Wirtschaftswachstum bezeichnet die quantitative (und manchmal qualitative) Zunahme des Volumens produzierter Güter und Dienstleistungen zwischen zwei vergleichbaren Zeitperioden. Wenn beispielsweise 2012 insgesamt 10 Produkte-Einheiten und 2013 insgesamt 12 Produkte-Einheiten hergestellt wurden, betrug das Wirtschaftstachstum 2013 gerade 20%. Heute wird das Produktevolumen mit dem Bruttoinlandprodukt, dem BIP, gemessen. Dabei werden alle auf Gütermärkten getauschte, im Inland hergestellten Güter und Dienstleistungen, plus Bestandesänderungen, zum BIP dazugezählt.
Welche Probleme ergeben sich bei dieser Messmethode? Wie hinlänglich bekannt ist, werden Qualitätsveränderungen bei dieser Methode nicht wahrgenommen. Die produzierten Computer von 1980 bloss wertmässig zu vergleichen mit den produzierten Computern von 2013, erscheint komplett sinnlos. Um das Wachstum der Produktivität besser zu messen, müsste man ebenfalls Qualitätsunterschiede berücksichtigen. Das BIP kann aber qualitative Verbesserungen von Produkten nicht erfassen. Wenn 1990, sagen wir, 10 Millionen Handys hergestellt wurden und 2013, sagen wir, 500 Millionen Handys, wird das Wachstum an nützlichen Gütern massiv unterschätzt, da die Produktequalität in dieser Zeit massiv zugenommen hat.
Doch auch ohne diese Qualitätsveränderungen wäre das BIP ein schlechtes Mass für die Zunahme der wirtschaftlichen Tätigkeit. Ein einfaches Gedankenexperiment kann das verdeutlichen. Sagen wir, eine Kleiderfabrik erhöht dank einer neues Prozesskette den Output um 10%, bei gleichbleibender Beschäftigung. Alle 100 Angestellten erhalten jedoch weiterhin denselben Lohn, nämlich 100*CHF 4´000.- pro Monat. Der Wert der Kleider insgesamt, gemessen in Franken, hat sich nicht verändert. Der Lohn der Angestellten misst gerade die produzierten Kleider. Wenn nun dasselbe Lohnvolumen, nämlich CHF 400´000.-, 10% mehr Kleider-Einheiten misst, dann hat sich das BIP nicht verändert, obschon das Outputvolumen um 10% zugenommen hat. Kurz gesagt: Wenn Produktivitätszunahmen nicht an die Angestellten durch höhere Löhne weitergegeben werden, wird das BIP konstant bleiben trotz 10% Wirtschaftswachstum. Das BIP kann auch steigen bei wirtschaftlicher Stagnation. Damit ist das BIP ein sehr schlechter Massstab für Wirtschaftswachstum (die Inflation wird hier nicht berücksichtigt, ändert aber an der Analyse nichts).
Ökonomen messen, was sie beeinflussen wollen. Da heute der Fokus der Wirtschaftspolitik auf Wirtschaftswachstum liegt, wird der Veränderung des BIPs viel Aufmerksamkeit geschenkt. Dies, obwohl das BIP ein schlechter Massstab für wirtschaftliche Aktivität ist. Viel wichtiger als das Wirtschaftswachstum sind zwei Grössen: Das Wohlbefinden der Bevölkerung und die Arbeitslosigkeit.
Wohlbefinden. Spätestens seit einer Studie von Richard Easterlin (1974) wissen Ökonomen, dass Wirtschaftswachstum nur in armen Ländern zu höherem Wohlbefinden führt. Ab einem recht tiefen Einkommensniveau (laut Bruno S. Frey ab ca. USD 10´000 pro Jahr) stagniert das kollektive Glücksgefühl. In der Schweiz werden ca. 30% der Nahrungsmittel weggeworfen, gleichzeitig würden sehr viele Menschen gerne weniger arbeiten. Aus ökonomischer Sicht ist diese Situation hochgradig ineffizient. Tiefere Arbeitszeiten bei gleich viel Konsum wäre offensichtlich eine pareto-effiziente Situation, die problemlos möglich wäre, die durch die "Marktmechanismen" aber nicht gelöst wird. Anstatt eine effizientere Situation hervorzubringen, studieren junge, intelligente Menschen Marketing und überlegen sich in dieser Position Tag für Tag, wie man Produkte, die niemand will, vermarkten kann. Die Grösse des Marketing-Sektors an der gesamten Wirtschaft ist ein guter Indikator für die Überproduktion und die Irrationalität der Wirtschaft. Wenn mehr produziert wird, als Menschen wollen, und der Produkteabsatz von Unternehmen höher bewertet wird als die Freizeit von Menschen, fliessen Milliardenbeträge in die Feinsteuerung der Bedürfnisse. Diese Manipulation der Geschmäcker ist nicht nur volkswirtschaftlich ineffizient, sondern staatspolitisch fragwürdig. Wieso sollte sich ein Teil der Bevölkerung damit befassen, die Bedürfnisse der restlichen Bevölkerung mit suggestiven Werbeinhalten dem Produktekatalog der Unternehmen anzupassen? Produktion und Tausch besitzen keinen Selbstzweck, sie dienen der Bedürfnisbefriedigung. Das erwünschte Resultat der Bedürfnisbefriedigung ist Wohlbefinden. Ökonomen sollten sich deshalb vermehrt auf die Messung von Wohlbefinden konzentrieren.
Arbeitslosigkeit. Ein Nebeneffekt von Wirtschaftswachstum ist die tiefe Arbeitslosigkeit. Dieser Zusammenhang ist jedoch theoretisch und empirisch fragwürdig. Die Länder mit dem tiefsten Wirtschaftswachstum in der OECD sind gleichzeitig die Länder mit der tiefsten Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig ist die These historisch falsch. Falls nur Wirtschaftswachstum die Arbeitslosigkeit verhindert, wären alle Gesellschaften ohne Geld und ohne Wachstum (und also ohne BIP) komplett arbeitslos gewesen, und die Menschheit könnte heute gar nicht existieren. Wenn Arbeitslosigkeit so wichtig ist, sollte man versuchen, diese besser zu erfassen. Via das BIP zu argumentieren ist theoretisch und empirisch fragwürdig.
Sonntag, 24. November 2013
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