Wirtschaftswachstum bezeichnet die quantitative (und manchmal qualitative) Zunahme des Volumens produzierter Güter und Dienstleistungen zwischen zwei vergleichbaren Zeitperioden. Wenn beispielsweise 2012 insgesamt 10 Produkte-Einheiten und 2013 insgesamt 12 Produkte-Einheiten hergestellt wurden, betrug das Wirtschaftstachstum 2013 gerade 20%. Heute wird das Produktevolumen mit dem Bruttoinlandprodukt, dem BIP, gemessen. Dabei werden alle auf Gütermärkten getauschte, im Inland hergestellten Güter und Dienstleistungen, plus Bestandesänderungen, zum BIP dazugezählt.
Welche Probleme ergeben sich bei dieser Messmethode? Wie hinlänglich bekannt ist, werden Qualitätsveränderungen bei dieser Methode nicht wahrgenommen. Die produzierten Computer von 1980 bloss wertmässig zu vergleichen mit den produzierten Computern von 2013, erscheint komplett sinnlos. Um das Wachstum der Produktivität besser zu messen, müsste man ebenfalls Qualitätsunterschiede berücksichtigen. Das BIP kann aber qualitative Verbesserungen von Produkten nicht erfassen. Wenn 1990, sagen wir, 10 Millionen Handys hergestellt wurden und 2013, sagen wir, 500 Millionen Handys, wird das Wachstum an nützlichen Gütern massiv unterschätzt, da die Produktequalität in dieser Zeit massiv zugenommen hat.
Doch auch ohne diese Qualitätsveränderungen wäre das BIP ein schlechtes Mass für die Zunahme der wirtschaftlichen Tätigkeit. Ein einfaches Gedankenexperiment kann das verdeutlichen. Sagen wir, eine Kleiderfabrik erhöht dank einer neues Prozesskette den Output um 10%, bei gleichbleibender Beschäftigung. Alle 100 Angestellten erhalten jedoch weiterhin denselben Lohn, nämlich 100*CHF 4´000.- pro Monat. Der Wert der Kleider insgesamt, gemessen in Franken, hat sich nicht verändert. Der Lohn der Angestellten misst gerade die produzierten Kleider. Wenn nun dasselbe Lohnvolumen, nämlich CHF 400´000.-, 10% mehr Kleider-Einheiten misst, dann hat sich das BIP nicht verändert, obschon das Outputvolumen um 10% zugenommen hat. Kurz gesagt: Wenn Produktivitätszunahmen nicht an die Angestellten durch höhere Löhne weitergegeben werden, wird das BIP konstant bleiben trotz 10% Wirtschaftswachstum. Das BIP kann auch steigen bei wirtschaftlicher Stagnation. Damit ist das BIP ein sehr schlechter Massstab für Wirtschaftswachstum (die Inflation wird hier nicht berücksichtigt, ändert aber an der Analyse nichts).
Ökonomen messen, was sie beeinflussen wollen. Da heute der Fokus der Wirtschaftspolitik auf Wirtschaftswachstum liegt, wird der Veränderung des BIPs viel Aufmerksamkeit geschenkt. Dies, obwohl das BIP ein schlechter Massstab für wirtschaftliche Aktivität ist. Viel wichtiger als das Wirtschaftswachstum sind zwei Grössen: Das Wohlbefinden der Bevölkerung und die Arbeitslosigkeit.
Wohlbefinden. Spätestens seit einer Studie von Richard Easterlin (1974) wissen Ökonomen, dass Wirtschaftswachstum nur in armen Ländern zu höherem Wohlbefinden führt. Ab einem recht tiefen Einkommensniveau (laut Bruno S. Frey ab ca. USD 10´000 pro Jahr) stagniert das kollektive Glücksgefühl. In der Schweiz werden ca. 30% der Nahrungsmittel weggeworfen, gleichzeitig würden sehr viele Menschen gerne weniger arbeiten. Aus ökonomischer Sicht ist diese Situation hochgradig ineffizient. Tiefere Arbeitszeiten bei gleich viel Konsum wäre offensichtlich eine pareto-effiziente Situation, die problemlos möglich wäre, die durch die "Marktmechanismen" aber nicht gelöst wird. Anstatt eine effizientere Situation hervorzubringen, studieren junge, intelligente Menschen Marketing und überlegen sich in dieser Position Tag für Tag, wie man Produkte, die niemand will, vermarkten kann. Die Grösse des Marketing-Sektors an der gesamten Wirtschaft ist ein guter Indikator für die Überproduktion und die Irrationalität der Wirtschaft. Wenn mehr produziert wird, als Menschen wollen, und der Produkteabsatz von Unternehmen höher bewertet wird als die Freizeit von Menschen, fliessen Milliardenbeträge in die Feinsteuerung der Bedürfnisse. Diese Manipulation der Geschmäcker ist nicht nur volkswirtschaftlich ineffizient, sondern staatspolitisch fragwürdig. Wieso sollte sich ein Teil der Bevölkerung damit befassen, die Bedürfnisse der restlichen Bevölkerung mit suggestiven Werbeinhalten dem Produktekatalog der Unternehmen anzupassen? Produktion und Tausch besitzen keinen Selbstzweck, sie dienen der Bedürfnisbefriedigung. Das erwünschte Resultat der Bedürfnisbefriedigung ist Wohlbefinden. Ökonomen sollten sich deshalb vermehrt auf die Messung von Wohlbefinden konzentrieren.
Arbeitslosigkeit. Ein Nebeneffekt von Wirtschaftswachstum ist die tiefe Arbeitslosigkeit. Dieser Zusammenhang ist jedoch theoretisch und empirisch fragwürdig. Die Länder mit dem tiefsten Wirtschaftswachstum in der OECD sind gleichzeitig die Länder mit der tiefsten Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig ist die These historisch falsch. Falls nur Wirtschaftswachstum die Arbeitslosigkeit verhindert, wären alle Gesellschaften ohne Geld und ohne Wachstum (und also ohne BIP) komplett arbeitslos gewesen, und die Menschheit könnte heute gar nicht existieren. Wenn Arbeitslosigkeit so wichtig ist, sollte man versuchen, diese besser zu erfassen. Via das BIP zu argumentieren ist theoretisch und empirisch fragwürdig.
Sonntag, 24. November 2013
Montag, 30. September 2013
Die simpelsten vier Widersprüche in der neoklassischen Lehre
* Der schönsten Ökonomin der Welt gewidmet.
Der schönste Aspekt der aktuell dominanten Wirtschaftstheorie, der Neoklassik, ist, dass ihre Widersprüche nicht wirklich versteckt sind, sondern für alle Menschen mit Augen, Ohren und einem gesunden Verstand ersichtlich sind. Es werden hier keine Lösungen für die vorgestellten Widersprüche angeboten. Statt dessen beschränkt sich der Text darauf, auf unmittelbare Widersprüche in der herrschenden Lehre aufmerksam zu machen. Wer an weitergehenden Literatur interessiert ist, kann einen Kommentar hinterlassen.
Der erste Widerspruch: Vermischung von logischen Identitäten und Gleichgewichtsbedingungen
In der heutigen Lehre wird Sparen und Investieren miteinander ins Verhältnis gesetzt durch das Konzept der logischen - oft auch "buchhalterischen" - Identität. Gleichzeitig wird postuliert, dass die zwei Grössen, S und I, Gleichgewichtsbedingungen sind. „Gleichgewichtsbedingung“ heisst, dass Sparen und Investieren nur unter gewissen Bedingungen auch tatsächlich gleich gross sind (=). In der herrschenden Lehre ist es der Zinsmechanismus, der dafür sorgen soll, dass das Angebot an Ersparnissen gerade der Nachfrage nach Ersparnissen entspricht. Falls also der Zinsmechanismus nicht spielt, sind S und I nicht gleich, sondern weichen voneinander ab.
Es soll an dieser Stelle keine Rolle spielen, ob das nun stimmt oder nicht. Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass neoklassische Ökonomen gleichzeitig postulieren, dass Sparen und Investieren logische Identitäten sind. Laut Neoklassik ist dies eine direkte Folge der buchhalterischen Idee der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (und der Zahlungsbilanz). Buchhalterische Identitäten können nicht voneinander abweichen, weil, wie immer wieder gesagt wird, sie die zwei Seiten derselben Münze darstellen. Schon der Erfinder des Konzepts der logischen Identitäten, John Maynard Keynes, hat beide Konzepte – Identitäten und Gleichgewichte – gleichzeitig bedient und somit zur allgemeinen Verwirrung enorm beigetragen. Manchmal schrieb er explizit, dass Sparen und Investieren niemals voneinander abweichen können (siehe General Theory, Seite 81). Andernorts schrieb er, dass dies nur unter Einhaltung der Gleichgewichtsbedingung so sei. Der Widerspruch lässt sich also auf die folgende Form verkürzen: Neoklassiker behaupten, dass Sparen und Investieren immer gleich gross sind (S=I als Identität), und gleichzeitig sagen sie, dass Sparen und Investieren voneinander abweichen können (S=I als Gleichgewichtsbedingung).
Viele Ökonomen seit Keynes haben diesen Widerspruch übrigens erkannt und versuchen das Problem mit "ex ante" und "ex post" Sparen und Investieren zu lösen. Vor dem Sparen und Investieren (ex ante) weichen die Grössen voneinander ab (Ungleichgewicht möglich). Nach dem Sparen und Investieren (ex post) sind die Grössen identisch. Das logische Problem ist hier noch simpler: Vor dem Sparen und Investieren (ex ante) existieren weder Ersparnisse noch Investitionen, die man miteinander ins Verhältnis setzen könnte. Es sind bloss mentale Konzepte. Erst wenn gespart wurde, und also Ersparnisse existieren, macht es Sinn, von Ersparnissen zu sprechen. Man könnte den Widerspruch wie folgt formulieren: Ökonomen sagen, Ersparnisse und Investitionen existieren, welche noch gar nicht existieren.
Der zweite Widerspruch: Die zirkuläre Entstehung von Einkommen
Neoklassische Ökonomen postulieren, indem sie auf die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung verweisen, dass Einkommen = Output gilt (dies wird widersprüchlicherweise manchmal als logische Identität interpretiert, manchmal als Gleichgewichtsbedingung, siehe oben). Nehmen wir einmal an, dass dies stimmt (wobei es hier nicht wichtig ist, ob es sich dabei um Identitäten oder Gleichgewichtsbedingungen handelt). Falls dem so wäre, folgt daraus notwendigerweise, dass neues Einkommen zusammen mit neuem Output entsteht (sonst wäre das Gleichheitszeichen bedeutungslos). Wie entsteht neuer Output? Natürlich durch Produktion, welche in der Neoklassik mit der Cobb-Douglas-Produktionsfunktion modelliert wird. Doch wann wird Output wieder zerstört? Wenn Output bloss immer zunimmt durch Produktion, aber nie zerstört wird, würde sich der Output unendlich auftürmen, und die Identität Output = Einkommen würde definitiv nicht stimmen. Der angesehene neoklassische Ökonom Sidney Alexander lieferte 1952 (S. 265) die Antwort: "For brevity, the taking of goods and services off the market will be referred to here as absorption". Sprich, der Konsum von Output führt zu seiner Zerstörung. Der Konsum von Output (sprich die Zerstörung von Output) muss dann aber auch Einkommen zerstören, damit die Identität immer stimmt. Diese zwei Aussagen folgen direkt aus der ersten Aussage, dass Output und Einkommen in einer Volkswirtschaft gleich gross sind. Statt dessen wird die Entstehung und die Zerstörung von Einkommen einfach nicht erklärt. Gemäss herrschender Lehre werden bestehende Einkommen transferiert auf dem Arbeitsmarkt durch die Lohnzahlung und auf dem Gütermarkt durch Konsumzahlung. So kann jedoch lediglich erklärt werden, wie bestehende Einkommen konserviert bleiben. Es kann nicht erklärt werden, wie neue Einkommen entstehen oder alte zerstört werden. Wie kann aber das Outputniveau ständig schwanken, wenn gleichzeitig die Entstehung und Zerstörung von neuem Einkommen nicht erklärt wird? Wie können Ökonomen dann gleichzeitig postulieren, Output und Einkommen seien immer gleich gross?
Der Widerspruch lässt sich hier auf die folgende Form reduzieren: Laut Neoklassik sind Output und Einkommen immer gleich gross (laut volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung). Gleichzeitig wird postuliert, dass verfügbarer Output ständig schwankt durch Produktion (+) und Konsum (-), Einkommen aber immer bloss "im Kreis herum" transferiert wird.
Randnotiz: Der Einkommensmultiplikator, eine absurde Theorie, beruht auf diesem Widerspruch. Der Einkommensmultiplikator basiert auf zwei unausgesprochenen Hypothesen: 1. Der Konsum von Einkommen führt zur Konservierung dieses Einkommens. 2. Ersparnisse üben keine Nachfrage aus. Bricht eine dieser zwei Hypothesen zusammen, dann bricht auch die Multiplikatortheorie zusammen. Beide Hypothesen sind widersprüchlich. Würde der Konsum von Einkommen zur Konservierung desselben Einkommens führen, dann wäre die Identität Output = Einkommen nicht korrekt. Somit wäre die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung grundfalsch. Würden zweitens Ersparnisse nicht zu einer Nachfrage führen, dann wäre die neoklassische Gleichung S=I falsch. Ersparnisse werden ja gemäss neoklassischer Theorie investiert, und Investitionen üben selbstverständlich eine Nachfrage aus. Somit bricht die Multiplikatorentheorie zusammen.
Der dritte Widerspruch: Die Nicht-Definition von Inflation
Ökonomen definieren Inflation gemeinhin wie folgt: Inflation ist 1) ein genereller Preisanstieg und 2) ein Kaufkraftverlust von Geld. Die zwei Definitionen werden synonym verwendet. Gleichzeitig sagen Ökonomen, dass nicht jeder generelle Preisanstieg inflationär sei. Doch wenn nicht jeder generelle Preisanstieg inflationär ist, dann haben wir ein substanzielles Problem mit der Definition.
Bei Mehrwertsteuererhöhungen oder höheren Ölpreisen aus dem Ausland steigen die Preise im Inland (= genereller Preisanstieg). Es ist absurd, zu behaupten, dass dieser generelle Preisanstieg einer Entwertung der Währung zu verdanken ist. Ein höherer Preis für ausländisches Öl verändert das Verhältnis von nationalen Produkten und nationaler Währung ganz sicher nicht. Dasselbe gilt für die Mehrwertsteuer, welche lediglich zu einer Umverteilung der Kaufkraft führt, bestimmt nicht zu einem Kaufkraftverlust.
Der unmittelbare Widerspruch ist der folgende: Ökonomen sagen, dass ein genereller Preisanstieg die Inflation definiert. Gleichzeitig sagen sie, dass nicht jeder generelle Preisanstieg inflationär ist.
Laut neoklassischen Ökonomen ist die Ursache von Inflation ein Missverhältnis von nationaler Geldmenge und nationalem Output. Das bedeutet aber umgehend, dass das Konzept der "importierten" Inflation in sich widersprüchlich ist, da es dabei um das Wertverhältnis zwischen nationalem Geld und ausländischen Produkten geht. Wenn dieses Verhältnis gestört wird (z.B. wegen der Ölpreispolitik der OPEC), dann hat das zwar höhere Preise im Inland zur Folge. Diese höhere Preise sind aber per Definitionem nicht wegen einem Missverhältnis zwischen nationalem Output und nationaler Geldmenge entstanden.
Ausserdem ist die Kosteninflationstheorie (cost push inflation) offensichtlich absurd. Wenn die Löhne steigen, dann steigt das verfügbare Einkommen und simultan (durch dieselbe Aktion, sprich die Lohnzahlung) der numerische Wert der Güter und Dienstleistungen, da die Lohnzahlung ja gerade den Wert in Geldeinheiten misst. Es entsteht also unmöglich ein Ungleichgewicht zwischen Geldmenge und Output, wenn die Löhne steigen. Statt dessen handelt es sich um eine reine Kaufkraftverschiebung. Mit dem gleichen Recht könnte man übrigens argumentieren, dass Inflation entsteht, wenn alle Unternehmen zusammen ihre Gewinnmargen erhöhen, bei gleichbleibenden Löhnen. Auch das wäre eine absurde Aussage, welche aber interessanterweise nicht gemacht wird, obzwar sie der gleichen Logik entspringt wie die Kosteninflation.
Der vierte Widerspruch: Geld als wertvolles Gut
In einer Zeit völlig digitalisierter Währungen machen sich Ökonomen noch immer lustig über sich selbst, indem sie Geld in ihren Modellen als wertvolles Gut behandeln und umschreiben. Gleichzeitig sagen dieselben Ökonomen, dass das BIP der Wert aller Güter und Dienstleistungen sei, welche innerhalb eines Jahres in einem Land produziert werden.
Wenn Ökonomen sich nicht schon längst von der Logik verabschiedet hätten, wäre ihnen bewusst, dass sie sich damit direkt widersprechen. Wäre Geld ein wertvolles Gut, müsste man jede Geldmengenerhöhung zum BIP dazurechnen – ein absurdes Vorgehen, welches Adam Smith bereits 1776 ausschloss. Indem Ökonomen aber die Geldmenge nicht zum BIP dazurechnen, geben sie implizit zu, dass Geld kein Gut ist und somit auch keinen ökonomischen Wert hat.
Der unmittelbare Widerspruch ist der folgende: Ökonomen behaupten, Geld sei ein wertvolles Gut. Gleichzeitig behandeln sie es wie ein wertloses Vehikel, indem sie es aus dem BIP ausschliessen.
Der schönste Aspekt der aktuell dominanten Wirtschaftstheorie, der Neoklassik, ist, dass ihre Widersprüche nicht wirklich versteckt sind, sondern für alle Menschen mit Augen, Ohren und einem gesunden Verstand ersichtlich sind. Es werden hier keine Lösungen für die vorgestellten Widersprüche angeboten. Statt dessen beschränkt sich der Text darauf, auf unmittelbare Widersprüche in der herrschenden Lehre aufmerksam zu machen. Wer an weitergehenden Literatur interessiert ist, kann einen Kommentar hinterlassen.
Der erste Widerspruch: Vermischung von logischen Identitäten und Gleichgewichtsbedingungen
In der heutigen Lehre wird Sparen und Investieren miteinander ins Verhältnis gesetzt durch das Konzept der logischen - oft auch "buchhalterischen" - Identität. Gleichzeitig wird postuliert, dass die zwei Grössen, S und I, Gleichgewichtsbedingungen sind. „Gleichgewichtsbedingung“ heisst, dass Sparen und Investieren nur unter gewissen Bedingungen auch tatsächlich gleich gross sind (=). In der herrschenden Lehre ist es der Zinsmechanismus, der dafür sorgen soll, dass das Angebot an Ersparnissen gerade der Nachfrage nach Ersparnissen entspricht. Falls also der Zinsmechanismus nicht spielt, sind S und I nicht gleich, sondern weichen voneinander ab.
Es soll an dieser Stelle keine Rolle spielen, ob das nun stimmt oder nicht. Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass neoklassische Ökonomen gleichzeitig postulieren, dass Sparen und Investieren logische Identitäten sind. Laut Neoklassik ist dies eine direkte Folge der buchhalterischen Idee der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (und der Zahlungsbilanz). Buchhalterische Identitäten können nicht voneinander abweichen, weil, wie immer wieder gesagt wird, sie die zwei Seiten derselben Münze darstellen. Schon der Erfinder des Konzepts der logischen Identitäten, John Maynard Keynes, hat beide Konzepte – Identitäten und Gleichgewichte – gleichzeitig bedient und somit zur allgemeinen Verwirrung enorm beigetragen. Manchmal schrieb er explizit, dass Sparen und Investieren niemals voneinander abweichen können (siehe General Theory, Seite 81). Andernorts schrieb er, dass dies nur unter Einhaltung der Gleichgewichtsbedingung so sei. Der Widerspruch lässt sich also auf die folgende Form verkürzen: Neoklassiker behaupten, dass Sparen und Investieren immer gleich gross sind (S=I als Identität), und gleichzeitig sagen sie, dass Sparen und Investieren voneinander abweichen können (S=I als Gleichgewichtsbedingung).
Viele Ökonomen seit Keynes haben diesen Widerspruch übrigens erkannt und versuchen das Problem mit "ex ante" und "ex post" Sparen und Investieren zu lösen. Vor dem Sparen und Investieren (ex ante) weichen die Grössen voneinander ab (Ungleichgewicht möglich). Nach dem Sparen und Investieren (ex post) sind die Grössen identisch. Das logische Problem ist hier noch simpler: Vor dem Sparen und Investieren (ex ante) existieren weder Ersparnisse noch Investitionen, die man miteinander ins Verhältnis setzen könnte. Es sind bloss mentale Konzepte. Erst wenn gespart wurde, und also Ersparnisse existieren, macht es Sinn, von Ersparnissen zu sprechen. Man könnte den Widerspruch wie folgt formulieren: Ökonomen sagen, Ersparnisse und Investitionen existieren, welche noch gar nicht existieren.
Der zweite Widerspruch: Die zirkuläre Entstehung von Einkommen
Neoklassische Ökonomen postulieren, indem sie auf die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung verweisen, dass Einkommen = Output gilt (dies wird widersprüchlicherweise manchmal als logische Identität interpretiert, manchmal als Gleichgewichtsbedingung, siehe oben). Nehmen wir einmal an, dass dies stimmt (wobei es hier nicht wichtig ist, ob es sich dabei um Identitäten oder Gleichgewichtsbedingungen handelt). Falls dem so wäre, folgt daraus notwendigerweise, dass neues Einkommen zusammen mit neuem Output entsteht (sonst wäre das Gleichheitszeichen bedeutungslos). Wie entsteht neuer Output? Natürlich durch Produktion, welche in der Neoklassik mit der Cobb-Douglas-Produktionsfunktion modelliert wird. Doch wann wird Output wieder zerstört? Wenn Output bloss immer zunimmt durch Produktion, aber nie zerstört wird, würde sich der Output unendlich auftürmen, und die Identität Output = Einkommen würde definitiv nicht stimmen. Der angesehene neoklassische Ökonom Sidney Alexander lieferte 1952 (S. 265) die Antwort: "For brevity, the taking of goods and services off the market will be referred to here as absorption". Sprich, der Konsum von Output führt zu seiner Zerstörung. Der Konsum von Output (sprich die Zerstörung von Output) muss dann aber auch Einkommen zerstören, damit die Identität immer stimmt. Diese zwei Aussagen folgen direkt aus der ersten Aussage, dass Output und Einkommen in einer Volkswirtschaft gleich gross sind. Statt dessen wird die Entstehung und die Zerstörung von Einkommen einfach nicht erklärt. Gemäss herrschender Lehre werden bestehende Einkommen transferiert auf dem Arbeitsmarkt durch die Lohnzahlung und auf dem Gütermarkt durch Konsumzahlung. So kann jedoch lediglich erklärt werden, wie bestehende Einkommen konserviert bleiben. Es kann nicht erklärt werden, wie neue Einkommen entstehen oder alte zerstört werden. Wie kann aber das Outputniveau ständig schwanken, wenn gleichzeitig die Entstehung und Zerstörung von neuem Einkommen nicht erklärt wird? Wie können Ökonomen dann gleichzeitig postulieren, Output und Einkommen seien immer gleich gross?
Der Widerspruch lässt sich hier auf die folgende Form reduzieren: Laut Neoklassik sind Output und Einkommen immer gleich gross (laut volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung). Gleichzeitig wird postuliert, dass verfügbarer Output ständig schwankt durch Produktion (+) und Konsum (-), Einkommen aber immer bloss "im Kreis herum" transferiert wird.
Randnotiz: Der Einkommensmultiplikator, eine absurde Theorie, beruht auf diesem Widerspruch. Der Einkommensmultiplikator basiert auf zwei unausgesprochenen Hypothesen: 1. Der Konsum von Einkommen führt zur Konservierung dieses Einkommens. 2. Ersparnisse üben keine Nachfrage aus. Bricht eine dieser zwei Hypothesen zusammen, dann bricht auch die Multiplikatortheorie zusammen. Beide Hypothesen sind widersprüchlich. Würde der Konsum von Einkommen zur Konservierung desselben Einkommens führen, dann wäre die Identität Output = Einkommen nicht korrekt. Somit wäre die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung grundfalsch. Würden zweitens Ersparnisse nicht zu einer Nachfrage führen, dann wäre die neoklassische Gleichung S=I falsch. Ersparnisse werden ja gemäss neoklassischer Theorie investiert, und Investitionen üben selbstverständlich eine Nachfrage aus. Somit bricht die Multiplikatorentheorie zusammen.
Der dritte Widerspruch: Die Nicht-Definition von Inflation
Ökonomen definieren Inflation gemeinhin wie folgt: Inflation ist 1) ein genereller Preisanstieg und 2) ein Kaufkraftverlust von Geld. Die zwei Definitionen werden synonym verwendet. Gleichzeitig sagen Ökonomen, dass nicht jeder generelle Preisanstieg inflationär sei. Doch wenn nicht jeder generelle Preisanstieg inflationär ist, dann haben wir ein substanzielles Problem mit der Definition.
Bei Mehrwertsteuererhöhungen oder höheren Ölpreisen aus dem Ausland steigen die Preise im Inland (= genereller Preisanstieg). Es ist absurd, zu behaupten, dass dieser generelle Preisanstieg einer Entwertung der Währung zu verdanken ist. Ein höherer Preis für ausländisches Öl verändert das Verhältnis von nationalen Produkten und nationaler Währung ganz sicher nicht. Dasselbe gilt für die Mehrwertsteuer, welche lediglich zu einer Umverteilung der Kaufkraft führt, bestimmt nicht zu einem Kaufkraftverlust.
Der unmittelbare Widerspruch ist der folgende: Ökonomen sagen, dass ein genereller Preisanstieg die Inflation definiert. Gleichzeitig sagen sie, dass nicht jeder generelle Preisanstieg inflationär ist.
Laut neoklassischen Ökonomen ist die Ursache von Inflation ein Missverhältnis von nationaler Geldmenge und nationalem Output. Das bedeutet aber umgehend, dass das Konzept der "importierten" Inflation in sich widersprüchlich ist, da es dabei um das Wertverhältnis zwischen nationalem Geld und ausländischen Produkten geht. Wenn dieses Verhältnis gestört wird (z.B. wegen der Ölpreispolitik der OPEC), dann hat das zwar höhere Preise im Inland zur Folge. Diese höhere Preise sind aber per Definitionem nicht wegen einem Missverhältnis zwischen nationalem Output und nationaler Geldmenge entstanden.
Ausserdem ist die Kosteninflationstheorie (cost push inflation) offensichtlich absurd. Wenn die Löhne steigen, dann steigt das verfügbare Einkommen und simultan (durch dieselbe Aktion, sprich die Lohnzahlung) der numerische Wert der Güter und Dienstleistungen, da die Lohnzahlung ja gerade den Wert in Geldeinheiten misst. Es entsteht also unmöglich ein Ungleichgewicht zwischen Geldmenge und Output, wenn die Löhne steigen. Statt dessen handelt es sich um eine reine Kaufkraftverschiebung. Mit dem gleichen Recht könnte man übrigens argumentieren, dass Inflation entsteht, wenn alle Unternehmen zusammen ihre Gewinnmargen erhöhen, bei gleichbleibenden Löhnen. Auch das wäre eine absurde Aussage, welche aber interessanterweise nicht gemacht wird, obzwar sie der gleichen Logik entspringt wie die Kosteninflation.
Der vierte Widerspruch: Geld als wertvolles Gut
In einer Zeit völlig digitalisierter Währungen machen sich Ökonomen noch immer lustig über sich selbst, indem sie Geld in ihren Modellen als wertvolles Gut behandeln und umschreiben. Gleichzeitig sagen dieselben Ökonomen, dass das BIP der Wert aller Güter und Dienstleistungen sei, welche innerhalb eines Jahres in einem Land produziert werden.
Wenn Ökonomen sich nicht schon längst von der Logik verabschiedet hätten, wäre ihnen bewusst, dass sie sich damit direkt widersprechen. Wäre Geld ein wertvolles Gut, müsste man jede Geldmengenerhöhung zum BIP dazurechnen – ein absurdes Vorgehen, welches Adam Smith bereits 1776 ausschloss. Indem Ökonomen aber die Geldmenge nicht zum BIP dazurechnen, geben sie implizit zu, dass Geld kein Gut ist und somit auch keinen ökonomischen Wert hat.
Der unmittelbare Widerspruch ist der folgende: Ökonomen behaupten, Geld sei ein wertvolles Gut. Gleichzeitig behandeln sie es wie ein wertloses Vehikel, indem sie es aus dem BIP ausschliessen.
Samstag, 19. Januar 2013
TARGET2-Ungleichgewichte: Eine buchhalterische Erklärung
Seit die Gründerväter
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im März 1957 die Römischen
Verträge unterschrieben, ist die Schaffung einer einheitlichen europäischen
Währung ein explizites Ziel. 1962 forderte eine Kommission der EWG dazu auf,
Wege zu erkunden, auf denen die monetäre Integration der ersten Mitgliedstaaten
möglich wäre. Nach langer Debatte des wirtschaftlichen Fachpublikums gelangte
man zu einer Art Konsens: Monetäre Integration kann geschehen, nachdem sich
nominelle Grössen wie Zinsen, Inflation, Wechselkurse und Staatshaushalt
zwischen den Mitgliedsländer ausgeglichen haben. Dieser Ansicht der graduellen
Anpassung zwischen Volkswirtschaften lag die Vorstellung zugrunde, dass es
keinen essentiellen Unterschied gebe zwischen einem fixen Wechselkurs-Regime
und einem einheitlichen Währungsraum. Diese Ansicht wurde im Werner Report von
1970 explizit zum Ausdruck gebracht.
Seither hat sich,
basierend auf den theoretischen Überlegungen monetärer Ökonomen, die
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) herausgebildet. Der Euro hat
nationale Währungen innerhalb der EWWU abgelöst. TARGET, respektive die neue
Version TARGET2, ist die Bezeichnung der Zahlungssysteminfrastruktur zwischen
den teilnehmenden Staaten, welche allesamt Echtzeit-Zahlungssysteme benützen
(RTGS). Täglich werden über TARGET2 Zahlungen im Umfang von ca. EUR 2.5
Billionen abgewickelt (Januar 2013).
Während zu Beginn der
Währungsunion das Zahlungssystem TARGET noch dezentral betrieben wurde, werden
Zahlungen zwischen Banken seit November 2007 mit TARGET2 zentral innerhalb der Single Shared Platform (SSP) ausgeführt.
Die Zentralbanken in Italien, Deutschland und Frankreich betreiben gemeinsam
diese zentral geführte Zahlungsplattform. Das bedeutet, dass jede
zwischenstaatliche Zahlung, welche an TARGET2 geschickt wird, durch die SSP
abgewickelt wird. Wie die Europäische
Zentralbank in ihren Dokumenten offenlegt, ist TARGET2 jedoch kein
multilaterales Zahlungssystem. Statt dessen agiert jede einzelne nationale
Zentralbank des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESCB) als eigenständige
Settlement-Partei und wickelt Zahlungen bilateral mit anderen Zentralbanken ab.
Zitieren wir von der Website der Deutschen Bundesbank:
„Fließen beispielsweise einer über die Bundesbank an
TARGET2 teilnehmenden Bank Gelder aus dem Ausland zu, führt dies bei der
Bundesbank zu Verbindlichkeiten gegenüber dieser Bank (etwa durch Gutschrift
des Betrages auf deren Girokonto). Im Gegenzug entsteht eine Forderung der
Bundesbank in gleicher Höhe gegenüber der sendenden nationalen Zentralbank.
Diese wiederum belastet das Konto der sendenden Geschäftsbank.“
Zwischenstaatliche
Zahlungen innerhalb der EWWU werden also nicht, wie man das in einem homogenen
Währungsraum vermuten würde, über zentral verwaltete Girokonten bei der EZB
abgewickelt. Statt dessen unterhält jede
Zentralbank bilaterale Beziehungen mit jeder einzelnen anderen nationalen
Zentralbank und wickelt Zahlungen mit dieser ab. Wir können das Europäische System der Zentralbanken (ESZB), welches auf bilateralen Settlement-Beziehungen zwischen Nationalen Zentralbanken (NZB) beruht, wie folgt schematisch darstellen.
Das heutige, bilaterale Europäische System der Zentralbanken (ESZB), welches zu TARGET2-Ungleichgewichten führt. |
In dieser Darstellung wird ersichtlich, dass Zahlungen von Nicht-Banken innerhalb der Mitgliedsländer über die nationalen Geschäftsbanken (schwarz) und Zentralbanken (orange) abgewickelt werden. Zahlungen zwischen den Mitgliedsländern werden nicht über die EZB, sondern bilateral zwischen den nationalen Zentralbanken abgewickelt.
Vergleichen wir dieses Vorgehen kurz mit der Abwicklung einer Zahlung innerhalb eines homogenen Währungsraums, z.B. der Schweiz. Jede Schweizer Geschäftsbank muss ein Girokonto bei der SNB besitzen, welches ein Guthaben der Geschäftsbank gegenüber der Zentralbank darstellt. Bezahlt ein Kunde einer Bank einem Kunden einer anderen Bank einen beliebigen Geldbetrag, so wird das Bankdepot des Käufers von seiner Bank belastet, und dieselbe Bank schickt die Zahlungsinformation an die Bank des Verkäufers. Letztere Bank schreibt ihrem Kunden einen Geldbetrag gut und notiert sich dafür eine Forderung gegenüber der ersten Bank auf der Aktivseite. Als Folge der Zahlung zwischen den Kunden ist eine Bank bei der anderen verschuldet. Die endgültige Abwicklung dieser Zahlung kann erst erfolgen, wenn die zwei Banken ihr Schuldverhältnis ausgleichen durch eine entsprechende Gut-, respektive Lastschrift durch die Zentralbank auf ihrem Girokonto. Da alle Banken der Schweiz an dieses multilaterale System von Girokonten angeschlossen sind und jeder Ausgleich von Schuldverhältnissen zwischen zwei Geschäftsbanken in Form von Gut- und Lastschriften der Zentralbank geschieht, handelt es sich bei der Schweiz um einen homogenen Währungsraum. Das bedeutet, dass ein Guthaben eines Bankkunden gegenüber der Raiffeisen Bank nicht unterscheidbar ist von einem Guthaben gegenüber der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Sie sind perfekt austauschbar.
Vergleichen wir dieses Vorgehen kurz mit der Abwicklung einer Zahlung innerhalb eines homogenen Währungsraums, z.B. der Schweiz. Jede Schweizer Geschäftsbank muss ein Girokonto bei der SNB besitzen, welches ein Guthaben der Geschäftsbank gegenüber der Zentralbank darstellt. Bezahlt ein Kunde einer Bank einem Kunden einer anderen Bank einen beliebigen Geldbetrag, so wird das Bankdepot des Käufers von seiner Bank belastet, und dieselbe Bank schickt die Zahlungsinformation an die Bank des Verkäufers. Letztere Bank schreibt ihrem Kunden einen Geldbetrag gut und notiert sich dafür eine Forderung gegenüber der ersten Bank auf der Aktivseite. Als Folge der Zahlung zwischen den Kunden ist eine Bank bei der anderen verschuldet. Die endgültige Abwicklung dieser Zahlung kann erst erfolgen, wenn die zwei Banken ihr Schuldverhältnis ausgleichen durch eine entsprechende Gut-, respektive Lastschrift durch die Zentralbank auf ihrem Girokonto. Da alle Banken der Schweiz an dieses multilaterale System von Girokonten angeschlossen sind und jeder Ausgleich von Schuldverhältnissen zwischen zwei Geschäftsbanken in Form von Gut- und Lastschriften der Zentralbank geschieht, handelt es sich bei der Schweiz um einen homogenen Währungsraum. Das bedeutet, dass ein Guthaben eines Bankkunden gegenüber der Raiffeisen Bank nicht unterscheidbar ist von einem Guthaben gegenüber der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Sie sind perfekt austauschbar.
Das Zahlungssystem des
Euroraums funktioniert nicht so. So heisst es in den Unterlagen der EZB (eigene
Übersetzung):
„Sobald die sendende nationale Zentralbank die Gültigkeit
einer Zahlungsinformation und die Verfügbarkeit von genügend Guthaben oder
einer ausreichenden Kreditlimite geprüft hat, wird die Zahlungssumme endgültig
und sofort vom RTGS-Konto der auftraggebenden Kreditinstitution abgezogen und
dem Interlinking-Konto der bezahlten Bank gutgeschrieben.“
Das sogenannte
„Interlinking-Konto“ ist ein Konto, welches jede nationale Zentralbank besitzt
und nationale RTGS-Zahlungssysteme zusammenschliesst, damit Zahlungen zwischen
Mitgliedsstaaten ausgeführt werden können. Nachdem alle Kontrollen ausgeführt
worden sind, belastet die empfangende Nationalbank das Interlinking-Konto der sendenden
Zentralbank und versendet eine Bestätigung an die sendende Zentralbank oder der
EZB. Die EZB selbst ist ebenfalls an dieses System angeschlossen und kann
dadurch andere Zentralbanken bezahlen oder durch sie bezahlt werden. Die EZB
agiert jedoch nicht als zentrale Settlement-Institution zwischen nationalen
Zentralbanken.
Gehen wir von einem
konkreten Fall aus, damit diese abstrakten Ausführungen in einen realistischen
Kontext gestellt werden. Nehmen wir an, die griechische Regierung kauft
Maschinen von einer privaten Unternehmung aus Deutschland für EUR 1 Million.
Diese Zahlung führt zu einer Belastung des Griechischen Schatzamtes durch die
griechische Zentralbank. Ihr Gegenpart, sprich die Deutsche Bundesbank, erhält
dafür via TARGET2 eine Gutschrift. Zeigen wir das Resultat der Transaktion
mittels Bilanzen der griechischen und Deutschen Zentralbanken. Wir halten dabei
die Tabula Rasa Bedingung ein, um logische Scheinbeweise zu umgehen: Vor der
Transaktion waren die Bankbilanzen also leer.
Griechischen Nationalbank
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Aktiven
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Passiven
|
||
(1) Kredit an griechisches Schatzamt
|
EUR 1 Mio.
|
(2) Schuld ggü. Bundesbank
|
EUR 1 Mio.
|
Deutsche Bundesbank
|
|||
Aktiven
|
Passiven
|
||
(3) Guthaben ggü. griechischer Zentralbank
|
EUR 1 Mio.
|
(4) Schuld gegenüber der Bank des Exporteurs
|
EUR 1 Mio.
|
Die griechische
Nationalbank gewährt der griechischen Regierung einen Kredit, welchen sie als
Guthaben gegenüber derselben Regierung festhält (1). Dafür verschuldet sich
dieselbe Nationalbank gegenüber der Deutschen Bundesbank (2). Die Deutsche
Bundesbank notiert dieses Guthaben auf ihrer Aktivseite (3) und vermerkt dafür
eine Schuld gegenüber der Bank des Exporteurs (4).
Halten wir nun drei
Dinge fest.
1.
Sowohl Importeur
wie auch Exporteur haben keine Forderungen oder Verbindlichkeiten mehr untereinander.
Das heisst...
a.
der
Exporteur aus Deutschland hat eine Gutschrift im Umfang von EUR 1 Mio.
erhalten,
b.
der
Importeur aus Griechenland (also die Regierung) ist für EUR 1 Mio. belastet
worden.
2.
Zwischen
den Währungsräumen Deutschland und Griechenland besteht weiterhin eine ungetilgte
Schuld im Umfang von EUR 1 Mio.
3.
Griechenland
als Währungsraum hat für die Maschine
noch nicht bezahlt.
Aussage drei mag auf
den ersten Blick erstaunen, kann jedoch nicht ernsthaft bezweifelt werden, wenn
wir uns die Zahlungsmittelfunktion von Geld vergegenwärtigen. Geld ist ein
Zahlungsmittel. Eine Bezahlung führt definitionsgemäss zur Tilgung einer Schuld. In unserem Beispiel wird die Schuld zwischen
Deutschland und Griechenland jedoch nicht getilgt, sondern lediglich bestätigt. Aus mikroökonomischer Sicht,
sprich aus der Sicht des Exporteurs und des Importeurs, ist die Bezahlung zwar
tatsächlich endgültig, es existiert keine weitere Forderung (resp. Schuld)
zwischen den Parteien. Aus makroökonomischer Sicht wurde die Schuld jedoch noch
nicht getilgt, sondern lediglich in Form eines Bucheintrags bestätigt. Das
Guthaben der Deutschen Bundesbank erscheint nun als TARGET2-Guthaben auf der
Aktivseite der Deutschen Bundesbank und stellt ein erhebliches Risiko im Fall
eines Staatsbankrotts dar.
Nun kann zu Recht
eingewendet werden, dass die Verbindlichkeiten und Forderungen am Ende jedes
Geschäftstages gemäss einem Abkommen der Teilnehmerstaaten an die EZB geschickt
werden müssen, wo sie untereinander ausgeglichen werden. Das ist korrekt,
jedoch resultieren aus den Netto-Importen und Netto-Exporten zwischen Währungsräumen
TARGET2-Salden, welche nicht ausgeglichen werden. Bestätigen wir das mit einem
erneuten Zitat der Deutschen Bundesbank:
„Die bei den nationalen Zentralbanken entstehenden
Forderungen und Verbindlichkeiten aus einer über den Tag anfallenden Vielzahl
solcher Transaktionen gleichen sich normalerweise nicht vollständig aus. Am
Ende des Geschäftstages verbleibende Forderungen und Verbindlichkeiten aller an
TARGET2 teilnehmenden nationalen Zentralbanken werden gemäß einem Abkommen im
Eurosystem an die EZB übertragen und dort saldiert. Die so entstehenden
TARGET2-(Netto)-Salden sind demnach das Ergebnis der grenzüberschreitenden
Verteilung von Zentralbankgeld innerhalb der dezentralen Struktur des
Eurosystems. Der TARGET2-Saldo in der Bundesbankbilanz geht also im
Wesentlichen auf grenzüberschreitende Transaktionen zurück, die Banken
betreffen, welche über die Bundesbank an TARGET2 teilnehmen (...).“
Während also Importe
endgültig bezahlt werden können, wenn
dafür entsprechende Exporte getätigt werden, führen Netto-Exporte, resp. –Importe (vor allem von Produkten und
Wertpapieren) zu TARGET2-Salden zwischen Währungsräumen. Die Deutsche
Bundesbank besass z.B. am 31.12.2012 Forderungen im Umfang von über EUR 655
Mrd.. Das entspricht ca. einem Viertel des Bruttoinlandprodukts Deutschlands.
Wieso ist dieser Mangel
in der europäischen Zahlungssystemarchitektur vor 2009 niemandem aufgefallen?
Das hat erstens damit zu tun, dass sich Ökonomen bis heute nicht für
Zahlungssysteme interessieren. Ökonomen gehen bis heute axiomatisch davon aus, dass Geld
eine Art physische Ware ist, welche von der Zentralbank „aus dem Nichts“
geschaffen werden kann und dann „in der Wirtschaft zirkuliert“. Banken kommen
in ihren Modellen selten vor. Die buchhalterische Natur von Geld wird in
ökonomischen Modellen bis heute nicht respektiert. Ökonomen arbeiten heute ausserdem
praktisch ausschliesslich mit infinitesimalen Modellen. Zahlungen können jedoch
nicht mit Formeln, sondern müssen mit buchhalterischer Logik analysiert werden.
Zweitens hat es damit zu tun, dass vor 2009 TARGET2-Ungleichgewichte aufgrund
von Netto-Importen von Ländern wie Griechenland neutralisiert wurden durch deren
äquivalente Netto-Exporte von Wertschriften. Somit wurden die Güter und
Dienstleistungen aus Deutschland „bezahlt“ mit Wertschriften (v. a.
Staatsanleihen) aus Griechenland. Im Zuge der Euro-Krise nahm die Nachfrage
nach solchen Wertschriften ab, wodurch die TARGET2-Ungleichgewichte entstanden.
Zur Lösung des Problems
Nun, da wir das Problem umrissen haben, erscheint die Lösung nicht mehr ausser Reichweite. Der Euroraum hat
zwei Möglichkeiten, wie er sein Zahlungssystem TARGET2 drastisch verbessern
kann. Beide Lösungen würden dazu führen, dass internationale Zahlungen endgültig werden, was nichts anderes
bedeutet, als dass Geld seine eigentliche Zahlungsmittelfunktion auch für
Zahlungen zwischen Währungsräumen erlangt.
Heute führen „Zahlungen“ von Netto-Importen zwischen Währungsräumen des
Euroraums, - wiederholen wir das noch einmal - nicht dazu, dass die Obligation
getilgt wird. Statt dessen werden die Verbindlichkeiten und Forderungen
zwischen Währungsräumen bestätigt,
weshalb es sich bei Transaktionen zwischen Mitgliedern des Euroraums heute um
Nicht-Zahlungen handelt. Wäre der Euro die gemeinsame, homogene Währung der Eurozone, würde jede Bezahlung mit Euros zur Tilgung der zugrunde liegenden Schuld führen. Dies ist jedoch heute bei Netto-Exporten nicht der Fall. Man kann deshalb tatsächlich nicht von „einem“ Euro sprechen, sondern müsste von 17 unterschiedlichen Euros
sprechen, welche allesamt gleich heissen und einen festen Wechselkurs 1:1
vorweisen. Da jedoch Griechenland „als Ganzes“ nicht mit Schuldverschreibungen
griechischer Banken (= griechische Euros) Schulden gegenüber Deutschland
endgültig tilgen kann – sondern dafür zuerst Deutsche Euros auftreiben muss –
sind die zwei Währungen heterogen. Beide Lösungen verlangen nach einer EZB, welche als supranationale Settlement-Institution agiert. Das bedeutet, dass Zahlungen zwischen Mitgliedstaaten über die EZB als zentrale Settlement-Institution abgewickelt werden müssen. Schematisch würde das Europäische System der Zentralbanken sodann wie folgt aussehen.
Das zukünftige Europäische System der Zentralbanken mit der EZB als zentrale Settlement-Institution |
Erste Lösung: Alle Länder des Euroraums erhalten eine
wirklich homogene Währung - den Euro - und die EZB wird eine wirkliche
Settlement-Institution für nationale Zentralbanken.
Hierfür ist es nötig,
dass jede nationale Zentralbank bei der EZB ein Girokonto eröffnet und dabei
sicherstellt, dass genügend Guthaben darauf vorhanden sind. Als Vorbild dient
hierzu die bereits existierende Regelung innerhalb homogener Währungsräume,
also z.B. innerhalb Deutschlands oder Frankreichs. Jede Zahlung zwischen
Währungsräumen würde innerhalb dieses TARGET3-Zahlungssystems in Echtzeit
abgewickelt. Die EZB wäre somit eine übergeordnete Settlement-Institution,
welche die Girokonten der partizipierenden Nationalbanken mittels EZB-Geld
erhöhen oder senken würde. TARGET-Ungleichgewichte würden somit nicht mehr
entstehen und die monetäre Vereinigung des Euroraums wäre (erst dann) Realität.
Zweite Lösung: Jedes EU-Land erhält seine nationale Währung
zurück und die EZB fungiert als Settlement-Institution für
Aussenhandelsungleichgewichte.
Diese Lösung würde
verlangen, dass Netto-Importe von Gütern oder Dienstleistungen eines Landes am
Ende des Geschäftstages neutralisiert werden mit entsprechenden Exporten von
Wertschriften (Aktien oder Obligationen). Dies kann auf bilateraler oder
multilateraler Basis geschehen. Die Forderungen und Verbindlichkeiten
nationaler Zentralbanken würden hierbei laufend bei der EZB hinterlegt. Am Ende
jedes Geschäftstages würde die EZB die Forderungen des einen Landes benützen,
um damit Eigentumsrechte an Wertschriften des verschuldeten Landes zu kaufen,
nach Berücksichtigung des offiziell geltenden Wechselkurses. Die EZB würde
hierdurch zur Endgültigkeit von zwischenstaatlichen Zahlungen verhelfen. Jeder
Netto-Export von Produkten eines Währungsraums würde am gleichen Tag
kompensiert durch Netto-Importe von Wertschriften. Die Anhäufung von
Fremdwährungen in nationalen Bankbilanzen aufgrund von
Handelsbilanzungleichgewichten würde hierdurch verhindert. Das hätte ebenfalls die Folge, dass Wechselkursschwankungen effektiv
abgeschafft würden. Ausschliesslich Devisentransaktionen führen zu
Veränderung von Wechselkursen. Diese neue Regelung würde dazu führen, dass
Währungen nicht mehr wie Tauschobjekte gehandelt, sondern einzig als Zahlungsmittel verwendet würden – was bekanntermassen
ihrer Natur entspricht. Somit könnten Unternehmen ihre Planungssicherheit
dramatisch erhöhen ohne unter den negativen Konsequenzen eines einheitlichen
Währungsraums zu leiden.
Quellen:
Rossi, S. (2012) The monetary-structural origin of TARGET2
imbalances across Euroland, in Modern Monetary Macroeconomics, Gnos, C. and
Rossi, S. (Eds.), Cheltenham: Edward Elgar.
Deutsche Bundesbank,
Target2-Saldo. Gefunden auf:
http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Standardartikel/Kerngeschaeftsfelder/Unbarer_Zahlungsverkehr/target2_saldo.html
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