Samstag, 13. November 2010

Die Bedeutung von Banknoten und die Mär von Seigniorage

Gemäss der geläufigen Wirtschaftstheorie - welche sich nicht für Zahlungssysteme oder Settlement-Prozesse interessiert - sind Banknoten und Münzen Schuldscheine des Staates. Laut dieser Geschichte werden Münzen und Banknoten in den Umlauf gebracht, indem der Staat - via Nationalbank - reale Güter aufkauft. Das hört sich dann in den Zeitungen so an: Die Nationalbank druckt Geld und pumpt es in die Wirtschaft. In der Folge wird erklärt, weshalb diese Metapher irreführend ist.

Tatsächlich wäre es sehr profitabel für eine Regierung, wenn sie dies tun könnte. Könnte der Staat tatsächlich mittels frisch gedruckter Banknoten Güter und Dienstleistungen kaufen, ohne sich dabei zu verschulden, würde Seigniorage existieren. Doch Seigniorage ist ein Märchen, das in einem ungenügenden Verständnis der Buchhaltungspraxis von Banken und Zentralbanken gründet. Einige Ökonomen, die den Staat einzig im Sinne Hobbes' Leviathan verstehen (wollen), argumentieren, dass der Staat aus diesem Grund das Monopol auf Bargeld bei sich behält.

Tatsächlich sind Banknoten kein Vorrecht des Staates. Wie die Geschichte des Geldes deutlich zeigt, gab es mehrere Episoden, in denen private Banken Banknoten herausgaben (im Sinne von Fiat Geld, also Papiergeld). Diese zirkulierten in einem weiten geografischen Raum und wurden dazu benutzt, Zahlungen zu tätigen. Im Mittelalter - vor allem im 14. Jahrhundert - wurden viele Märkte in Europa organisiert - der bekannteste in der Champagne. Auf diesen Märkten (resp. Börsen) wurden Tauschbücher gehalten und Guthaben und Schulden wurden abgewickelt, ohne dass eine einzige Münze den Besitzer wechselte. Tatsächlich wurden alle Schulden mit privaten Banknoten beglichen. Später, mit der Errichtung von Clearing-Häusern, wurde der Settlement-Prozess eine rein buchhalterische Angelegenheit, der auch ohne Banknoten von statten ging.

In Vereinigten Königreich benötigte es mehrere Bankreformen, die private Banken daran hinderten, eigene Banknoten in den Umlauf zu bringen. Ebenfalls war die "Bank of England" bis 1946 eine private Institution (sie pflegte jedoch enge Beziehungen zum Finanzministerium). In den USA durften Geschäftsbanken von 1863 bis 1935 eigene Banknoten herausgeben.

Doch obschon heute Zentralbanken generell zum erweiterten Kreis der Regierung gehören, bedeutet dies nicht, dass letztere ihre Ausgaben einfach mit der "Gelddruckmaschine" finanzieren kann: das würde bedeuten, dass der Staat einen neuen Schuldtitel herausgibt und die Bevölkerung höflich darum bittet, diesen doch bitte als Zahlungsmittel zu akzeptieren, obschon er diese Schuld niemals begleichen wird.

Tatsächlich verhält es sich so: Zentralbanken werden in den entwickelten Ländern relativ unabhängig von der Regierung geführt. Wenn der Staat Ausgaben tätigen muss, die er nicht mit Steuereinnahmen decken kann, dann darf der Staat Schuldscheine verkaufen - entweder an die breite Öffentlichkeit oder an die Zentralbank.

Obschon den Zentralbanken heute gesetzlich die Aufgabe obliegt, Banknoten und Münzen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, bedeutet dies nicht, dass das so emittierte Bargeld zusätzlich zu den bereits existierenden Bankdepots im Bankensystem dazugerechnet werden.

Kaufkraft existiert in originärer Form als Passivkonto in der Bilanz einer Geschäftsbank oder Zentralbank. Dort sind deine Ersparnisse in einer Software registriert. Deine Ersparnisse sind also - sagen wir das ganz einfach und deutlich - nicht in einem stählernen Tresor hinterlegt, sondern sind repräsentiert als Einsen und Nullen in Buchhaltungssoftware wie Avaloq oder Finnova. Ein Depot besteht also physikalisch betrachtet bloss aus elektronischen Impulsen. Die Emission von Banknoten erlaubt bloss die Substitution einer (immateriellen) Form finanzieller Ansprüche in eine andere (materielle) Form.

Nehmen wir also an, ein Besitzer eines Bankdepots von 10.- bei der Credit Suisse möchte Bargeld. Falls dem so ist, wird der Besitzer an einen Bankomaten gehen und Banknoten abheben. Die Credit Suisse benötigt dafür genügend Banknoten in ihren Tresoren, um die Nachfrage nach Banknoten stillen zu können. Da Banknoten Schuldtitel der Zentralbank sind, werden Banknoten von Zentralbanken nur gegen einen äquivalenten Anspruch auf Depots von Geschäftsbanken herausgegeben. Anders gesagt: die Zentralbank schenkt den Geschäftsbanken natürlich keine Banknoten, sondern tauscht ihre Schuldtitel gegen Schuldtitel der Geschäftsbanken aus.

Das bedeutet in der Praxis, dass Banknoten im Tresor der Geschäftsbank weder von der Zentralbank verkauft noch von den Geschäftsbanken gekauft wurden. Tatsächlich transformieren Geschäftsbank und Zentralbank durch ein Tauschgeschäft Schulden von Geschäftsbanken gegenüber ihren Bankkontenbesitzern in Schulden der Zentralbank gegenüber Notenbesitzern. Der Besitz einer Banknote bestätigt den Anspruch seines Besitzers auf ein Depot auf der Passivseite der Zentralbank.

Die Banknoten, die die Credit Suisse in ihren Tresoren lagert, bestätigen eine Schuld der Zentralbank an die Credit Suisse. Doch diese Schuldtitel bekommt die Credit Suisse nie und nimmer geschenkt, sondern denselben Betrag überweist die Credit Suisse gezwungenermassen (sprich per Gesetz) der Zentralbank. Diesen Betrag schuldet dann die Zentralbank der Geschäftsbank. Die reziproke Überweisung der Banknoten der Zentralbank an die Credit Suisse und der Überweisung einer äquivalenten Summe Bankdepots der Credit Suisse an die Zentralbank zeigt, dass das Ganze eine blanke Operation darstellt. Durch die Emission von Banknoten werden nicht mehr Depots geschaffen - also zum 'Buchgeld' dazugezählt - sondern es werden Depots durch Banknoten substituiert.

Die Emission einer Banknote ist also weder ein Kauf noch ein Verkauf durch den Staat, sondern eine Umwandlung eines Bankdepots in eine Banknote. Dieser Umstand wird durch einen entsprechenden Eintrag jeder Banknote auf der Passivseite der Zentralbankbilanz bestätigt.

Fassen wir zusammen: das Resultat einer Emission einer Zehnernote der Zentralbank an eine Geschäftsbank ist:

  • Bei der Zentralbank steht auf der Passivseite die Zahl 10 (unter "Notenumlauf"). Dies ist die Schuld der Zentralbank an die Geschäftsbank. Auf der Aktivseite steht das Depot 10 (unter "Giroguthaben"), das die Geschäftsbank der Zentralbank überweisen musste, um die Banknote zu erhalten.
  • Bei der Geschäftsbank steht auf der Aktivseite 10 (unter Bargeld) und auf der Passivseite das entsprechende Depot, das die Bank der Zentralbank schuldet
Sobald ein Bankkunde die die Banknote am Bankomaten herauslässt,
  • nimmt bei der Geschäftsbank ein Depot verloren (Bargeld) und gleichzeitig nimmt die Passivseite ab, resp. die Ersparnisse desselben Kunden bei der Bank.

All dies kann jederzeit in der Bilanzierungspraxis von Banken nachgeprüft werden. Dasselbe Prinzip gilt natürlich bei der Emission von Münzen.

In dieser Grafik sind alle relevanten Buchungseinträge zwischen der Geschäftsbank und der Zentralbank dargestellt. (Bitte draufklicken)

 Wieviele Banknoten im Umlauf sind, ist keine Frage der Geldpolitik. Wenn ein Bankkunde Bargeld vorzieht, hat die Geschäftsbank keine andere Wahl, als dem Kunden diese Banknote zu überweisen. Da sich elektronische Zahlungsmethoden immer grösserer Beliebtheit erfreuen, ist die Nachfrage nach Banknoten seit dem 2. Weltkrieg konstant gesunken: Während 1945 ca. 25% des Einkommens in Form von Banknoten gehalten wurde, sind es heute weniger als 10%. Es ist gut denkbar, dass die Nachfrage nach Banknoten in den nächsten Jahrzehnten ganz austrocknen wird, wenn elektronische Zahlungsmittel ganz an Überhand gewinnen. Übrigens werden über 50% des Banknotenwertes in Form von 1000er-Noten gehalten, was darauf hindeutet, dass einige Menschen ihr Erspartes lieber "unter der Matratze" lagern als in einer Geschäftsbank. Effektiv lagert ihr Depot natürlich immer noch in einer Geschäftsbilanz: auf der Passivseite der Zentralbankbilanz.


Hier die Grafik des Bargeldbestandes in der Schweiz seit 1907. Es soll hier unterstrichen werden, dass es ganz eindeutig keinen Zusammenhang zwischen der Banknotenmenge und der Inflation gibt.


Freitag, 17. September 2010

Klassische und neoklassische Werttheorie

Was ist Wert? Diese kleine Frage beschäftigte brilliante Ökonomen wie Smith und Ricardo, Marx und Walras viele Jahre ihres Lebens. Das Problem wurde gelöst - aber, wie hier argumentiert werden soll, weder von den Klassikern noch von den Neoklassikern.

Dieser Artikel erhebt den Anspruch der Wissenschaftlichkeit. Die Frage des Werts wird von vielen Wissenschaften gestellt: von der Soziologie, der Philosophie und Ethik und von der Physik. Hier geht es ausschliesslich um die ökonomische Betrachtung.

Bei der ökonomischen Betrachtung des Wertproblems geht es im Kern um die Integration von Zahlen mit der physikalischen Welt (in der keine Zahlen existieren). Dabei hilft folgender Vergleich: Man stelle sich 1kg Mehl vor. Wir assoziieren die Zahl "1" (eine ordnende Idee) mit einer genau definierten Masse Mehl. Doch wie kommen wir dazu, dass wir die blosse Zahl "1" einer Masse Mehl zuordnen können (Ich setze hier Masse mit Gewicht gleich, da ich davon ausgehe, dass wir bei diesem Beispiel auf der Erde bleiben.)? Die Antwort ist denkbar einfach: Indem wir (willkürlich) ein ganz bestimmtes Gewicht als Vergleichsgrösse festlegen. Im Falle des Gewichts haben wir seit 1888 das Urkilogramm, das in einem Tresor in Paris aufbewahrt wird. Das Kilogramm Mehl kann also mit einer Zahl versehen werden, weil wir eine standardisierte Masse festgelegt und diese mit der Zahl "1" assoziiert haben. Das Urkilogramm ist selbst genau 1 Kilogramm schwer, und alle Gewichte können im Verhältnis zu diesem Urkilogramm ausgedrückt werden. Analog verhält es sich natürlich beim Urmeter.

In der Wirtschaft beobachten wir nicht Gewicht in Kilo, sondern Preise in Franken, Dollar, Yen etc.. Ein Preis ist eine Zahl und wird - genau wie das Kilogramm oder der Meter - mit einer "Sache" identifiziert. Das Wertproblem kann nun mit drei Fragen formuliert werden:

1. Welches ist der Wertmassstab, den es für die Existenz von Preisen braucht?
2. Auf welche Weise werden (physikalische) Produkte mit (numerischen) Preisen integriert?
3. Was ist die Beziehung zwischen Werten und Preisen?

Die Fragen sind komplex. Während es jedem einleuchten muss, dass ein Urkilogramm selbst exakt ein Kilogramm wiegt und der Urmeter exakt ein Meter misst, ist es doch schwieriger zu fragen: Ist ein Franken selbst auch ein Franken wert? Weshalb sollte ein Franken - sprich eine Zahl, repräsentiert als elektronischer Impuls in einer Bankbilanz - überhaupt etwas wert sein, wo er doch offenbar keine physikalische Dimension besitzt und selbst nicht konsumiert werden kann? Das Urkilogramm besitzt selbst eine Masse und kann zur Menge aller Gewichte addiert werden. Beim Geld ist dies jedoch anders: Besässe Geld selbst einen Wert - unabhängig von den damit kaufbaren Gütern - müsste die Geldmenge zum BIP dazugerechnet werden. Das ist offensichtlicher Humbug. Adam Smith erkannte bereits, dass es eigentlich absurd ist, von "wertvollem" Einkommen zu sprechen, da der totale Wert eines Landes dann aus Produkten + Einkommen bestehen würde. Einkommen ist nur "wertvoll", da man damit Produkte kaufen kann.

"The great wheel of circulation (money) is altogether different from the goods which are circulated by means of it. The revenue of the society consists altogether in those goods, and not in the wheel which circulates them. In computing either the gross or the net revenue of any society, we must always, from their whole annual circulation of money and goods, deduct the whole value of the money, of which not a single farthing can ever make any part of either." Adam Smith, Wealth of Nations

Der Wert von Geld also hängt selbstverständlich von den Gütern ab, die man dafür erwerben kann. Doch wenn Geld keinen Eigenwert ("intrinsischen" Wert) besitzt, sondern bloss relativ zu den kaufbaren Gütern einen Wert besitzt, wie kann Geld als Wertmassstab für Güter dienen? Dieser offensichtliche Widerspruch soll hier besprochen werden.

Am besten wir beginnen mit einem Ausflug zu den Klassikern, welche ausführlich über das Wertproblem nachdachten:

Für die Klassiker (Smith, Ricardo, Marx, etc.) war Wert die Materialisierung von Arbeitszeit:

"Wir haben gesehn, dass die in einer Ware kristallisierte Menge notwendiger Arbeit ihren Wert konstituiert." Karl Marx: Lohn, Preis und Profit

"Schauspieler sind produktive Arbeiter, nicht sofern sie das Schauspiel produzieren, sondern indem sie den Reichtum ihres kapitalistischen Unternehmens vermehren. Durch welche Sorte von Arbeit das geschieht, also in welcher Form die Arbeit sich materialisiert, ist absolut gleichgültig." Karl Marx: Grundrisse

Der Preis war dann gewissermassen der numerische Ausdruck von Wert. In diesem Sinne vertraten die klassischen Ökonomen, was man eine "metaphysische" Erklärung von Wert nennen könnte: Durch einen unklar definierten Prozess "verwandelt" sich die produktive Zeit der Arbeiter in wertvolle Produkte, die sodann mit einem Preis versehen werden konnten, welcher dem Wert entsprechen kann (aber nicht muss). Wer jemals die Kapitel über Werttheorie von Marx, Ricardo, Smith oder Stewart gelesen hat, weiss um die Vertracktheit und den hohen Abstraktionsgrad des Problems. Laut klassischer Ökonomik stehen Preis und Wert in einer intimen, aber unklar definierten Beziehung - die Meinungen weichen unter klassischen Ökonomen ab. Die Ansicht, dass Arbeiszeit gewissermassen die "wertvolle Seele" eines Produkts sei und der Preis der numerische Ausdruck dieser Seele, führte direkt zum klassischen Wertparadoxon: Bei gewissen Gütern ist es offensichtlich, dass Produktionskosten und Verkaufspreis weit auseinander klafften. In welchem Verhältnis standen also Wert und Preis zueinander? Ricardo war sich dabei schmerzlich bewusst, dass ein Produkt, dass allein mithilfe von Maschinen hergestellt wird, ebenfalls einen Preis besass. Somit konnte Arbeit nicht die alleinige Quelle von Wert sein. Kapital - das wusste Ricardo - musste demnach ebenfalls als Wertquelle angesehen werden. Doch wenn Kapital neben Arbeit eine weitere Quelle des Wertes war - also selbst Wert generieren konnte - wie war Wert überhaupt noch definierbar?


Die Materialisierung von Arbeit gemäss den Klassikern


Spätestens seit William Petty wird gesagt, dass Wert aus der Arbeit der Menschen resultierte ("Arbeit ist der Vater, Boden die Mutter von Wert"). Diese Meinung definierte den klassischen Ökonomen. Kapital könnte zwar die Produktivität der Arbeiter erhöhen, aber ohne Arbeit war Wert schlicht nicht möglich.

Arbeit könnte als Wertmassstab benutzt werden, wenn Arbeit homogen wäre: Wenn eine Stunde Arbeit jedes Menschen auf der Erde ein Produkt generieren würde, das exakt denselben Wert/Preis besässe. Doch - so wird man gleich erkennen - wenn drei Arbeiter während derselben Zeit gleiche Produkte herstellen, wird der Wert des Produktes - und auch sein Preis - variieren, weil die Fähigkeiten der Arbeiter unterschiedlich sind. Nur schon deshalb ist es unmöglich, Arbeit als Wertmassstab zu definieren. Marx versuchte das Problem zu mildern, indem er von von durchschnittlicher Arbeitszeit, von komplexer und einfacher Arbeit sprach.

Nehmen wir versuchsweise an, Wert sei tatsächlich die "Kristallisierung" von Arbeitszeit (was auch immer das bedeutet). Dann entspräche auch Geld einer gewissen "Menge" Arbeitszeit, da es in der Auffassung vieler Klassiker selbst Wert besitzt (obwohl Adam Smith sich zu diesem Punkt auch anders äusserte, siehe oben). Gemäss den Klassikern war Geld ein produziertes Gut wie jedes andere und sein Wert beruhte auf der Arbeitszeit, die für seine Produktion eingesetzt wurde. Die Frage der Kaufkraft scheint durch die Geld-als-Gut-Betrachtung somit gelöst. Geld ist bloss ein weiteres Gut, das auf Märkten gegen andere Produkte eingetauscht werden kann. Wenn darüberhinaus die Banken versprechen, dass die von ihnen emittierten Banknoten mit Goldreserven gedeckt seien, wird das Argument der Geld-als-Gut-Betrachtung weiter gestärkt. Der Austausch von Geld gegen Güter wird somit zum Austausch zwischen zwei wertgleichen Gütern, auch wenn Bankdepots schon damals - im 18. und 19. Jahrhundert - augenscheinlich mit blosser Tinte eingetragene Zahlen in Bankbilanzen waren.

Gemäss Ricardo, der sein Leben lang über dem Wertproblem brütete, musste der absolute Wertmassstab "irgendwo in der Natur" gefunden werden. Gleichzeitig hielt er in seinem Hauptwerk fest, dass keine Ware jemals die Funktion eines Wertmassstabs erfüllen konnte. In diesem Dilemma blieb Ricardo sein Leben lang gefangen. Der Anspruch an den Wertstandard war aus Sicht der Klassiker, dass er 1) selbst wertvoll sei und 2) sein Wert konstant bleibe (wie beim Urkilo/Urmeter). Da Wert von Ricardo als materialisierte Arbeit betrachtet wurde, musste dieser Wertstandard immer gleich viel Arbeit benötigen. Doch schon Smith war sich bewusst, dass ein Produkt, das selbst grossen Preisfluktuationen unterliegt (wie Gold), kein geeigneter Wertmassstab sein könne. Und wenn der Wertmassstab nicht unveränderlich ist, wird es unmöglich, die Wertveränderungen aller anderen Produkte zu messen. Wenn man für ein Kilo Schweinefleisch plötzlich 2 Feinunzen Gold bezahlen muss anstatt 1 Feinunze, ist nicht klar, ob Schweinefleisch teurer geworden ist oder Gold billiger.

Wiederholen wir die Kernaussagen und Widersprüche: Die Klassiker waren überzeugt, dass Arbeit die Quelle von Wert sei, da wertvolle Güter erst durch menschliche Arbeit hergestellt werden können. Jedoch wurde beobachtet, dass mit dem Umsatz aus den verkauften Produkten nicht nur die Arbeit, sondern auch die Maschinen bezahlt wurden. Auch war offensichtlich, dass maschinell erzeugte Güter ebenfalls einen Preis besitzen und somit wertvoll waren. Somit schien nicht bloss Arbeit Wert erzeugen zu können, sondern auch Kapital. Darüber hinaus hatte Geld offenbar ebenfalls einen Tauschwert - dieser Wert musste nach klassischer Theorie aus menschlicher Arbeit resultiert sein. Doch schon damals klaffte der materielle Wert einer (metallischen) Münze und der Tauschwert derselben Münze weit auseinander. Auch erkannten die Klassiker selbst, dass es unmöglich ist, ein Gut als Wertmassstab zu definieren, das selbst grossen Preisschwankungen unterliegt; die Idee eines absoluten Wertmassstabs ist es ja gerade, unveränderlich zu sein.

Schlussendlich kann gesagt werden, dass alle Klassiker - vor allem die Grossen: Marx, Smith und Ricardo - das Wertproblem zwar sehr gekonnt und mit logischen Konzepten angingen, es aber nicht lösen konnten. Den Klassikern waren die Lücken ihrer Argumentation bewusst, sonst hätten sie sich nicht solange damit auseinander gesetzt. Die Schwächen der klassischen, objektiven Werttheorie führten zur Demise der klassischen Ökonomik. Wenden wir uns deshalb von den Klassikern ab und betrachten das Wertproblem aus der Sicht ihrer Nachfolger, der Neoklassiker.

Die ersten Neoklassiker wussten um die logischen Sackgassen der klassischen Werttheorie. Der metaphysische Ansatz, dass Wert irgendwie aus materialisierter Arbeit besteht, wollten die Neoklassiker nicht akzeptieren. Sie verliessen deshalb die Suche nach der objektiven Quelle des Werts und versuchten, eine subjektive Theorie des Werts zu entwickeln. Der Preis einer Ware ist das Resultat der subjektiven Einschätzung der Nachfrager und der Knappheit des Angebots. Wert und Preis sind bei Neoklassikern keine wirklich unterscheidbaren Konzepte mehr. Das macht ja Sinn, denn die Klassiker waren sich auch nie sicher über den genauen Zusammenhang von Wert und Preis. Auch bei den Klassikern gab es die subjektive Einschätzung des Nutzens von Geld und Waren. Jedoch war der Wert dieser zwei Objekte bereits vor dem Austausch definiert (durch Arbeit eben).

Ein bisschen ausführlicher: Im walrasianischen System gibt es ein Kontinuum von Gütern, die gegeneinander getauscht werden können. a wird gegen b, b gegen c, c gegen d und d gegen a getauscht. In einem solchen System - ohne Geld - kann der Tauschwert eines jeden Gutes durch das Tauschverhältnis mit anderen Gütern ausgedrückt werden. Preise existieren in einem solchen System nicht. Um Preise in dieses System zu integrieren, hat Léon Walras ein Gut einfach als Zahl festgelegt - das Numéraire. Walras - halten wir das hier unmissverständlich fest - integrierte Zahlen in das Kontinuum der tauschbaren Güter, indem er eine Annahme einbaute: Ein Gut wird als "1" definiert. Die Annahme des sogenannten Numéraire-Guts - die mysteriöse Umwandlung eines Gutes in eine Zahl - ist die tragende Säule der neoklassischen Werttheorie. Es ist die Ursünde der Neoklassik, mit der sie sich notwendigerweise aus dem Garten der Wissenschaften ausschloss. Die Erfindung eines Numéraire-Guts ist unvereinbar mit der Realität  - ein logischer Salto Mortale, der zwar im Kopf von Walras, nicht aber in der realen Welt passieren kann. Güter verwandeln sich nicht in Zahlen.

Im walrasianischen System ist jeder Akteur in der Wirtschaft (aus dem Nichts) ausgestattet worden mit einer bestimmten Menge an Gütern und Geld. Hier sehen wir auch die Verbindung zwischen der Klassik und der Neoklassik: Für beide ist Geld bloss ein Gut unter vielen. Der Wert dieses Guts wird aber von den Klassikern anders erklärt als von den Neoklassikern: Für die Klassiker beruhte der Wert des Geldes auf der Arbeit, die für seine Produktion aufgewendet wurde (objektive Werttheorie). Für die Neoklassiker hingegen resultiert sein Wert aus seiner Nützlichkeit als leicht handelbares Gut (subjektive Werttheorie). Die Klassiker glaubten, die Zahl auf einer Banknote müsse Ausdruck irgendeiner physikalischen Dimension sein. Walras glaubte das nicht - für Walras war die Zahl auf einer Banknote nicht eine Masseinheit irgendeiner Grösse, sondern eine blosse Zahl: "Le nom franc est le nom d'une chose qui n'existe pas."



Die Integration von Zahlen in das Kontinuum von Gütern nach Walras


Dass Walras die dimensionale Betrachtung der Klassiker hinter sich liess und Geld bloss noch als dimensionslose Zahl betrachtete, war zweifellos ein Fortschritt für die Wirtschaftstheorie. Seine Integration reiner Nummern in das Kontinuum von Gütern legt dar, dass Geld nichts anderes als Nummer ist. Trotzdem liefert die Neoklassik keine befriedigende Antwort auf die Frage, durch welchen Prozess diese Nummern in die reale Welt integriert werden: Walras' willkürliche Verwandlung eines Gutes in eine Zahl ist wissenschaftliche betrachtet Humbug; ein Zaubertrick, der in einer Wissenschaft, die logisch konsistent sein will, nichts zu suchen hat. Ein Gut ist ein Gut, eine Zahl ist eine Zahl. Zahlen kann man nicht produzieren, da sie keiner Arbeit bedürfen. Die Produktion von Waren hingegen bedarf einer zeitintensiven Arbeitsleistung. Ein Gut hat verschiedene physikalische Dimensionen: Gewicht, Länge, Dichte, etc... Eine Zahl ist eine ordnende Idee bar jeder physikalischen Dimension. Die ökonomisch zentrale Frage, wie in unserem Wirtschaftssystem Güter mit Nummern integriert werden, kann nicht durch eine Annahme gelöst werden.

Abgesehen von der Realitätsferne stellen sich weitere Fragen: Weshalb akzeptieren Individuen überhaupt Geld als Zahlungsmittel, wenn Geld nur eine Nummer ist? Gemäss den Neoklassikern erhält Geld seinen Wert durch seine Nützlichkeit als Tauschgut. Im Moment des Tausches wechselt Geld - eine Zahl - und ein Gut seinen Besitzer. Durch diesen Tausch kommt Geld zu seinem Wert und das Gut zu seinem Preis. Das Problem: Wieso sollte der Besitzer des Gutes eine blosse Zahl als Zahlungsmittel akzeptieren? Wenn der Besitzer eines wertvollen Guts Geld für sein Gut akzeptiert, muss dieses Geld schon vor dem Tausch einen Wert haben. Gemäss Neoklassik kommt der Wert des Geldes aber erst durch den Tausch zustande. Die neoklassische Theorie besagt also einerseits, dass Geld seinen Wert erst durch Tausch erhält; gleichzeitig müsste Geld aber bereits vor dem Tausch einen Wert aufweisen, damit jemand überhaupt einen Tauschhandel eingeht. Das zu erklärende Phänomen - die Kaufkraft einer reinen Nummer - wird also vorausgesetzt.

Die Neoklassiker versuchen heute diese Inkonsistenz zu umgehen, indem sie (wieder per Annahme) festlegten, dass Geld ein Nettovermögen darstellt. Banken und Nationalbanken können somit - laut Neoklassik - ein Nettovermögen aus dem Nichts - ex nihilo - schaffen! Durch die Kredite der Nationalbank an Geschäftsbanken und der Geschäftsbanken an Nicht-Banken wird - gemäss Neoklassik - von Beginn an wertvolles Geld aus dem Nichts in den Wirtschaftskreislauf "gepumpt". Hier sind wir am esoterischen Kern der Neoklassik angelangt: Keinem weltlichen Wesen ist es vergönnt, wertvolle Waren aus dem Nichts zu schaffen. Nur göttliche Wesen sind im Stande, das Gesetz der Energieerhaltung zu überwinden und "Etwas" aus dem "Nichts" zu schaffen.

Fassen wir die warlasianischen Kernaussagen und Widersprüche zusammen. Walras definierte ein Kontinuum an Gütern, die gegeneinander getauscht werden; somit entstehen Austauschverhältnisse zwischen den Gütern. Um Preise erklären zu können, fügte er per Annahme das Numéraire-Gut in sein lineares Gleichungssystem ein: eine blosse Zahl, die gegen die anderen Güter getauscht wird. Durch den Tausch erhalten die Güter einen Preis und die Zahl einen Wert. Das Problem: Die Umwandlung eines Gutes in eine Zahl per Annahme hat in der Wissenschaft nichts zu suchen. Der Integrationsmechanismus von Zahlen und Gütern - die erste und wichtigste Aufgabe der VWL - wird umgangen. Wie können wir jemals den Zusammenhang zwischen realem Sektor und Finanzsektor erklären, wenn wir uns die Integration von Zahlen in die Wirtschaft durch lineare Algebra diktieren lassen, nicht durch die ökonomische Realität (in welcher Geld durch Bankkredite in den Umlauf kommt).  Wir wollen hier die Integration von Zahlen und Gütern verstehen. Durch die magische Umwandlung von Gütern in Zahlen erreichen wir dies sicher nicht, sondern umgehen das Problem. Zweitens ist es im walrasianischen System unmöglich, die Kaufkraft von Geld zu erklären. Um einen Wert zu besitzen, muss Geld gegen Güter getauscht werden. Aber um überhaupt getauscht zu werden, braucht Geld bereits vor dem Tausch einen Wert! Als Lösung versuchten Neoklassiker, Geld axiomatisch als Nettovermögen zu definieren. Laut dieser Betrachtung können Banken und Notenbanken Geld und somit Nettovermögen aus dem Nichts schaffen - als wären sie göttliche Institutionen.

Eine moderne Lösung des Wertproblems

(Vorbemerkung: Achtung! Geld und Einkommen sind nicht dasselbe, obwohl in aktuellen Wirtschaftsbüchern der Unterschied nicht sauber gemacht wird. In diesem Artikel möchte ich aber nicht auf den Unterschied eingehen. Nur eine Metapher: Geld ist das Vehikel, Einkommen/Output ist der Inhalt, so wie Hämoglobin der Träger von Sauerstoff ist).

Im Folgenden die moderne Lösung des Wertproblems, vertreten von Anhängern der "Theory of Money Emissions".

Beginnen wir die Analyse mit der Emission von Geld. Die strikten Regeln der Logik verlangen, dass wir von tabula rasa ausgehen; es existiert noch kein Geld. Damit vermeiden wir die logische Absurdität, dass wir die Entstehung von Geld erklären, indem wir voraussetzen, dass es bereits existiert.

Wird der Lohn eines Arbeiters nach einer Produktionsperiode ausbezahlt, schreibt die Bank eine Geldsumme, £y, auf ihre Aktivseite. Dies ist die Schuld der Unternehmung an die Bank. (Exakt) Gleichzeitig schreibt sie den Lohn des Arbeiters, £x, auf die Passivseite. Die Operation, die zu £y führt, muss gezwungenermassen zur gleichzeitigen Schöpfung von £x führen. Die Operation, die es erlaubt, dem Arbeiter den Betrag £x zu überweisen, muss deshalb genauer untersucht werden.


Die Bezahlung des Arbeiters definiert natürlich die Bezahlung seiner Arbeit auf dem Faktormarkt (= Arbeitsmarkt). Erst, wenn die Arbeit auf den Faktormärkten bezahlt wurde, existiert die Kaufkraft, um die Produkte auf dem Gütermarkt zu kaufen. Die Bezahlung eines Arbeiters benötigt deshalb kein bereits existierendes Einkommen. Die Bezahlung von Arbeit definiert eine spezielle Art von Transaktion. Durch die Bezahlung des Lohnes auf Faktormärkten wird Geld erstmals mit physikalischem Output assoziiert.

Das Einkommen £x des Arbeiters wurde von niemandem "aufgegeben" oder "verloren", sondern wurde kreiert in der Lohnzahlung (durch Arbeit). Wir haben gesagt, dass kein weltliches Wesen "Etwas" aus dem "Nichts" schöpfen kann. Der Begriff "Schöpfung" von Wert bezieht sich nicht auf eine Schöpfung von Masse oder Energie - Masse und Energie müssen natürlich konstant bleiben. Die "Schöpfung" eines Produktes weist darauf hin, dass Masse und Energie durch den willentlichen Einsatz der menschlichen Arbeitskraft so umgestaltet wurde, dass sie menschlichen Bedürfnissen nützlicher als zuvor erscheinen. Dieses Produkt definiert nun ein positives Wertquantum, da es der  Bevölkerung auf dem Gütermarkt zur Verfügung steht. Weil Einkommen erst durch die Lohnzahlung entsteht, wie jetzt ersichtlich wurde, folgt, dass nicht nur Produkte, sondern auch Einkommen in der Lohnzahlung entsteht. Der Arbeiter hat durch seine Arbeit also zwei Objekte hergestellt: das Produkt und gleichzeitig sein alter ego: Einkommen. In welchem Verhältnis stehen Einkommen und Produkt? Sind sie entkoppelte, oder gar kumulative Phänomene? Zeigen wir dieselbe Grafik ein wenig abgeändert:

Wir unterstreichen noch einmal, dass das Einkommen des Arbeiters für die Unternehmung nicht verloren gegangen ist. Vielmehr existierte das Einkommen vor der Lohnzahlung nicht, sondern entstand in der Lohnzahlung. Eine kurze Analyse der Kreditbuchhaltung von Banken bestätigt diesen Umstand ganz eindeutig. Das Unternehmen zahlt via Bank (als Intermediärin) die Löhne an den Arbeiter. Die Bank kreiert die dafür notwendige Geldsumme, um auf der Aktivseite £y und auf der Passivseite gleichzeitig £x einzutragen.

Was passiert nun, wenn der Arbeiter sein Einkommen auf dem Produktemarkt wieder ausgibt? Dazu ist es nützlich, wenn wir zwei neue Konzepte einführen: der relative und der absolute Tausch.

Ein relativer Tausch ist ein Tausch zweier autonomer Objekte. Der Tausch macht diese zwei Objekte zwar äquivalent (Aristoteles etc.), jedoch existieren vor und nach dem Tausch beide Objekte unabhängig voneinander. Sie zirkulieren also in gegenseitige Richtungen, wie in folgender Abbildung dargestellt:


In dieser Abbildung wird das Gut a gegen das Gut b getauscht. Relativ heisst der Tausch, weil die zwei autonomen Objekte im Moment des Tauschs in ein Äquivalenzverhältnis gesetzt werden. Dies ist nicht der Fall, wenn ein Arbeiter sein Einkommen erhält/ausgibt. Durch ihre Arbeit stellen Arbeiter ein physikalisch existierendes Produkt her (sei dies Waren oder Dienstleistungen), welches das Objekt ihres Einkommens definiert. Einkommen und Output werden deshalb nicht als zwei autonome Entitäten getauscht, die vor- und nachher unabhängig voneinander exsitieren. Das Produkt und das Einkommen definieren eine logische Identität, sie sind dasselbe Objekt aus zwei Perspektiven (die nationale Buchhaltung bestätigt übrigens diese buchhalterische Tatsache mit der Identität "Einkommen = Produktion"). Konsum ist kein relativer Tausch zwischen zwei autonomen Objekten, sondern definiert einen absoluten Tausch. Ein absoluter Tausch ist ein Tausch zwischen einem Objekt mit sich selbst. Betrachtet man wieder die zweite Bankbilanz oben, so ist ersichtlich, dass die Ausgabe des Einkommens auf dem Produktemarkt dazu führen wird, dass das Guthaben des Arbeiters und die Schuld der Unternehmung gleichzeitig zerstört werden. Während also Produktion zur Schöpfung eines gänzlich neuen Einkommens führt, definiert Konsum ("negative Produktion") die Zerstörung von Einkommen.

Die Bezahlung des Lohns ist eine Emission; Arbeiter bekommen dadurch ihr eigenes Produkt in der Form von Einkommen. Die Beziehung zwischen Output und Einkommen definiert deshalb nicht bloss eine Gleichheit, sondern eine Identität. Mit derselben Transaktion gibt und nimmt das Unternehmen dem Arbeiter dasselbe Objekt: durch die Emission von Geld gibt das Unternehmen dem Arbeiter das Einkommen und behält dafür sein Produkt (auf Zeit). Deshalb ist der Tausch absolut.

Das Produkt des Arbeiters befindet sich nun zwar physikalisch und juristisch gesehen beim Unternehmen; ökonomisch gesehen gehört es aber dem Arbeiter, der mit dem Einkommen die Kaufkraft über das Produkt besitzt. Ergänzen wir die Ausführungen mit einigen grafischen Darstellungen. Die Eröffnung einer Kreditlinie an eine Firma definiert eine nominelle Emission von Geld in der folgenden Form:
Diese Transaktion ist im modernen Banking eine Off-Balance-Sheet-Transaktion; sprich, sie wird gar nicht in der Bankbuchhaltung eingetragen. Wenn eine Bank einer Unternehmung einen Kredit von, sagen wir, 10'000 CHF gewährt, schuldet die Bank der Unternehmung (+) 10'000 CHF, und die Unternehmung schuldet der Bank (-) 10'000 CHF zurück. Erst wenn der Unternehmung diese Kreditlinie braucht, geschieht monetär etwas. Sobald nun eine Unternehmung die Kreditlinie benutzt, indem sie ihre Arbeiter bezahlt, trennen sich die positiven und negativen Komponenten von Geld:


Wie wir nun sehen, besitzen Arbeiter "positives" Geld in Form von Einkommen, während das negative Gegenstück von der Unternehmung übernommen wird: Die Schuld, kompensiert durch verkaufbare Produkte im Lager. Die zwei Komponenten der Transaktion, das "+" und das "-", stellen deshalb die zwei Aspekte derselben Realität dar: Geld. Das positive Geld in obiger Darstellung ist das neu geschaffene Einkommen. Output ist das Objekt dieses Einkommens.

Heute denken viele Ökonomen, Einkommen sei eine kontinuierliche oder diskontinuierliche Funktion der Zeit, eine Art Fluss ("Einkommen/Zeitheinheit"). Wenn das so wäre, so hätte dieser Fluss eine gewisse Intensität, und das Resultat dieses Flusses wäre = Zeit * Intensität des Flusses. Von dieser Fehlkonzeption stammt das missglückte Konzept der "Umlaufgeschwindigkeit des Geldes", das zurück verfolgt werden kann bis David Hume, und danach von Mill, Marx, Fisher und Mises wieder verwendet wurde.

Doch Einkommen ist das Resultat von Arbeit und entsteht in der Lohnzahlung. Bankdepots in Banksoftware sind die "Speicherform" von Einkommen. Einkommen hat eine numerische Dimension, ist aber nicht bloss eine Nummer; Einkommen hat einen realen Zwillingsbruder: Das Produkt, mit welchem es entstand. Produktion ist nicht bloss ein physikalischer Prozess. Sie ist eine monetäre Operation, durch welche physische Produkte in Geld getauscht wird. Somit ist es klar, dass Produktion eine augenblickliche Operation ist, welche durch die Ausbezahlung des Lohnes definiert wird.

Nun können wir die Frage des Werts lösen. Werte entstehen auf dem Arbeitsmarkt, wenn Löhne bezahlt werden. Durch diese Operation werden Produkte mit Geld - einer Nummer - assoziiert. Das schwierige am Konzept des Werts ist, dass man niemals wissen kann, was der Wert eines Produktes ist, sobald es mehr als ein Produkt in einem Währungsraum gibt. Dies ist so, weil es absolut unmöglich ist, exakt zu sagen, welcher Lohnanteil genau für die Produktion eines isolierten Produktes aufgewendet wurde. Was man aber sagen kann: Alle Produkte, die innerhalb einer definierten Zeitperiode hergestellt wurden und deren Produktion abgeschlossen ist, besitzen exakt den Wert der totalen Lohnsumme, welche alle Arbeiter für die Herstellung der Produkte erhielten. Aus diesem Grund ist Wert ein makroökonomisches Konzept: Wert kann nur exakt bestimmt werden auf der Ebene der Gesamtheit aller Wirtschaftsakteure in einem Währungsraum. Man kann nie sagen: "Der Wert dieses Buchs ist exakt 5.-, aber der Preis ist 7.-". Durch kaufmännische Betriebsbuchhaltung (Kostenträgerrechnung) kann zwar in der Praxis eine Annäherung erreicht werden, aber eben nur eine Annäherung.

Preise hingegen können beobachtet und mit einem einzelnen Produkt exakt assoziiert werden. Dies sollte jedem einleuchten.

Die nächste spannende und lösbare Frage, welche schon viele Ökonomen beschäftigte, ist die folgende: Wie kann es sein, dass der Preis aller Produkte in einer Volkswirtschaft über ihrem Wert liegen kann? Offensichlicht können Unternehmen nur einen Profit erwirtschaften, wenn der Preis über den Kosten liegt. Doch wenn die Einkommen in einem Land gerade das Resultat der Bezahlung aller Produktionskosten sind, wie können dann alle Unternehmen den Preis über die Produktionskosten anheben? Explizit: Wenn die gesamten Produktionskosten in einem Jahr CHF 1 Mrd. betragen, der Wert aller Produkte also genau CHF 1 Mrd. beträgt, wie können die Unternehmen dann die Preise auf - sagen wir - durchschnittlich CHF 1.1 Mrd. anheben? Doch diese Frage soll nicht in diesem Artikel besprochen werden.

Donnerstag, 1. Juli 2010

Fazit aus 30 Jahren Monetarismus

Milton Friedman war die treibende Kraft hinter der konservativen Revolution der 1970er und 80er Jahre. Seit Reagan und Thatcher dominiert - mindestens rhetorisch betrachtet - eine Mischung aus Angebotsökonomie (Betonung der Anreize) und Monetarismus (Betonung der Geldwertstabilität) die angelsächsische Wirtschaftspolitik. Friedman wird neben Keynes häufig als grosser Makroökonom des 20. Jh gelistet. Doch wieviel bleibt heute, vier Jahre nach seinem Tod, von seinem intellektuellen Erbe übrig? Das beinahe 30-jährige natürliche Experiment soll hier gedeutet werden.

Gemäss dem einflussreichen US-Ökonomen variieren Zinsen aufgrund von Änderungen der Geldmenge. Hohe und steigende Zinsen werden mit einer steigenden Geldmenge, tiefe und fallende Zinsen werden mit einer abnehmenden Geldmenge assoziiert. Eine steigende Geldmenge führt demnach zu einer Zunahme des Konsums und der Investitionen, dadurch steigen die Preise und - wegen der höheren Investitionsnachfrage - die Zinsen. Vor allem glauben Monetaristen noch immer, dass es die effizienteste Art der Inflationsbekämpfung sei, die Geldmenge durch Zinspolitik zu steuern. Der Glaube, dass Inflation bekämpft werden könne durch höhere Zinsen, welche eine Reduktion der Ausgaben bewirken, und das Deflation bekämpft werden kann durch tiefe Zinsen, welche zu einer Erhöhung der Ausgaben führen, ist so weit verbreitet unter Ökonomen, dass es eine Art ökonomisches Axiom darstellt.

In politischen und akademischen Kreisen triumphierte Friedmans Neu-Erfindung der alten Quantitätstheorie des Geldes vollständig. De facto wurde sie schon von Aristoteles, Locke und Hume beschrieben, stellte also keine wirklich neue theoretische Leistung dar. Immer noch stellt die Kausalität dM -> dP in Universitäten ein intellektuelles Nadelöhr dar, durch das sich Studenten der Volkswirtschaftslehre hindurchzwängen müssen, wollen sie jemals in die höheren Gefilde ökonomischer Vielwisserei aufgenommen werden. In diesem akademischen Sinne ist Friedmans Erbe lebendig und stark vertreten. Insbesondere überlebte das NAIRU-Konzept von Friedman an gewissen Universitäten bis heute - obschon die 90er-Jahre in den USA einen empirischen Gegenbeweis lieferten: tiefe Inflation und tiefe Arbeitslosigkeit während mehreren Jahren. Die ständigen Anpassungen der inflationsstabilen Arbeitslosenquote an die neuen Tatsachen sind ein Zeichen für die Absurdität dieser Theorie.

Für Friedman ist das Preisniveau abhängig von der Beziehung zwischen zwei "Massen", den Gütern und Dienstleistungen einerseits und der "Masse Geld" andererseits. Das Ziel der Geldpolitik ist es dann, dass sich diese zwei "Massen" im Gleichschritt bewegen.

Praktische Nationalbankiers hören schon längst nicht mehr auf Friedmans Ratschläge. Keine einzige Nationalbank auf der Welt steuert heute noch direkt Geldaggregate an. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Notenbankiers passiv und versorgten die Kapitalmärkte mit Liquidität zu tiefen Zinsen. 1979 begann die US-Fed mit ihrer Mission, die Geldmenge zu kontrollieren. 1981 versuchte sie durch dramatische Zinserhöhungen, die Inflation in den Griff zu bekommen. Die Arbeitslosenquote schoss in die Höhe, Unternehmen konnten ihre Zinsen nicht mehr bezahlen, die streckenweise über 20% stiegen. Die tiefe Rezession von 1980-81 war also absichtlich geschaffen worden. Die hohen Zinsen wirkten sich über drei Kanäle aus: erstens wurden die Drittweltländer, die sich in Dollar verschuldet hatten, durchgerüttelt; ihre Importe aus den USA brachen zusammen. Zweitens brach die nationale Produktion der USA wegen den hohen Zinsen ein. Drittens stieg der US-Wechselkurs im Vergleich zu den anderen Währungen, was zu einem zusätzlichen Absinken der Exporte führte.

Für jeden Beobachter hätte derweil klar sein müssen, dass der Preisanstieg hauptsächlich den gestiegenen Ölpreisen aus dem Ausland zu verdanken war und dass sich das Verhältnis von nationaler Geldmenge zu nationaler Produktion deswegen nicht veränderte. Es handelte sich nicht um nationale Geldentwertung (= Inflation), sondern um internationale Kaufkraftverschiebung. Die Einnahmen der OPEC-Länder aus Erdölverkäufen stiegen von 1972 bis 1980 von knapp $100Mrd auf knapp $600Mrd. Die $500Mrd Differenz waren eine reine Kaufkraftverschiebung - ermöglicht durch Kartellpreise - weg von den erdölimportierenden hin zu den erdölexportierenden Ländern. Mit Geldentwertung hat das nichts zu tun. Restriktive Geldpolitik war vollkommen nutzlos, denn man kann mit amerikanischen Leitzinsen nicht die Preispolitik der OPEC steuern. Die Konsumentenpreise stabilisierten sich schliesslich nicht wegen der hohen Zinsen, sondern weil sich der Ölpreis stabilisierte. Die US-Fed hörte glücklicherweise 1982 damit auf, die Höhe der Reserven zu beeinflussen versuchen. 1986 hörte man mit dem sinnlosen Versuch auf, M1 beeinflussen zu wollen. 1993 hörte man vollständig damit auf, monetäre Aggregate steuern zu wollen. Effektiv setzte die US-Fed also bloss für sehr kurze Zeit monetaristische Politik um. Es war nicht nur eine schmerzhafte Zeit für die US-Bevölkerung, die unter einer Arbeitslosenquote von über 10% leiden musste. Es war eine peinliche Übung für die Nationalbanken, weil sie merkten, dass sie keinen Einfluss auf die Menge der Bankdepots hatten. Zentralbanken - dies lernten die Praktiker daraus - haben die Geldmenge nie kontrolliert und konnten dies auch nie.

In der Schweiz waren die Erfolge monetaristischer Ratschläge mindestens so ernüchternd, weshalb Schweizer Nationalbanker der Wichtigkeit der Geldmengsteuerung heute allerhöchstens noch Lippenbekenntnisse zollen: 1975-1978 versuchte die SNB (als eine der erste Nationalbanken der Welt überhaupt), M1 zu steuern. Der Versuch scheiterte kläglich: nicht nur konnten die Ziele nicht erreicht werden; es gab auch keinerlei sichtbaren Zusammenhang zwischen der Inflation und dem M1-Wachstum. 1980 bis 1989 versuchte man also M0 zu steuern, da das einfacher ist. Doch auch M0 konnte nicht kontrolliert werden, und wieder gab es keinen Zusammenhang mit der Inflation. Um den Ruf der SNB nicht ganz ins Lächerliche zu ziehen, entschied man 1990, 5-Jahres-Ziele für M0 herauszugeben. Nicht einmal das wurde geschafft, weshalb man 1999 ganz damit aufhörte, Geldmengenaggregate anzusteuern. Deshalb verfolgt die SNB seit 1999 eine reaktive Inflation-Targeting-Strategie. Statistiken über Geldaggregate werden nur noch in Fachpublikationen gezeigt. Kaum jemand interessiert sich noch für sie. Die Notenbanker haben verstanden, dass, wenn man die Ursache von Inflation nicht kennt, es auch keinen Sinn macht, eine proaktive Geldpolitik zu betreiben. Während also praktische Notenbanker von der Absurdität der Geldmengensteuerung wissen, wird in Universitäten mangels Alternativen immer noch mit Modellen gearbeitet, die 1) davon ausgehen, dass man die Geldmenge mit der Geldpolitik effektiv steuern kann und 2) axiomatisch annehmen, dass (irgendwelche) Geldaggregate (M0, M1,...., M7) eng mit der Inflation korrelieren.

Man kann deshalb sagen, dass der Monetarismus zumindest in angelsächsischen Ländern bloss von 1979 bis 1985 offizielle Politik war. Die Theorie war empirisch so eindeutig widerlegt, dass sogar Milton Friedman selbst zugeben musste, dass seine Ansichten fragwürdig waren. 2003 liess er sich von der Financial Times zitieren: "The use of quantity of money as a target has not been a success (...) I'm not sure I would as of today push it as hard as I once did." Tatsächlich hatte die US-Fed schon längst damit aufgehört, Geldmengenstatistiken ernst zu nehmen.

Auch der sogenannte "Geldschöpungs- oder Kreditschöpfungsmultiplikators" findet in der Praxis der Banken weder Anwendung noch Wichtigkeit. Praktische Bankiers sprechen Kredite unabhängig von ihren Reservepositionen. Bankdirektoren wissen weder, wieviele Reserven im Bankensystem sind, noch interessiert es sie. Kreditsprechungen hängen vom Preis der Reserven und den erwarteten Einkünften ab, aber bestimmt nicht von der Höhe der Reserven. Kaum eine Notenbank bildet sich noch ein, dass sie über die Bankreserven irgend einen Einfluss auf die Inflation hat. Die Reservesätze sind in verschiedenen Ländern denn auch extrem unterschiedlich (0 bis 30%), ohne dass dies einen sichtbaren Einfluss auf die Geldwertstabilität hätte.

Als eigentlich neoklassischer Ökonom pendelte Friedman zwischen zwei - in sich selbst und zueinander - widersprüchlichen Gelddefinitionen. Einerseits sei Geld ein Gut, das produziert wird. Andererseits sei Geld ein "Schleier", der den realen Tausch irgendwie ermöglicht. Friedman glaubte - wie die Neoklassiker -, dass es genüge, Geld nachträglich in ein Allgemeines Gleichgewichtsmodell "einzupflanzen", um eine monetäre Ökonomie zu verstehen. Die monetäre und die reale Welt sind bei den Monetaristen - wie auch bei den Neoklassikern - vollständig getrennt. Dass die Finanzierung der Produktion durch Bankkredite eine intime Beziehung zwischen Geld und Produktion herstellt, sah Friedman im Unterschied beispielsweise zu Knut Wicksell, auf den er sich bezog, nicht.

Was bleibt makroökonomisch gesehen also heute von Friedmans Erbe übrig, wo sich seine geldpolitischen Überlegungen als empirisch widerlegt und theoretisch widersprüchlich erwiesen haben? Die Antwort muss lauten: nichts als ein Politischer Philosoph des Anti-Etatismus.

Mittwoch, 23. Juni 2010

Alice im Wunderland

Rolf Dobelli, Gründer von Zürich.Minds, schreibt in der NZZ vom 23.06.2010 einen erkenntnistheoretisch spannenden Kommentar. Ich will hier argumentieren, dass Dobelli – trotz wertvoller Aspekte – mit seinen Ausführungen in Sackgassen rennt, vor allem weil er die Geldtheorie mit Politischer Philosophie scheinbar gleichsetzt. Indem hier ein weiter - aber nicht willkürlicher - Bogen geschlagen wird über Keynes, Hayek und Popper, soll gezeigt werden, dass eine mit Finanzkrisen übersähte Geschichte nicht bedeuten muss, dass wir das Problem monetärer Krisen nie in den Griff kriegen werden.

Indem Dobelli ausschliesst, dass wir die Komplexität der Finanzmärkte je erfassen können, macht er paradoxerweise ebengerade eine Prognose über die Zukunft, wo er doch Prognosen als ungültige Konstrukte in einer non-probabilistischen Welt zu erklären versucht. Bekanntermassen können wir ja auch nicht induzieren, dass keine schwarzen Schwäne existieren, nur weil wir noch keinen gesehen haben. Aber anstatt dem scheinbaren Chaos des derzeitigen Finanzsystems resignierend Deus Vult! entgegenzurufen, sollte es unsere Aufgabe sein, endlich die Logik des Geld- und Kreditwesens wissenschaftlich zu verstehen. Davon sind wir noch weit entfernt. Dies einmal erreicht, können wir uns daran machen, das Finanzsystem stabil zu gestalten. Dazu braucht es ein logisches und konzeptuelles Verständnis der Natur und der Funktionen von Finanzmärkten, welches nicht Aufgabe der Politischen Philosophie, sondern der Geldtheorie ist. Während es die Aufgabe der Politischen Philosophie ist, politische Entscheide und Handlungen zu analysieren und kritisieren, ist es die Aufgabe der Geldtheorie, die Natur des Geldes zu erforschen und Ratschläge für die Politik zu machen, die ein ordentliches Finanzsystem ermöglichen. Die Gleichsetzung dieser zwei Wissenschaften ist vielleicht vergleichbar mit der Gleichsetzung von Architektur mit der Bauphysik.

Dobelli argumentiert, dass die Komplexität globaler (Finanz-)märkte uns alle in eine unangenehme Situation manövriert hat, in der wir unsere eigene Welt nicht mehr verstehen. Als Beweis führt er korrekterweise auf, dass trotz den ungefähr 1’000’000 Ökonomen auf der Erde niemand den Zeitpunkt und die genaue Entwicklung der Finanzkrise prognostizierte. Er schliesst daraus, dass wir unsere Entscheide und Handlungen neu bewerten müssen: erstens sollen wir für unsere Entscheidungen möglichst viele widersprüchliche Meinungen einholen und abwägen. Zweitens sollen wir Entscheidungsträger nicht an ihren Resultaten, sondern an ihren Entscheidungsprozessen messen. Drittens sollten wir anerkennen, dass es keine eindeutigen Prognosen mehr gibt. Viertens sei die Interdisziplinarität zu fördern. Fünftens soll Komplexität wissenschafltich erforscht werden.

Die Erkenntnis, dass unsere Handlungen Konsequenzen nach sich ziehen, deren Komplexitätsgrad unser kognitives Potenzial übersteigen, ist gewiss nicht neu. In der Wirtschaftswissenschaft waren es F. A. Hayek und J. M. Keynes, die über dieses Thema wohl am tiefsten und intensivsten nachdachten und weitgehend zu denselben Einsichten gelangten. Wen die Nennung dieser zwei Namen in einem harmonischen Kontext ein wenig befremdet, soll sich einmal mit K. Poppers Werk “Logik der Forschung” befassen. Popper – ein Mitglied der Mont Pélerin-Society und Freund von Hayek – bezieht sich in seiner Arbeit oft auf die epistemologischen Werke von Keynes aus den 1920er Jahren, als Keynes sich einen Namen als Logiker und Mathematiker machte. Tatsächlich sind die Ansichten von Keynes und Hayek im Bereich der Erkenntnistheorie weitgehend übereinstimmend. Auch drückte Keynes gegenüber Hayek seine tiefe Sympathie für dessen Politische Philosophie und Abhandlungen über die Freiheit aus – auch dies wissen bloss wenige, da sich die ideologisch geladene Keynes-Hayek-Debatte mehrheitlich auf deren Differenzen beschränkt. So schreibt Keynes über Hayeks "The Road to Serfdom":


"In my opinion it is a grand book...Morally and philosophically I find myself in agreement with virtually the whole of it: and not only in agreement with it, but in deeply moved agreement."

Hayek argumentiert insbesonders, dass zentrales Planen wegen der extremen Komplexität unserer Welt zu unbeabsichtigten und schlechten Konsequenzen führt (à la Ölflecktheorem von L. v. Mises), und dass zentrale Planung deshalb zum Scheitern verurteilt ist. Keynes hat dieser polit-philosophischen Erkenntnis kaum etwas entgegen zu setzen. Doch Keynes wurde von Alfred Marshall nicht als Politischer Philosoph eingestellt, sondern als Dozent für Geldtheorie an der Universität Cambridge.* Keynes erkannte in seinen Forschungen, dass in einer Geldwirtschaft die Kreditvergabe intim mit der Produktion gekoppelt ist, dass die Kreditvergabe zur Schöpfung neuer Einkommen führt, und dass Geld nicht physikalisch, sondern buchhalterisch verstanden werden musste. Kurzum: Keynes erkannte, dass das Phänomen des Geldes nicht mit dem Verhalten der Individuen erklärt werden kann, sondern eigenen – streng logischen – Gesetzen folgt.** So sind auch seine logischen Identitäten S=I und Y=C+I zu verstehen: dies sind buchhalterische Gesetze, welche ungeachtet individueller Verhalten stimmen. Keynes war deshalb nur in zweiter (oder dritter) Linie ein Politischer Philosoph. In erster Linie war er ein Geldtheoretiker.

Sein berufliches Lebensziel war es bekanntlich, eine "Monetäre Theorie der Produktion" zu begründen. Keynes’ weitgehende Übereinstimmung mit Hayeks Politischer Philosophie ist deshalb keineswegs widersprüchlich. Keynes und Hayek können durchaus als komplementäre Forscher verstanden werden.

In einem interessanten Vergleich schreibt Dobelli weiter, dass wir kein "Gefühl" für das Finanzssystem haben, sowie wir kein Gefühl für Quantenmechanik oder die Relativitätstheorie haben. Mit dieser Metapher scheint Dobelli dem Geist seines eigenen Artikels jedoch zu widersprechen. Denn obwohl sich das Verhalten subatomarer Teile und der dehnbaren Zeit unserer Vorstellungskraft entzieht, haben es ja Wissenschaftler durch die Anwendung logischer Beweisführung gerade geschafft, diese kontraintuitiven Phänomene zu erschliessen!*** Wie Louis de Broglie unser Verständnis einer kontinuierlichen Welt erschütterte, indem er auf die notwendige Existenz von Materiewellen hindeutete, brauchen wir noch immer einen wissenschaftlichen Fortschritt, um die Logik des Geldes zu erklären.

Nun könnte man argumentieren, dass das Finanzsystem von Natur aus ein chaotisches System sei (wie das Klima vielleicht), und dass man es deshalb nicht verstehen kann. Tatsächlich scheint Dobelli in diese Richtung zu gehen, wenn er sagt, dass "nirgendwo (...) die monetären Anreize, die Welt zu verstehen, so gross sind wie auf den Finanzmärkten". Diese Betrachtugsweise darf aus zwei Gründen bezweifelt werden. Erstens verlangen es die Anreize im Finanzsektor in erster Linie, einen grossen Profit zu erwirtschaften. Die Ansicht, der Finanzsektor sei eine Art Bildungsinstitut voller Gelehrter, wo alle Anreize in Richtung Wissensvermehrung zeigen, ist doch gewagt - obwohl man davon ausgehen kann, dass viele Bankiers sehr gebildete Menschen sind. Zweitens ist das Finanzsystem - im Unterschied zum Klima - von Menschenhand geschaffen. Während das Klima deshalb physikalischen Gesetzen unterworfen ist, unterliegt das Finanzsystem einem anderen ordnenden Moment: buchalterischen und ökonomischen Prinzipien.** Diese haben ihre eigene Logik und können mit physikalistischen Ansätzen nicht verstanden werden.

Wie Ökonomen denn ungerne zugeben, arbeitet die moderne Makroökonomie mit Realtauschmodellen, in denen Geld als eine Art "Schleier" oder "öffentliches Gut" erst ex-post eingeführt wird. Seit John Hicks' berühmten Ausspruch "Money is what money does" wird Geld zudem bequemerweise nur noch anhand seiner Funktionen definiert. Die Natur des Geldes wird nicht definiert, resp. man beschränkt sich auf Quasi-Definitionen wie "Geld ist, was als Geld akzeptiert wird". Was jedem anderen Wissenschaftler als zirkuläre Definition ins Auge springen muss, scheint Ökonomen nicht zu stören. Es muss jedem einleuchten, dass, solange wir keine logisch konsistente Definition von Geld haben, wir auch nicht wissen können, was eigentlich die genauen Funktionen von Banken sind. Hier muss angesetzt werden. Die konzeptuelle Logik, wie von Popper ausführlich beschrieben, muss zur einzig zulässigen Methode der Wirtschaftstheorie werden. Axiomatische Modelle müssen abgerissen werden, wo diese Unwissen bloss überbrücken. Die Politische Philosophie kann und soll sich mit Prognosemöglichkeiten in komplexen Systemen beschäftigen. Die Geldtheorie muss sich mit der Logik des Geldwesens und des Zahlungsystems auseinandersetzen und Vorschläge machen, wie die oszillierenden Finanzmärkte stabil gemacht werden können. Das ist keine unmögliche Aufgabe. Wir haben ein wichtiges Präjudiz: in der Nachkriegszeit waren die Finanzmärkte sehr viel stabiler als heute. Der Wirtschaft ging es wesentlich besser. Wussten wir früher gar mehr als heute?

* Marshall – der Begründer des allbekannten Angebots- und Nachfragediagramms – erkannte in Keynes einen brillianten Logiker und erhoffte sich, dass Keynes die Mängel seines Angebots- und Nachfrageschemas beheben könnte. Die Mängel waren – wie Marshall selbst erkannte – die fehlenden Dimensionen Geld und Zeit.

** Das "essenzielle Prinzip des Bankenwesens", welches Keynes als das grundlegendste Prinzip der Geldtheorie erkannte, war die notwendige Gleichheit der Gutschriften und Belastungen innerhalb jeder Transaktion ("the necessary equality of debits and credits").

*** Tatsächlich gibt es in der Ökonomie wie auch in der Physik Phänomene, welche sich nicht durch "visuelle Observation" erklären lassen, sondern für deren Verständnis logische Beweisführung herangezogen werden muss.

Sonntag, 16. Mai 2010

Das Problem kontinuierlicher Angebots- und Nachfragekurven

Dieser kurze Beitrag soll zeigen, dass kontinuierliche Angebots- und Nachfragekurven dazu führen, dass Preisveränderungen nicht existieren können. Ein realisierter Preis kann nur im Moment der Transaktion beobachtet werden, und im Moment der Transaktion ist der angebotene Preis identisch dem nachgefragten Preis. Das bedeutet, dass Überangebot oder Übernachfrage zeitlich nur im Zeitintervall zwischen zwei Transaktionen existieren können. Da eine stetige Kurve diese Möglichkeit per Annahme ausschliesst, werden Preisveränderungen durch kontinuierliche Kurven verunmöglicht.



An den Zeitpunkten t0, t1, t2 und t3 wird ein Einkommen gegen ein Produkt getauscht. Das Preisniveau zum Zeitpunkt der Transaktion ist p0 resp. p1, p2 und p3. Wir erkennen, dass in den Zeitintervallen zwischen den Transaktionen t0 bis t3 keine Transaktion statt findet. Es ist jedoch (mathematisch gesehen) möglich, die verschiedenen Punkte A bis D mit einer Kurve s=d zu verbinden. Alle Punkte auf der Kurve drücken eine Gleichheit (=) zwischen Angebot und Nachfrage aus, würde an diesem Zeitpunkt eine Transaktion stattfinden. Jedoch sind an den Zeitpunkten der Transaktion (t0 bis t3) Angebot nicht nur gleich (=) der Nachfrage, sondern identitisch (≡). Das Identitätszeichen "≡" besagt, dass die Faktoren Angebot und Nachfrage Teile einer einzigen Operation sind: der Transaktion. In den Zeitpunkten t0 bis t3 finden Transaktionen statt, in denen Angebot und Nachfrage beliebig austauschbar sind: eine Partei bietet Geld an / fragt Produkte nach, die andere Partei bietet Produkte an / fragt Geld nach. Ausdrücklich heisst das im Moment der Transaktion:

Nachfrage = Produkt = Geldsumme = Angebot

In allen anderen Zeitpunkten kann keine Transaktion beobachtet werden, weshalb Angebot und Nachfrage nur an den Transaktionspunkten A bis D identisch sind. In allen Momenten i sind Angebot und Nachfrage unterschiedliche Faktoren. Nur in den Momenten zwischen den Transaktionspunkten kann ein Nachfrage- oder Angebotsüberschuss existieren, da im Moment der Transaktion Angebot und Nachfrage eine Identität darstellen. Übernachfrage (d>s) zum Zeitpunkt der Transaktion ist deshalb ein bedeutungsloses Konzept, weil im Moment der Transaktion notwendigerweise s≡d gilt.

Nun ist natürlich das Problem, dass die Kurve s=d imaginär ist; sie extistiert nur in unseren Köpfen. Die einzigen Punkte, in denen wir den Tauschpreis eines Gutes kennen können, sind die Transaktionspunkte t0 bis t3. Wo kann also nun Übernachfrage existieren? Wie wir gesehen haben, kann sie unmöglich in t0 bis t3 existieren, da die notwendige Bedingung dafür fehlt (die Nicht-Identität von s und d). Die einzig richtig Schlussfolgerung ist, dass Übernachfrage einzig zwischen den Transaktionspunkten existieren kann. Sämtliche Punkte auf der Linie s=d ausser der Transaktionspunkte sind imaginär, "hineinfantasiert", und nicht realisiert. Die Vorstellung, Übernachfrage (d>s) könne innerhalb einer Transaktion existieren, wo doch die Transaktion genau die Identität zwischen d und s herstellt, ist absurd.

Übernachfrage kann nur in den Intervallen zwischen zwei Käufen hergestellt werden. Diese Aussage führt zur Unmöglichkeit einer kontinuierlichen Preisfunktion. Falls nämlich kein Zeitintervall zwischen zwei Transaktionen existieren könnte, wäre die Existenz einer Übernachfrage unmöglich; Preisveränderungen könnten nicht existieren.

Mittwoch, 12. Mai 2010

Die Natur von Einkommen

Beginnen wir die Analyse mit der Emission von Geld. Die strikten Regeln der Logik verlangen von uns, dass wir von tabula rasa ausgehen; es existieren noch keine Einkommen. Damit vermeiden wir die logische Absurdität, dass wir die Entstehung von Einkommen erklären würden, indem wir voraussetzen, dass Einkommen bereits existiert (denke z.B. an den Wirtschaftskreislauf aus der Grundschule, wo man erklärt, wie die "Einkommen umherfliessen", aber nicht erklärt wird, wie und wo genau diese Einkommen zuallererst entstehen).

Wird der Lohn eines Arbeiters nach einer Produktionsperiode ausbezahlt, schreibt die Bank eine Zahl, £y, auf seine Aktivseite. Dies ist die Schuld der Unternehmung an die Bank. (Exakt) Gleichzeitig schreibt sie den Lohn des Arbeiters, £x, auf die Passivseite. Die Operation, die zu £y führt, muss gezwungenermassen zur Schöpfung von £x führen. Die Operation, die es erlaubt, dem Arbeiter den Betrag £x zu überweisen, muss deshalb genauer untersucht werden.


Die Bezahlung des Arbeiters ist natürlich die Bezahlung seiner Arbeit auf dem Faktormarkt. Erst, wenn die Arbeit auf den Faktormärkten bezahlt wurde, existiert die Kaufkraft, um die Produkte auf dem Gütermarkt zu kaufen. Die Bezahlung eines Arbeiters benötigt deshalb kein bereits existierendes Einkommen. Jedoch definiert die Bezahlung von Arbeit eine spezielle Art von Transaktion: Einkommen (Kaufkraft) wird in der Bezahlung des Lohns simultan mit Preisen determiniert. Vor der Bezahlung von Löhnen sind Preise und Einkommen nicht determiniert. Durch die Bezahlung des Lohnes auf Faktormärkten wird Geld mit physikalischem Output assoziiert und Output, indem es einen Preis erhält, wird zum Objekt von Einkommen.

Obige Abbildung zeigt, dass, obwohl ein Arbeiter mit nominalem Geld bezahlt wird, sein Einkommen ein positives Guthaben definiert. Der Verdienst £x wurde also von niemandem "aufgegeben" oder "verloren", sondern ist eine eigentliche Schöpfung von Einkommen. Der Arbeiter hat durch seine Arbeit also zwei Dinge hergestellt: das Produkt und - gleichzeitig - das Einkommen. In welchem Verhältnis stehen Einkommen und Produkt? Sind sie entkoppelte, oder gar kumulative Phänomene? Zeigen wir dieselbe Grafik ein wenig abgeändert:

Wir unterstreichen noch einmal, dass das Einkommen des Arbeiters für die Unternehmung nicht verloren gegangen ist. Die Analyse der Buchhaltungspraxis von Banken bestätigt diesen Umstand ganz eindeutig. Das Unternehmen zahlt via Bank die Löhne an den Arbeiter. Die Bank kreiert die dafür notwendige Geldsumme, um auf der Aktivseite £y und auf der Passivseite gleichzeitig £x einzutragen.

Was passiert nun, wenn der Arbeiter sein Einkommen auf dem Produktemarkt ausgibt? Dazu müssen wir zwei neue Konzepte einführen: der relative und der absolute Tausch.

Ein relativer Tausch ist ein Tausch zweier unterschiedlicher Objekte. Der Tausch macht diese zwei Objekte zwar äquivalent, jedoch existieren nach dem Tausch beide Objekte weiterhin. Sie zirkulieren also in gegenseitige Richtungen, wie in folgender Abbildung dargestellt:


In dieser Abbildung wird das Gut a gegen das Gut b getauscht. Relativ heisst der Tausch, weil nach dem Tausch beide Güter weiterhin existieren. Doch dies ist nicht der Fall, wenn ein Arbeiter sein Einkommen ausgibt. Durch ihre Arbeit stellen Arbeiter ein physikalisch existentes Produkt her, welches den Inhalt ihres Einkommens definiert. Geld und Output werden deshalb nicht als zwei autonome Entitäten getauscht. Das Produkt und das Einkommen definieren eine logische Identität, sie sind die Objekte voneinander (die nationale Buchhaltung bestätigt diese buchhalterische Tatsache mit der Identität "Einkommen = Produktion"). Konsum ist deshalb kein relativer Tausch zwischen zwei autonomen Objekten, sondern definiert einen absoluten Tausch. Ein absoluter Tausch ist ein Tausch zwischen einem Objekt mit sich selbst. Betrachtet man wieder die zweite Bankbilanz oben, so ist ersichtlich, dass die Ausgabe des Einkommens auf dem Produktemarkt dazu führt, dass das Guthaben des Arbeiters und die Schuld der Unternehmung gleichzeitig zerstört werden. Während also Produktion zur Schöpfung eines Einkommens führt, definiert Konsum (negative Produktion) die Zerstörung von Einkommen.

Die Bezahlung des Lohnes ist eine Emission; Arbeiter bekommen dadurch ihr eigenes Produkt in der Form von Geld. Die Beziehung zwischen Output und Einkommen definiert deshalb nicht bloss eine Äquvalenz, sondern eine IDENTITÄT. Mit derselben Transaktion gibt und nimmt das Unternehmen dem Arbeiter dasselbe Objekt: durch die Emission von Geld gibt das Unternehmen dem Arbeiter das Einkommen und nimmt dafür sein Produkt. Deshalb ist der Tausch absolut.

Das Produkt des Arbeiters befindet sich nun zwar physikalisch (und juristisch) gesehen beim Unternehmen; ökonomisch gesehen gehört es aber dem Arbeiter, der mit dem Einkommen die Kaufkraft über das Produkt besitzt. Ergänzen wir die Ausführungen mit einigen grafischen Darstellungen. Die Eröffnung einer Kreditlinie an eine Firma definiert eine nominelle Emission von Geld in der folgenden Form:
Diese Transaktion ist im modernen Banking eine Off-Balance-Sheet-Transaktion; sprich, sie wird gar nicht in der Bankbuchhaltung eingetragen. Wenn eine Bank einer Unternehmung einen Kredit von, sagen wir, 10'000 CHF gewährt, schuldet die Bank der Unternehmung (+) 10'000 CHF, und die Unternehmung schuldet der Bank (-) 10'000 CHF zurück. Erst wenn der Unternehmung diese Kreditlinie braucht, geschieht monetär etwas. Sobald nun eine Unternehmung die Kreditlinie benutzt, indem sie ihre Arbeiter bezahlt, trennen sich die positiven und negativen Komponenten von Geld:


Wie wir nun sehen besitzen Arbeiter positives Geld, während das negative Gegenstück von der Unternehmung übernommen wird. Die zwei Komponenten der Transaktion - das "+" und das "-" - stellen deshalb die zwei Aspekte derselben Realität dar: Geld. Das positive Geld in obiger Darstellung ist das neu geschaffene Einkommen. Output ist das Objekt dieses Einkommens.

Heute denken viele Ökonomen, Einkommen sei eine kontinuierliche oder diskontinuierliche Funktion der Zeit, eine Art Fluss ("Einkommen/Zeitheinheit"). Wenn das so wäre, so hätte dieser Fluss eine gewisse Intensität, und das Resultat dieses Flusses wäre = Zeit * Intensität des Flusses. Hierher stammt das missglückte Konzept der "Umlaufgeschwindigkeit des Geldes", das zurück verfolgt werden kann bis David Hume, und danach von Mill, Marx, Fisher und Mises wieder verwendet wurde.

Doch Einkommen ist das Resultat einer augenblicklichen Transaktion. Geldlöhne sind der numerische Ausdruck von Einkommen. Einkommen ist nicht bloss eine Nummer; es hat ebenfalls einen realen Inhalt, definiert durch seine Assoziation mit dem Produkt. Produktion ist die Operation, durch welche physische Produkte in Geld getauscht wird. Somit ist es klar, dass Produktion eine augenblickliche Operation ist, welche durch die Ausbezahlung des Lohnes definiert wird.

aus A. Cencini: Money, Income and Time

Montag, 3. Mai 2010

Die Produktion und die Zeit

Alle grossen Ökonomen haben sich ausgiebig mit dem Problem der Zeit beschäftigt. Alfred Marshall bemerkte, dass sein partialökonomisches Angebots- und Nachfrageschema die Zeit ausklammert, und erkannte, dass das Problem der Zeit der Dreh- und Angelpunkt jedes ökonomischen Problems ist. Keynes schrieb seine Dissertation über das Problem einer Wahrscheinlichkeitsrechnung in der unsicheren Zeit. Böhm-Bawerk erkannte, dass man Kapital mit Zeit messen könnte, und legte so den Grundstein für spätere Theorien. Weiter waren sich alle grossen Oekonomen bewusst, dass der Schlüssel zum makroökonomischen Verständnis in der Geldtheorie liegt. Deshalb haben sich Smith, Marx, Ricardo, Wicksell, Schumpeter, Keynes und Kaldor allesamt ausgiebig mit Geldtheorie beschäftigt, mit der Frage also, was die Natur von Geld sei. Heutige Ökonomieprofessoren denken kaum über solche Themen nach. Man gebraucht in heutigen ökonomischen Modellen statische und dynamische Analysen, wobei die dynamische Analyse eine blosse Aneinanderreihung unendlich vieler statischer Analysen darstellt, und deshalb das Problem der Zeit nicht löst, sondern einfach durch die Annahme eines kontinuierlichen Zeitverlaufs übergeht. Die Einheiten in statischen und dynamischen Modellen sind dieselben. Geld wird von vielen Ökonomen derweil immer noch als eine Art Gut behandelt, dessen Wert auf seiner Knappheit beruht - seine buchhalterische, dimensionslose Natur wird per Annahme umgangen.

Das ökonomische Problem der Zeit und des Geldes wurde vom französischen Ökonomen Bernard Schmitt auf eine ganz neue Weise aufgerollt. Seine Theorien werden erst von einer Handvoll Professoren unterrichtet: sein Buch "Inflation, Chômage et Malformations du Capital" liegt verstaubt in einigen wenigen Bibliotheken, unübersetzt und out of print. Dabei greift er in diesem 1984 geschriebenen Buch jede bisherige populäre Makroökonomik von Quesnay bis Friedman an. Seine Theorie wurde noch von keinem Anhänger einer anderen ökonomischen Schule widerlegt. Dass dieses Buch unbemerkt in den Bibliotheken verstaubt, ist eine Tragödie, zumal Schmitt in dem Buch sehr konkrete buchhalterische Lösungsvorschläge dafür liefert, wie Inflation, systemische Arbeitlosigkeit und das Problem der Schulden zwischen Staaten in einer Welt mit Ankerwährungen bekämpft werden können.

Eine warnende Vorbemerkung: der erste Teil wird dem Leser unnötig wortreich und abgehoben erscheinen. Da erging es mir nicht anders. Je länger man jedoch darüber nachdenkt, desto wichtiger erscheint die Analyse der Zeit in der Ökonomie, denn von ihr hängt die Frage ab, ob wir die ökonomische Realität mit Gleichungssystemen à la Walras erklären können. Nur in einer Welt mit kontinuierlicher Zeit kann man Ökonomik mit linearer Algebra betreiben; denn dies setzt voraus, dass wir das zentrale ökonomische Phänomen (Produktion) als Funktion eines anderen Phänomens (Zeit) beschreiben können. Wir müssen beweisen, dass dies nicht geht, dass Produktion keine Funktion der Zeit ist, um den Raum für eine völlig neue Makroökonomie zu öffnen.

Es folgt ein Abriss Bernard Schmitts Argumentation über die Produktion und die Zeit, die Grundlage seiner Theorie.

Man denkt heute, dass die Produktion, weil sie eine Bewegung ist, eine Art Geschwindigkeit sei: Ein Raum, der innerhalb einer Zeiteinheit durchlaufen wird. Mechanisch gesprochen heisst das:

  • Produkt = Produktion * Zeiteinheit

Ökonomen gehen also analog den Gesetzen der Mechanik vor, die besagt:

  • Distanz = Geschwindigkeit * Zeiteinheit

In der klassischen Mechanik ist klar: ein Objekt durchläuft innerhalb einer gewissen Zeiteinheit einen Raum. Am Ende wurde eine Distanz zurück gelegt.

Aber welchen Raum durchläuft die Produktion? Wenn die Antwort darauf lautet, dass das Produkt selbst dieser Raum ist, macht man zwei widersprüchliche Aussagen:

  • Wenn es wahr ist, dass Produktion = Produkt pro Zeiteinheit ist,
  • dann ist es absurd, das Produkt als den Raum zu verstehen, der von der Produktion durchlaufen wird; denn das Produkt kann vor der Produktion nicht existieren.

Um Widersprüche zu reduzieren, muss man Logik einsetzen. Die Produktion ist einzigartig, weil sie eine Bewegung ist, die den Raum "vor sich" kreiert, während die klassischen Bewegungen Verschiebungen in einem vorher definierten Raum sind. Die Bewegung muss sich also ihren Raum in der Verschiebung selbst schaffen. Dies ist ein eleatisches Paradoxon, genannt nach dem griechischen Logiker Zenon von Elea (bekannt durch den Trugschluss von Achilles und der Schildkröte).

Die Distanz zwischen Achilles und der Schildkröte wird "ewig" halbiert, und Achilles wird der Schildkröte deshalb "ewig" hinterher rennen müssen. Genauso wie das Paradoxon der Produktion, kann das Paradoxon von Achilles und der Schildkröte nicht in der kontinuierlichen Zeit gelöst werden.

Jede Produktion, die sich in der unendlich kleinen Zeiteinheit vollzieht, resultiert in einem unendlich kleinen Produkt. Im Gegensatz dazu ist eine Geschwindigkeit innerhalb einer unendlich kleinen Zeiteinheit immer noch genau gleich gross wie die Geschwindigkeit innerhalb einer unendlich grossen Zeiteinheit. Während in der klassischen Physik die Distanz = Geschwindigkeit mal Zeiteinheit ist, kann sich die Ökonomie dieser mechanischen Betrachtung nicht bedienen, wenn sie die Gesetze der Logik nicht verletzen will. Das Produkt ist nicht gleich der Produktion mal Zeiteinheit, da Produktion und Produkt dasselbe Mass haben. Produktion ist demnach keine Geschwindigkeit. Die Produktion muss, wenn sie nicht logisch widersprüchlich sein will, definiert sein in der unteilbaren, der Quanten-Zeit. Die Produktion im Kontinuum, wie sie von der Wirtschaftstheorie angenommen wird, existiert auf diesem Planeten nicht. Die heutigen Wirtschaftstheorien beschreiben so im besten Fall die Wirtschaften irgend eines entfernten Planeten, auf dem andere logische Gesetze gelten.

Anders, vielleicht deutlicher ausgedrückt: teilt man die Produktion in unendlich viele kleine Produktionsperioden, so muss die Produktion innerhalb einer einzigen unendlich kleinen Periode entweder null oder positiv sein. Die Summe dieser unendlich vielen nullen ist wiederum null; die Summe unendlich vieler positiver Produktionsschritte ist unendlich gross. Beide Aussagen decken sich nicht mit der Realität. Und die Dinge können nicht anders sein, als sie sind.

Wenn wir die Zeit in immer kleinere Parzellen unterteilen, wenn wir die Unterteilung ins Unendliche treiben, so verschwindet blöderweise das Phänomen, das wir eigentlich erklären wollten: das Produkt.

Das Paradoxon von Zenon löst sich also auf, sobald wir uns in die Welt der unteilbaren Zeit begeben. Hier zeigt sich, dass Produktion keine Bewegung im Raum, sondern in der Zeit ist; sie quantiziert Zeit und schafft deshalb einen Raum: das Produkt. Jedoch sind die Resultate der Produktion von vielen Menschen, die Produkte, nicht untereinander vergleichbar, sie sind heterogen. Die Masse (weich gesprochen) verschiedener Produkte gehören nicht derselben Dimension an. Es gibt unendlich viele Attribute, anhand deren ein Produkt umschrieben werden kann: Farbe, Form, Alter, Länge, Gewicht, etc... Um die Ökonomie wissenschaftlich betreiben zu können, müssen diese heterogenen Produkte homogenisiert werden. Sprich auf eine gemeinsame Dimension gebracht werden. Die Homogenisierung der Produkte geschieht erst durch die Einführung von Zahlen. Dies ist die Funktion des Geldes: ein Wertmassstab. Das Geld ist die sina qua non-Bedingung für die Existenz eines Numéraire. Die logische Verbindung von Geld mit Produktion ist somit die erste Aufgabe für eine wissenschaftliche Ökonomie. Der Mainstream stellt sich noch heute vor, dass die Nationalbank durch einen geheimnisvollen Mechanismus "Geld ins System pumpt" - als wäre dies eine hydraulische Operation - und bleibt infolgedessen völlig ignorant gegenüber der Funktionsweise moderner Zahlungssystemen. Dadurch haben wir heute eine faktische Trennung der Wert-, Geld- und der Produktionstheorie.

Nachdem also ein Quantum von Zeit vergangen ist, entsteht augenblicklich ein Produkt, welches die Menge Zeit ökonomisch definiert. Dies geschieht dann, wenn der Arbeiter für seine Arbeit bezahlt wird. Das folgende passiert:

Das Unternehmen verschuldet sich bei der Bank, um dem Arbeiter einen Lohn ausbezahlen zu können. Gleichzeitig verschuldet sich die Bank beim Arbeiter, der den Lohn bezieht. De facto verschuldet sich die Unternehmung also indirekt beim Lohnbezüger; der Lohnbezüger gewährt der Unternehmung via die Bank einen Kredit in der exakten Höhe seines Lohns. Buchhalterisch geschieht das folgende: wenn das Unternehmen die Schuld eingeht, schreibt die Bank auf der Aktivseite der Bankbilanz eine Zahl, -x$. Genau gleichzeitig geht beim Arbeiter ein Lohn von +x$ ein, welcher auf der Passivseite der Bank notiert wird. Das Depot auf der Passivseite und das Depot auf der Aktivseite sind zwei Aspekte derselben Realität, untrennbar miteinander verbunden: das eine Depot lebt und stirbt durch das andere. Geld ist nun derjenige augenblickliche Fluss, der die zwei Depots schöpfte. Sobald die Transaktion beendet wird, erlischt der Fluss, und die Depots bleiben übrig. Geld existiert somit nur während einer Transaktion, und zwischen den Transaktionen existieren Depots. Während Geld die Funktion des Zahlungsmittels hat, ist das Depot ein Wertaufbewahrungsmittel.

Das Depot des Arbeiters auf der Passivseite der Bank entsteht natürlich durch die Auszahlung seines Einkommens. Dieses Depot "Geld" zu nennen, ist in etwa so verdreht, wie wenn wir der erdzugewandten und der erdabgewandten Seite des Mondes zwei verschiedene Satellitennamen gäben. Beide Mondseiten sind die zwei Aspekte desselben Objektes - des Mondes. Genauso sind das positive Depot des Arbeiters und das negative Depot (die Schuld) der Unternehmung zwei Aspekte derselben Realität. Geld ist deshalb ein Aktivum-Passivum: ein Fluss, der zur Schöpfung eines negativen und eines positiven Depot führt. Das Passivdepot kann nur in Verbindung mit seiner dazugehörigen Zahl auf der Aktivseite existieren, und beide Depots werden durch einen Fluss von Geld, der sich augenblicklich selbst erschöpft, kreiert.

Die Monetarisierung der Produktion durch Banken schafft Einkommen. Nicht umgekehrt. Das vermuteten schon die englischen Banker des 18. Jahrhunderts (Banking School). Knut Wicksell, Schumpeter, Keynes, Kaldor - sie alle waren dem auf der Spur. Sie bemerkten durch Beobachtung und logisches Denken, dass eine Kreditvergabe (= Schöpfung eines Aktivdepot) zu einem entsprechenden Einkommen auf der Passivseite führte. Sie wussten: Es braucht keine vorherigen Ersparnisse, um investieren zu können. Ersparnisse sind der buchhalterische Fussabdruck von Investitionen. Keynes schrieb deswegen ein wenig kryptisch, dass es einer Wirtschaft zwar an Investitionen mangeln kann, aber niemals an Ersparnissen - denn die Investitionen rufen ihre Ersparnisse hervor. Dies meinte er mit S=I. S=I ist keine Gleichgewichtsbedingung, es gibt keinen Anpassungsmechanismus. S=I ist eine logische Identität, die in jedem Zeitpunkt aus logischen Gründen erfüllt sein muss. John K. Galbraith schrieb einmal: "The process by which banks create money is so simple that the mind is repelled". Banken schreiben eine Zahl auf die Aktivseite, wodurch augenblicklich eine Zahl auf der Passivseite entsteht. Was Galbraith verpasste, war die Verbindung des Prozesses der endogenen Geldschöpfung mit dem Produktionsprozess.

Was ist nun Einkommen? Einkommen ist das vom Arbeiter geschaffene Produkt in seiner numerischen Form. Nur so macht das Gesetz der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Sinn: Produktion = Einkommen. Die Bezahlung des Lohnes stellt einen absoluten Tausch dar: im exakten Moment der Lohnzahlung wird physischer Output mit sich selbst getauscht durch die Intermediation von Geld und Banken. Das Produkt löst sich von seiner physischen Form, um sich in eine numerische Form zu tauschen: Einkommen. Die Assoziation des Einkommens mit dem Produkt, die Adam Smith als "the Great Wheel of Circulation" erkannte, definiert den numerisch ausdrückbaren Wert des Produktes und gleichzeitig die Kaufkraft des Einkommens. Ein zweiter absoluter Tausch erfolgt im Moment des Konsums. Das Einkommen des Arbeiters tauscht sich gegen sich selbst auf dem Produktemarkt mit dem Produkt aus, wodurch das Einkommen des Arbeiters und die Schuld der Unternehmung gleichermassen und gleichzeitig zerstört werden. Dies muss so sein. Wenn Produktion zur Schöpfung eines Einkommens führt - dies wird niemand abstreiten - muss Konsum dieses Einkommen zerstören; ansonsten würden sich die Einkommen ad infinitum auftürmen. Das Produkt existiert nach dem Konsum nicht mehr ökonomisch, sondern bloss noch in Form eines Konsumentennutzen. (Ein späterer Wiederverkauf desselben Produktes ist monetär gesehen bedeutungslos - dies ist bloss ein Tausch von Einkommen gegen ein Gut, ein relativer Tausch also, ohne jegliche Wirkung auf die Kaufkraft des Geldes)

Versteht man mich?