele für M0 herauszugeben. Nicht einmal das wurde geschafft, weshalb man 1999 ganz damit aufhörte, Geldmengenaggregate anzusteuern. Deshalb verfolgt die SNB seit 1999 eine reaktive Inflation-Targeting-Strategie. Statistiken über Geldaggregate werden nur noch in Fachpublikationen gezeigt. Kaum jemand interessiert sich noch für sie. Die Notenbanker haben verstanden, dass, wenn man die Ursache von Inflation nicht kennt, es auch keinen Sinn macht, eine proaktive Geldpolitik zu betreiben. Während also praktische Notenbanker von der Absurdität der Geldmengensteuerung wissen, wird in Universitäten mangels Alternativen immer noch mit Modellen gearbeitet, die 1) davon ausgehen, dass man die Geldmenge mit der Geldpolitik effektiv steuern kann und 2) axiomatisch annehmen, dass (irgendwelche) Geldaggregate (M0, M1,...., M7) eng mit der Inflation korrelieren.

Man kann deshalb sagen, dass der Monetarismus zumindest in angelsächsischen Ländern bloss von 1979 bis 1985 offizielle Politik war. Die Theorie war empirisch so eindeutig widerlegt, dass sogar Milton Friedman selbst zugeben musste, dass seine Ansichten fragwürdig waren. 2003 liess er sich von der Financial Times zitieren: "The use of quantity of money as a target has not been a success (...) I'm not sure I would as of today push it as hard as I once did." Tatsächlich hatte die US-Fed schon längst damit aufgehört, Geldmengenstatistiken ernst zu nehmen.

Auch der sogenannte "Geldschöpungs- oder Kreditschöpfungsmultiplikators" findet in der Praxis der Banken weder Anwendung noch Wichtigkeit. Praktische Bankiers sprechen Kredite unabhängig von ihren Reservepositionen. Bankdirektoren wissen weder, wieviele Reserven im Bankensystem sind, noch interessiert es sie. Kreditsprechungen hängen vom Preis der Reserven und den erwarteten Einkünften ab, aber bestimmt nicht von der Höhe der Reserven. Kaum eine Notenbank bildet sich noch ein, dass sie über die Bankreserven irgend einen Einfluss auf die Inflation hat. Die Reservesätze sind in verschiedenen Ländern denn auch extrem unterschiedlich (0 bis 30%), ohne dass dies einen sichtbaren Einfluss auf die Geldwertstabilität hätte.

Als eigentlich neoklassischer Ökonom pendelte Friedman zwischen zwei - in sich selbst und zueinander - widersprüchlichen Gelddefinitionen. Einerseits sei Geld ein Gut, das produziert wird. Andererseits sei Geld ein "Schleier", der den realen Tausch irgendwie ermöglicht. Friedman glaubte - wie die Neoklassiker -, dass es genüge, Geld nachträglich in ein Allgemeines Gleichgewichtsmodell "einzupflanzen", um eine monetäre Ökonomie zu verstehen. Die monetäre und die reale Welt sind bei den Monetaristen - wie auch bei den Neoklassikern - vollständig getrennt. Dass die Finanzierung der Produktion durch Bankkredite eine intime Beziehung zwischen Geld und Produktion herstellt, sah Friedman im Unterschied beispielsweise zu Knut Wicksell, auf den er sich bezog, nicht.

Was bleibt makroökonomisch gesehen also heute von Friedmans Erbe übrig, wo sich seine geldpolitischen Überlegungen als empirisch widerlegt und theoretisch widersprüchlich erwiesen haben? Die Antwort muss lauten: nichts als ein Politischer Philosoph des Anti-Etatismus.

Mittwoch, 23. Juni 2010

Alice im Wunderland

Rolf Dobelli, Gründer von Zürich.Minds, schreibt in der NZZ vom 23.06.2010 einen erkenntnistheoretisch spannenden Kommentar. Ich will hier argumentieren, dass Dobelli – trotz wertvoller Aspekte – mit seinen Ausführungen in Sackgassen rennt, vor allem weil er die Geldtheorie mit Politischer Philosophie scheinbar gleichsetzt. Indem hier ein weiter - aber nicht willkürlicher - Bogen geschlagen wird über Keynes, Hayek und Popper, soll gezeigt werden, dass eine mit Finanzkrisen übersähte Geschichte nicht bedeuten muss, dass wir das Problem monetärer Krisen nie in den Griff kriegen werden.

Indem Dobelli ausschliesst, dass wir die Komplexität der Finanzmärkte je erfassen können, macht er paradoxerweise ebengerade eine Prognose über die Zukunft, wo er doch Prognosen als ungültige Konstrukte in einer non-probabilistischen Welt zu erklären versucht. Bekanntermassen können wir ja auch nicht induzieren, dass keine schwarzen Schwäne existieren, nur weil wir noch keinen gesehen haben. Aber anstatt dem scheinbaren Chaos des derzeitigen Finanzsystems resignierend Deus Vult! entgegenzurufen, sollte es unsere Aufgabe sein, endlich die Logik des Geld- und Kreditwesens wissenschaftlich zu verstehen. Davon sind wir noch weit entfernt. Dies einmal erreicht, können wir uns daran machen, das Finanzsystem stabil zu gestalten. Dazu braucht es ein logisches und konzeptuelles Verständnis der Natur und der Funktionen von Finanzmärkten, welches nicht Aufgabe der Politischen Philosophie, sondern der Geldtheorie ist. Während es die Aufgabe der Politischen Philosophie ist, politische Entscheide und Handlungen zu analysieren und kritisieren, ist es die Aufgabe der Geldtheorie, die Natur des Geldes zu erforschen und Ratschläge für die Politik zu machen, die ein ordentliches Finanzsystem ermöglichen. Die Gleichsetzung dieser zwei Wissenschaften ist vielleicht vergleichbar mit der Gleichsetzung von Architektur mit der Bauphysik.

Dobelli argumentiert, dass die Komplexität globaler (Finanz-)märkte uns alle in eine unangenehme Situation manövriert hat, in der wir unsere eigene Welt nicht mehr verstehen. Als Beweis führt er korrekterweise auf, dass trotz den ungefähr 1’000’000 Ökonomen auf der Erde niemand den Zeitpunkt und die genaue Entwicklung der Finanzkrise prognostizierte. Er schliesst daraus, dass wir unsere Entscheide und Handlungen neu bewerten müssen: erstens sollen wir für unsere Entscheidungen möglichst viele widersprüchliche Meinungen einholen und abwägen. Zweitens sollen wir Entscheidungsträger nicht an ihren Resultaten, sondern an ihren Entscheidungsprozessen messen. Drittens sollten wir anerkennen, dass es keine eindeutigen Prognosen mehr gibt. Viertens sei die Interdisziplinarität zu fördern. Fünftens soll Komplexität wissenschafltich erforscht werden.

Die Erkenntnis, dass unsere Handlungen Konsequenzen nach sich ziehen, deren Komplexitätsgrad unser kognitives Potenzial übersteigen, ist gewiss nicht neu. In der Wirtschaftswissenschaft waren es F. A. Hayek und J. M. Keynes, die über dieses Thema wohl am tiefsten und intensivsten nachdachten und weitgehend zu denselben Einsichten gelangten. Wen die Nennung dieser zwei Namen in einem harmonischen Kontext ein wenig befremdet, soll sich einmal mit K. Poppers Werk “Logik der Forschung” befassen. Popper – ein Mitglied der Mont Pélerin-Society und Freund von Hayek – bezieht sich in seiner Arbeit oft auf die epistemologischen Werke von Keynes aus den 1920er Jahren, als Keynes sich einen Namen als Logiker und Mathematiker machte. Tatsächlich sind die Ansichten von Keynes und Hayek im Bereich der Erkenntnistheorie weitgehend übereinstimmend. Auch drückte Keynes gegenüber Hayek seine tiefe Sympathie für dessen Politische Philosophie und Abhandlungen über die Freiheit aus – auch dies wissen bloss wenige, da sich die ideologisch geladene Keynes-Hayek-Debatte mehrheitlich auf deren Differenzen beschränkt. So schreibt Keynes über Hayeks "The Road to Serfdom":


"In my opinion it is a grand book...Morally and philosophically I find myself in agreement with virtually the whole of it: and not only in agreement with it, but in deeply moved agreement."

Hayek argumentiert insbesonders, dass zentrales Planen wegen der extremen Komplexität unserer Welt zu unbeabsichtigten und schlechten Konsequenzen führt (à la Ölflecktheorem von L. v. Mises), und dass zentrale Planung deshalb zum Scheitern verurteilt ist. Keynes hat dieser polit-philosophischen Erkenntnis kaum etwas entgegen zu setzen. Doch Keynes wurde von Alfred Marshall nicht als Politischer Philosoph eingestellt, sondern als Dozent für Geldtheorie an der Universität Cambridge.* Keynes erkannte in seinen Forschungen, dass in einer Geldwirtschaft die Kreditvergabe intim mit der Produktion gekoppelt ist, dass die Kreditvergabe zur Schöpfung neuer Einkommen führt, und dass Geld nicht physikalisch, sondern buchhalterisch verstanden werden musste. Kurzum: Keynes erkannte, dass das Phänomen des Geldes nicht mit dem Verhalten der Individuen erklärt werden kann, sondern eigenen – streng logischen – Gesetzen folgt.** So sind auch seine logischen Identitäten S=I und Y=C+I zu verstehen: dies sind buchhalterische Gesetze, welche ungeachtet individueller Verhalten stimmen. Keynes war deshalb nur in zweiter (oder dritter) Linie ein Politischer Philosoph. In erster Linie war er ein Geldtheoretiker.

Sein berufliches Lebensziel war es bekanntlich, eine "Monetäre Theorie der Produktion" zu begründen. Keynes’ weitgehende Übereinstimmung mit Hayeks Politischer Philosophie ist deshalb keineswegs widersprüchlich. Keynes und Hayek können durchaus als komplementäre Forscher verstanden werden.

In einem interessanten Vergleich schreibt Dobelli weiter, dass wir kein "Gefühl" für das Finanzssystem haben, sowie wir kein Gefühl für Quantenmechanik oder die Relativitätstheorie haben. Mit dieser Metapher scheint Dobelli dem Geist seines eigenen Artikels jedoch zu widersprechen. Denn obwohl sich das Verhalten subatomarer Teile und der dehnbaren Zeit unserer Vorstellungskraft entzieht, haben es ja Wissenschaftler durch die Anwendung logischer Beweisführung gerade geschafft, diese kontraintuitiven Phänomene zu erschliessen!*** Wie Louis de Broglie unser Verständnis einer kontinuierlichen Welt erschütterte, indem er auf die notwendige Existenz von Materiewellen hindeutete, brauchen wir noch immer einen wissenschaftlichen Fortschritt, um die Logik des Geldes zu erklären.

Nun könnte man argumentieren, dass das Finanzsystem von Natur aus ein chaotisches System sei (wie das Klima vielleicht), und dass man es deshalb nicht verstehen kann. Tatsächlich scheint Dobelli in diese Richtung zu gehen, wenn er sagt, dass "nirgendwo (...) die monetären Anreize, die Welt zu verstehen, so gross sind wie auf den Finanzmärkten". Diese Betrachtugsweise darf aus zwei Gründen bezweifelt werden. Erstens verlangen es die Anreize im Finanzsektor in erster Linie, einen grossen Profit zu erwirtschaften. Die Ansicht, der Finanzsektor sei eine Art Bildungsinstitut voller Gelehrter, wo alle Anreize in Richtung Wissensvermehrung zeigen, ist doch gewagt - obwohl man davon ausgehen kann, dass viele Bankiers sehr gebildete Menschen sind. Zweitens ist das Finanzsystem - im Unterschied zum Klima - von Menschenhand geschaffen. Während das Klima deshalb physikalischen Gesetzen unterworfen ist, unterliegt das Finanzsystem einem anderen ordnenden Moment: buchalterischen und ökonomischen Prinzipien.** Diese haben ihre eigene Logik und können mit physikalistischen Ansätzen nicht verstanden werden.

Wie Ökonomen denn ungerne zugeben, arbeitet die moderne Makroökonomie mit Realtauschmodellen, in denen Geld als eine Art "Schleier" oder "öffentliches Gut" erst ex-post eingeführt wird. Seit John Hicks' berühmten Ausspruch "Money is what money does" wird Geld zudem bequemerweise nur noch anhand seiner Funktionen definiert. Die Natur des Geldes wird nicht definiert, resp. man beschränkt sich auf Quasi-Definitionen wie "Geld ist, was als Geld akzeptiert wird". Was jedem anderen Wissenschaftler als zirkuläre Definition ins Auge springen muss, scheint Ökonomen nicht zu stören. Es muss jedem einleuchten, dass, solange wir keine logisch konsistente Definition von Geld haben, wir auch nicht wissen können, was eigentlich die genauen Funktionen von Banken sind. Hier muss angesetzt werden. Die konzeptuelle Logik, wie von Popper ausführlich beschrieben, muss zur einzig zulässigen Methode der Wirtschaftstheorie werden. Axiomatische Modelle müssen abgerissen werden, wo diese Unwissen bloss überbrücken. Die Politische Philosophie kann und soll sich mit Prognosemöglichkeiten in komplexen Systemen beschäftigen. Die Geldtheorie muss sich mit der Logik des Geldwesens und des Zahlungsystems auseinandersetzen und Vorschläge machen, wie die oszillierenden Finanzmärkte stabil gemacht werden können. Das ist keine unmögliche Aufgabe. Wir haben ein wichtiges Präjudiz: in der Nachkriegszeit waren die Finanzmärkte sehr viel stabiler als heute. Der Wirtschaft ging es wesentlich besser. Wussten wir früher gar mehr als heute?

* Marshall – der Begründer des allbekannten Angebots- und Nachfragediagramms – erkannte in Keynes einen brillianten Logiker und erhoffte sich, dass Keynes die Mängel seines Angebots- und Nachfrageschemas beheben könnte. Die Mängel waren – wie Marshall selbst erkannte – die fehlenden Dimensionen Geld und Zeit.

** Das "essenzielle Prinzip des Bankenwesens", welches Keynes als das grundlegendste Prinzip der Geldtheorie erkannte, war die notwendige Gleichheit der Gutschriften und Belastungen innerhalb jeder Transaktion ("the necessary equality of debits and credits").

*** Tatsächlich gibt es in der Ökonomie wie auch in der Physik Phänomene, welche sich nicht durch "visuelle Observation" erklären lassen, sondern für deren Verständnis logische Beweisführung herangezogen werden muss.

Sonntag, 16. Mai 2010

Das Problem kontinuierlicher Angebots- und Nachfragekurven

Dieser kurze Beitrag soll zeigen, dass kontinuierliche Angebots- und Nachfragekurven dazu führen, dass Preisveränderungen nicht existieren können. Ein realisierter Preis kann nur im Moment der Transaktion beobachtet werden, und im Moment der Transaktion ist der angebotene Preis identisch dem nachgefragten Preis. Das bedeutet, dass Überangebot oder Übernachfrage zeitlich nur im Zeitintervall zwischen zwei Transaktionen existieren können. Da eine stetige Kurve diese Möglichkeit per Annahme ausschliesst, werden Preisveränderungen durch kontinuierliche Kurven verunmöglicht.



An den Zeitpunkten t0, t1, t2 und t3 wird ein Einkommen gegen ein Produkt getauscht. Das Preisniveau zum Zeitpunkt der Transaktion ist p0 resp. p1, p2 und p3. Wir erkennen, dass in den Zeitintervallen zwischen den Transaktionen t0 bis t3 keine Transaktion statt findet. Es ist jedoch (mathematisch gesehen) möglich, die verschiedenen Punkte A bis D mit einer Kurve s=d zu verbinden. Alle Punkte auf der Kurve drücken eine Gleichheit (=) zwischen Angebot und Nachfrage aus, würde an diesem Zeitpunkt eine Transaktion stattfinden. Jedoch sind an den Zeitpunkten der Transaktion (t0 bis t3) Angebot nicht nur gleich (=) der Nachfrage, sondern identitisch (≡). Das Identitätszeichen "≡" besagt, dass die Faktoren Angebot und Nachfrage Teile einer einzigen Operation sind: der Transaktion. In den Zeitpunkten t0 bis t3 finden Transaktionen statt, in denen Angebot und Nachfrage beliebig austauschbar sind: eine Partei bietet Geld an / fragt Produkte nach, die andere Partei bietet Produkte an / fragt Geld nach. Ausdrücklich heisst das im Moment der Transaktion:

Nachfrage = Produkt = Geldsumme = Angebot

In allen anderen Zeitpunkten kann keine Transaktion beobachtet werden, weshalb Angebot und Nachfrage nur an den Transaktionspunkten A bis D identisch sind. In allen Momenten i sind Angebot und Nachfrage unterschiedliche Faktoren. Nur in den Momenten zwischen den Transaktionspunkten kann ein Nachfrage- oder Angebotsüberschuss existieren, da im Moment der Transaktion Angebot und Nachfrage eine Identität darstellen. Übernachfrage (d>s) zum Zeitpunkt der Transaktion ist deshalb ein bedeutungsloses Konzept, weil im Moment der Transaktion notwendigerweise s≡d gilt.

Nun ist natürlich das Problem, dass die Kurve s=d imaginär ist; sie extistiert nur in unseren Köpfen. Die einzigen Punkte, in denen wir den Tauschpreis eines Gutes kennen können, sind die Transaktionspunkte t0 bis t3. Wo kann also nun Übernachfrage existieren? Wie wir gesehen haben, kann sie unmöglich in t0 bis t3 existieren, da die notwendige Bedingung dafür fehlt (die Nicht-Identität von s und d). Die einzig richtig Schlussfolgerung ist, dass Übernachfrage einzig zwischen den Transaktionspunkten existieren kann. Sämtliche Punkte auf der Linie s=d ausser der Transaktionspunkte sind imaginär, "hineinfantasiert", und nicht realisiert. Die Vorstellung, Übernachfrage (d>s) könne innerhalb einer Transaktion existieren, wo doch die Transaktion genau die Identität zwischen d und s herstellt, ist absurd.

Übernachfrage kann nur in den Intervallen zwischen zwei Käufen hergestellt werden. Diese Aussage führt zur Unmöglichkeit einer kontinuierlichen Preisfunktion. Falls nämlich kein Zeitintervall zwischen zwei Transaktionen existieren könnte, wäre die Existenz einer Übernachfrage unmöglich; Preisveränderungen könnten nicht existieren.

Mittwoch, 12. Mai 2010

Die Natur von Einkommen

Beginnen wir die Analyse mit der Emission von Geld. Die strikten Regeln der Logik verlangen von uns, dass wir von tabula rasa ausgehen; es existieren noch keine Einkommen. Damit vermeiden wir die logische Absurdität, dass wir die Entstehung von Einkommen erklären würden, indem wir voraussetzen, dass Einkommen bereits existiert (denke z.B. an den Wirtschaftskreislauf aus der Grundschule, wo man erklärt, wie die "Einkommen umherfliessen", aber nicht erklärt wird, wie und wo genau diese Einkommen zuallererst entstehen).

Wird der Lohn eines Arbeiters nach einer Produktionsperiode ausbezahlt, schreibt die Bank eine Zahl, £y, auf seine Aktivseite. Dies ist die Schuld der Unternehmung an die Bank. (Exakt) Gleichzeitig schreibt sie den Lohn des Arbeiters, £x, auf die Passivseite. Die Operation, die zu £y führt, muss gezwungenermassen zur Schöpfung von £x führen. Die Operation, die es erlaubt, dem Arbeiter den Betrag £x zu überweisen, muss deshalb genauer untersucht werden.


Die Bezahlung des Arbeiters ist natürlich die Bezahlung seiner Arbeit auf dem Faktormarkt. Erst, wenn die Arbeit auf den Faktormärkten bezahlt wurde, existiert die Kaufkraft, um die Produkte auf dem Gütermarkt zu kaufen. Die Bezahlung eines Arbeiters benötigt deshalb kein bereits existierendes Einkommen. Jedoch definiert die Bezahlung von Arbeit eine spezielle Art von Transaktion: Einkommen (Kaufkraft) wird in der Bezahlung des Lohns simultan mit Preisen determiniert. Vor der Bezahlung von Löhnen sind Preise und Einkommen nicht determiniert. Durch die Bezahlung des Lohnes auf Faktormärkten wird Geld mit physikalischem Output assoziiert und Output, indem es einen Preis erhält, wird zum Objekt von Einkommen.

Obige Abbildung zeigt, dass, obwohl ein Arbeiter mit nominalem Geld bezahlt wird, sein Einkommen ein positives Guthaben definiert. Der Verdienst £x wurde also von niemandem "aufgegeben" oder "verloren", sondern ist eine eigentliche Schöpfung von Einkommen. Der Arbeiter hat durch seine Arbeit also zwei Dinge hergestellt: das Produkt und - gleichzeitig - das Einkommen. In welchem Verhältnis stehen Einkommen und Produkt? Sind sie entkoppelte, oder gar kumulative Phänomene? Zeigen wir dieselbe Grafik ein wenig abgeändert:

Wir unterstreichen noch einmal, dass das Einkommen des Arbeiters für die Unternehmung nicht verloren gegangen ist. Die Analyse der Buchhaltungspraxis von Banken bestätigt diesen Umstand ganz eindeutig. Das Unternehmen zahlt via Bank die Löhne an den Arbeiter. Die Bank kreiert die dafür notwendige Geldsumme, um auf der Aktivseite £y und auf der Passivseite gleichzeitig £x einzutragen.

Was passiert nun, wenn der Arbeiter sein Einkommen auf dem Produktemarkt ausgibt? Dazu müssen wir zwei neue Konzepte einführen: der relative und der absolute Tausch.

Ein relativer Tausch ist ein Tausch zweier unterschiedlicher Objekte. Der Tausch macht diese zwei Objekte zwar äquivalent, jedoch existieren nach dem Tausch beide Objekte weiterhin. Sie zirkulieren also in gegenseitige Richtungen, wie in folgender Abbildung dargestellt:


In dieser Abbildung wird das Gut a gegen das Gut b getauscht. Relativ heisst der Tausch, weil nach dem Tausch beide Güter weiterhin existieren. Doch dies ist nicht der Fall, wenn ein Arbeiter sein Einkommen ausgibt. Durch ihre Arbeit stellen Arbeiter ein physikalisch existentes Produkt her, welches den Inhalt ihres Einkommens definiert. Geld und Output werden deshalb nicht als zwei autonome Entitäten getauscht. Das Produkt und das Einkommen definieren eine logische Identität, sie sind die Objekte voneinander (die nationale Buchhaltung bestätigt diese buchhalterische Tatsache mit der Identität "Einkommen = Produktion"). Konsum ist deshalb kein relativer Tausch zwischen zwei autonomen Objekten, sondern definiert einen absoluten Tausch. Ein absoluter Tausch ist ein Tausch zwischen einem Objekt mit sich selbst. Betrachtet man wieder die zweite Bankbilanz oben, so ist ersichtlich, dass die Ausgabe des Einkommens auf dem Produktemarkt dazu führt, dass das Guthaben des Arbeiters und die Schuld der Unternehmung gleichzeitig zerstört werden. Während also Produktion zur Schöpfung eines Einkommens führt, definiert Konsum (negative Produktion) die Zerstörung von Einkommen.

Die Bezahlung des Lohnes ist eine Emission; Arbeiter bekommen dadurch ihr eigenes Produkt in der Form von Geld. Die Beziehung zwischen Output und Einkommen definiert deshalb nicht bloss eine Äquvalenz, sondern eine IDENTITÄT. Mit derselben Transaktion gibt und nimmt das Unternehmen dem Arbeiter dasselbe Objekt: durch die Emission von Geld gibt das Unternehmen dem Arbeiter das Einkommen und nimmt dafür sein Produkt. Deshalb ist der Tausch absolut.

Das Produkt des Arbeiters befindet sich nun zwar physikalisch (und juristisch) gesehen beim Unternehmen; ökonomisch gesehen gehört es aber dem Arbeiter, der mit dem Einkommen die Kaufkraft über das Produkt besitzt. Ergänzen wir die Ausführungen mit einigen grafischen Darstellungen. Die Eröffnung einer Kreditlinie an eine Firma definiert eine nominelle Emission von Geld in der folgenden Form:
Diese Transaktion ist im modernen Banking eine Off-Balance-Sheet-Transaktion; sprich, sie wird gar nicht in der Bankbuchhaltung eingetragen. Wenn eine Bank einer Unternehmung einen Kredit von, sagen wir, 10'000 CHF gewährt, schuldet die Bank der Unternehmung (+) 10'000 CHF, und die Unternehmung schuldet der Bank (-) 10'000 CHF zurück. Erst wenn der Unternehmung diese Kreditlinie braucht, geschieht monetär etwas. Sobald nun eine Unternehmung die Kreditlinie benutzt, indem sie ihre Arbeiter bezahlt, trennen sich die positiven und negativen Komponenten von Geld:


Wie wir nun sehen besitzen Arbeiter positives Geld, während das negative Gegenstück von der Unternehmung übernommen wird. Die zwei Komponenten der Transaktion - das "+" und das "-" - stellen deshalb die zwei Aspekte derselben Realität dar: Geld. Das positive Geld in obiger Darstellung ist das neu geschaffene Einkommen. Output ist das Objekt dieses Einkommens.

Heute denken viele Ökonomen, Einkommen sei eine kontinuierliche oder diskontinuierliche Funktion der Zeit, eine Art Fluss ("Einkommen/Zeitheinheit"). Wenn das so wäre, so hätte dieser Fluss eine gewisse Intensität, und das Resultat dieses Flusses wäre = Zeit * Intensität des Flusses. Hierher stammt das missglückte Konzept der "Umlaufgeschwindigkeit des Geldes", das zurück verfolgt werden kann bis David Hume, und danach von Mill, Marx, Fisher und Mises wieder verwendet wurde.

Doch Einkommen ist das Resultat einer augenblicklichen Transaktion. Geldlöhne sind der numerische Ausdruck von Einkommen. Einkommen ist nicht bloss eine Nummer; es hat ebenfalls einen realen Inhalt, definiert durch seine Assoziation mit dem Produkt. Produktion ist die Operation, durch welche physische Produkte in Geld getauscht wird. Somit ist es klar, dass Produktion eine augenblickliche Operation ist, welche durch die Ausbezahlung des Lohnes definiert wird.

aus A. Cencini: Money, Income and Time