Freitag, 3. Dezember 2010

Kein Wettbewerb beim Geld - die lamentablen Verirrungen der NZZ

In allen Dossiers der NZZ sind hervorragende Artikel zu finden: Die politischen Analysen sind pointiert und elegant verfasst; die Feuilleton-Beiträge sind unterhaltsam und informativ; selbst die Sportartikel begeistern mitunter Leser, die sich sonst für panem et circenses wenig interessieren. Kritischer, intelligenter Journalismus, der sich an die Realität hält.

Doch in einem Dossier findet der Leser leider immer wieder horrende Fehler, peinliche Verirrungen und fragwürdige Ideen: im Wirtschaftsdossier. So heute wieder im Artikel "Kein Wettbewerb beim Geld". Mitglieder des mit der NZZ verbandelten "Liberalen Instituts", stark beeinflusst von Anarchokapitalisten wie Ludwig von Mises und Ayn Rand, philosophierten über Geldtheorie. Mises und Rand waren notabene Menschen, die selbst das Justizsystem privatisieren wollten und in ihrem paranoiden Staatshass hinter jeder staatlichen Behörde - sei es der Polizei, der Feuerwehr oder der Schule - eine Gestapo witterten. Staatliche Schulen seien zu verbieten, da sie nur betrieben werden, um Minderheiten zu unterdrücken. Altruismus war in ihren Augen eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft. Ludwig von Mises selbst schimpfte Hayek und Friedman einmal gar "Sozialisten".

Schauen wir, was in diesem Artikel so geschrieben wird... Satz Nummer eins ist ein Zitat von Röpke:


 "Erst die Papierwährung hat uns gelehrt, was das Wort Inflation bedeutet - ja, es gibt kaum eine einzige Papierwährung, die nicht früher oder später der Entwertung anheimgefallen ist, weil die verantwortliche Behörde entweder nicht imstande war oder gar nicht die Absicht hatte, die Geldmenge knapp zu halten."

Schon diese kurze Aussage schafft es mit beachtlicher Treffsicherheit, auf multiplen Ebenen falsch zu liegen. Erstens wurden Preissteigerungen in der Geschichte sehr, sehr oft beobachtet. Tatsächlich war es die Regel - auch wenn Edelmetalle als Zahlungsmittel benutzt wurden. So weiss man, dass bereits Alexander der Grosse gegen die Inflation ankämpfen musste, trotz Gold-und Silberwährung. Im 16. Jahrhundert stiegen die Preise wegen der Entdeckung Südamerikas mit seinen Goldvorkommen weltweit, in Spanien allein um ca. 400%.

Zweitens schreibt Röpke von einer verantwortlichen "Behörde", und vergisst dabei, dass viele Zentralbanken lange Zeit privat geführt wurden. Die englische Zentralbank war beispielsweise bis 1946 ein privates Unternehmen. Inflation gabs natürlich trotzdem. Überdies sind Zentralbanken in entwickelten Staaten heute unabhängig von Regierungen. Die Zentralbanken sind heute stark privatwirtschaftlich geprägt: So ist das Kontrollorgan der Schweizerischen Nationalbank (SNB) - der Bankrat - ein Stelldichein der Schweizer Wirtschaft, von Konrad Hummler bis Gerold Bührer (siehe hier).

Des weiteren scheinen die Damen und Herren davon auszugehen, dass die Zentralbanken die Geldmenge und die Inflation steuern könnten, wenn sie nur den Willen dazu aufbrächten. Erstaunlich, haben doch schon etliche Notenbanker auf der ganzen Welt gesagt und geschrieben, dass sie die Menge von Bankdepots nicht oder nicht gut beeinflussen können. Sie sind meistens ahnungslos, wie sich die Preise mittelfristig verändern werden, und liegen mit ihren Prognosen deshalb auch oft daneben. Selbst Milton Friedman, der Hohepriester der Geldmengenregulierung, gab 2003 zu: "The use of quantity of money as a target has not been a success (...) I'm not sure I would as of today push it as hard as I once did." Der Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Inflation wird endgültig lächerlich, wenn festgestellt wird, dass Notenbanker gar nicht wissen, welches "Geldmengenaggregat" sie überhaupt anschauen sollen.


Zuletzt müssen wir konstatieren, dass die "Papiergeld-Theorie" der Österreichischen Schule ein ernstzunehmendes Problem aufweist. Es ist sehr gut denkbar, dass in nicht allzu ferner Zukunft bloss noch mit Debit- und Kreditkarten bezahlt wird. Banknoten und Münzen würden komplett überflüssig. Banken und Betreiber von Zahlungssystemen sind bereits heute für diese Situation gewappnet, sie stellt kein praktisches Problem dar. Sehr wohl stellt es aber ein theoretisches Problem für die Esoteriker der Österreichischen Schule dar, weil sie dann zugeben müssen, dass Geld etwas rein immaterielles ist. Tatsächlich sind Banknoten und Münzen bloss Anrechte auf rein immaterielle Bankdepots, welche noch immer auf der Passivseite von Zentralbank "gelagert" sind (unter dem Namen "Notenbankumlauf").

Doch schauen wir weiter:

"Zwar werde die "Weisheit" des Marktes seit dem Ausbruch der tiefgreifenden und fortdauernden Finanz- und Schuldenkrise lautstark bezweifelt. Dabei werde aber verkannt, dass in der Krise vielleicht Wirtschaftstheorien versagten, aber nicht der Markt als solcher."

Wenn eine Ökonomin (wie hier Karen Horn) den abstrakten, ungenau definierten Problemlösungsmechanismus Markt "weise" nennt, muss man doch aufhorchen. "Der Markt" ist nicht weise - da helfen auch die Anführungs- und Schlusszeichen nichts. Er kann es gar nicht sein, sondern höchstens die Menschen, die in dieser Institution aufeinander treffen. Der Markt habe nicht versagt, sondern die Theorien über den Markt, so Horn. Der "Marktgott" ist demnach unfehlbar, bloss unser Wissen über ihn ist fehlerhaft. Grundgütiger! Solch spirituelle Überlegungen gehören in einen Sektentempel, nicht in eine aufgeklärte, informierte Debatte über das Geldwesen.

Pierre Bessard schliesst mit der Meinung, dass es die Hauptschwäche unseres Wirtschaftssystems sei, dass das "staatliche Geldwesen" nicht im Wettbewerb stehe. Das staatliche Geldwesen bestehe nur aus dem Grund, weil es den Regierungen als "Geldquelle für ihre Politik" diene und ihre "Defizite sichere". Seit mindestes 150 sei zudem bekannt, dass Finanzkrisen ihren Ursprung in einer künstlichen Kreditausweitung hätten. Ein verkürztes, ahistorisches - pardon - dummes Argument:

Erstens finanzieren die meisten entwickelten Staaten ihre Defizite nicht über die Zentralbanken, sondern über den Sekundärmarkt; dort verkaufen sie ihre Schuldpapiere an Depothalter. So platziert die Schweizer Nationalbank im Auftrag der Regierung Schweizer Schuldpapiere auf dem Sekundärmarkt (hier nachlesen, bitte). Die Bundesanleihen werden an Effektenhändler und Banken verkauft, die eine enstprechende Zulassung besitzen. Da Bundesanhleihen Repo-fähige Titel sind, ist es bloss möglich für die SNB, diese als Sicherheit in ihrer Bilanz aufzuführen, wobei dies üblicherweise jeweils nur während weniger Tage sein kann. Selbst in jenen Ländern, wo die Nationalbank Schuldpapiere direkt aufkaufen darf, werden diese Papiere früher oder später auf dem Finanzmarkt verkauft oder vom Staat an die Zentralbank zurückbezahlt.

Laut Nationalbankgesetz darf die SNB dem Bund keinen Kredit geben. Das Kreditverbot präzisiert, dass die Notenbank auch keine Bundesanleihen aus Emissionen erwerben darf
(Art. 11 Abs. 2 NBG).

Zweitens steht unser Geldwesen sehr wohl im Wettbewerb. Sie können zum Beispiel Reka-Schecks benutzen, oder WIR-Geld von der WIR-Bank (siehe hier). Nur wollen die Leute das nicht.

Drittens: Was, bitte sehr, ist eine "künstliche" Kreditausweitung. Nach vielen Jahren Wirtschaftsstudium konnte mir noch kein einziger Ökonom erklären, welches Kreditgeschäft genau "künstlich" ist, und welches "natürlich". Es gibt dazu keine schlüssige Theorie, keine Erläuterung, keine Spezifizierung, nichts. Es ist doch sofort einleuchtend, dass eine Geschäftsbank durch ihre eigene Tätigkeiten NEUE Depots schafft: Kredite werden auf der Aktiv-, Ersparnisse auf der Passivseite registriert. Die Zentralbank muss da gar nichts tun. Die Höhe der Reserven, die Geschäftsbanken bei der Zentralbank halten, hat derweil keinerlei Einfluss auf die Inflation. Entwickelte Länder haben heutzutage sehr unterschiedliche Reservesätze: von 0% bis 30% gibt es alles, ohne Auswirkung auf die Inflationsrate. Überdies schaut kein einziger Banker auf die vorgeschriebenen Reserven, wenn er Kredite spricht. Was ihn interessiert, ist, dass der Kredit zurückbezahlt wird, und dass die Bank am Ende des Tages nicht überschuldet sind.

Viertens: (Als wäre dies nicht genug!): In der Logik des Liberalen Institutes "kreieren" Zentralbanken neues Geld und "pumpen" es ins System. Wie war es denn vor den Zentralbanken? Diese sind immerhin eine relativ neue Erfindung. Gab es vor Zentralbanken kein Geld? Sicher doch. In den USA - um nur ein Beispiel zu nennen - wurde die Zentralbank 1913 ebengerade eingeführt, weil es zuvor Börsenblasen, Inflation, unkontrollierte Kreditexpansion und sehr viele Krisen gab! Man denke nur an die Banker's Panic von 1907. Aber solche Fakten scheinen das Liberale Institut nicht zu beunruhigen.

Die NZZ täte gut daran, mit der esoterischen Ära Gerhard Schwarz endlich komplett abzuschliessen, und die verbleibenden Fundamentalisten der Wirtschaftsredaktion - die vornehmlich mit Schlagwörtern argumentieren - mit Leuten zu ersetzen, die nur davon schreiben, wovon sie etwas verstehen. Solche gibts. Denn, frei nach Wittgenstein: Was sich sagen lässt, lässt sich klar sagen, und worüber man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.

Es soll hier angefügt werden, dass die Verirrung nicht auf die NZZ beschränkt ist, sondern eigentlich der Wirtschaftstheorie anzulasten ist. Diese ist in einem desolaten Zustand. So schrieb der eher links gesinnte Philipp Löpfe vom Tagi in einem Artikel über Zentralbanken: "Der grösste Teil des modernen Geldes wird buchstäblich aus dem Nichts geschaffen, es ist nicht mehr abgesichert, beispielsweise durch Gold."

Diese Schöpfung Ex Nihilo ist tatsächlich der grundlegende Irrglaube der heutigen (neoklassischen) Makroökonomie. Diese "Schöpfung aus dem Nichts" ist einfach falsifizierbar, wenn sich irgend jemand einmal die Mühe machen würde, die Buchhaltungspraxis von Banken und Zentralbanken zu studieren. Bis das passiert, reissen sich geifernde Ideologen um die Meinungsführerschaft in der Geldtheorie.